Tag 1045 – Auftragsbloggen: Sprache.

Zu meinem gestrigen Beitrag kam eine Frage zur Zweisprachigkeit und da ich heute eh sonst nur über das Wetter rannten oder mit meinem neuen Kleid rumprotzen würde, trifft sich das doch gut.

Also erstmal: wie ist das bei uns Erwachsenen? Nun, ich spreche, wie heißt das so schön, verhandlungssicher Norwegisch. Genauer gesagt: Bokmål, inzwischen mit leichtem Trødersk-Einschlag. Ich traue mir Gespräche zu den allermeisten Themen mit den allermeisten Leuten rein sprachlich gesehen zu und fachliche Gespräche zu meinem Thema auch. Im Norwegischkurs mussten wir zu allen möglichen Themen Aufsätze schreiben, je höher das Level, desto spezieller die Themen, wir waren ja alle schon gut erwachsen, da kann man auch mal über norwegische Umweltpolitik oder Mobbing und Hate im Internet schreiben. Vorstellungsgespräche mit Norwegern führe ich meist auf Norwegisch (und an der Sprache liegt es sicher nicht, dass das nur so mittelschlecht klappt), ich kann auf Norwegisch telefonieren (Fremdsprachen-Härtetest, meiner Meinung nach) und ich kriege von Norwegern wirklich oft Komplimente, wie gut mein Norwegisch doch sei. Manchmal kann ich auch ganz authentisch dieses niedliche „Wie sagt man?“ einfließen lassen. Es gibt ein paar Stolperstricke: Ich kann kein Nynorsk und es gibt einige Dialekte, bei denen sich mir die Fußnägel hochrollen und es gibt ein paar andere Dialekte, die ich wirklich kaum verstehe. Aber im Großen und Ganzen komme ich sehr gut klar. Auch schreiben ist kein großes Problem, ich schaue öfter mal im Bokmålsordboka nach, welches Genus ein Substantiv hat, wie ein Adjektiv gesteigert wird, welche Präposition grad angebracht ist oder ich suche nach möglichen Alternativen, aber das meiste schreibe ich so runter. Yeah me! Interessanter aber ist vielleicht: wie habe ich das gelernt? Nun, als Basis hatte ich ein ehemals fließendes Schwedisch, das ich mir in einem Auslandssemester draufgeschafft hatte. Das hat schon mal geholfen, aber mal ehrlich: gebraucht hätte ich das eher nicht. Als ich dann wusste, dass wir in ein paar Monaten nach Norwegen ziehen würden, fing ich direkt mit einem Online-Kurs an, den ich aber sehr schnell durchhatte, halt wegen des Schwedischen. Dann kam ich hier an und war natürlich zu spät für den Semesterbeginn, mein rostiges Schwedisch verstand keiner, alle sprachen Englisch mit mir und, ach, es wurde also Englisch. Trotzdem meldete ich mich zum Einstufungstest für den Norwegischkurs zum Sommersemester an und bestand die Einstufung zum dritten von vier Leveln. Mit Schwedisch und ein paar norwegischen Ausdrücken aus dem Online-Kurs. Im Februar fing ich also mit dem Norwegischkurs Niveau 3 an der Uni an. Der war nicht ohne, sehr hoher Zeitaufwand (2 mal 4? Stunden pro Woche, plus Hausaufgaben, Tests, Essays…) und am Ende eine 6-Stündige Klausur und 30 Minuten mündliche Prüfung, durch deren Bestehen mit mindestens 2 man das berühmte Sprachlevel B1 erreichte, das man für viele Berufe und auch für die norwegische Staatsbürgerschaft nachweisen muss. Inzwischen reicht dieser Test aber nicht mehr und man muss in jedem Fall den Bergen-Test machen. Nunja, Fun Fact: ich und der Lehrer des Kurses hatten so eine Art Hassliebe aufgebaut, ich war einfach super schlau tierisch nervig und er ließ mich gerne gegen die Wand laufen, aber nach der Klausur standen wir noch eine Weile draußen vor dem Raum herum, der Lehrer und ein paar der besseren aus dem Kurs und unterhielten uns darüber, dass der Einstufungstest für das 3. Level abgeschafft wurde und man zukünftig nur noch in das 2. Level „abkürzen“ könne und der Lehrer meinte „Das ist auch gut so, die aus dem Test kommen sind immer richtig schlecht.“. Als ich ihm dann sagte, dass ich auch aus dem Einstufungstest käme und vorher auch nicht lange in Norwegen gelebt hätte, fiel er aus allen Wolken. In dem Kurs hatte ich das beste schriftliche und das zweitbeste mündliche Ergebnis von allen ca. 30 Schüler*Innen. Hehe. Naja, danach machte ich den vierten Kurs auch noch, der war deutlich leerer, deutlich schöner, beinhaltete ein echtes Buch, das wir lesen mussten (das echt ätzend war. „Naiv. Super.“ von Erlend Loe, lesen Sie dieses Buch nicht, es sei denn, Sie möchten auch in Zukunft eine gestörte Beziehung zum Brio-Bankebrett haben) und ab der Hälfte des Kurses sprach die Lehrerin nur noch Trøndersk mit uns (hartes Trøndersk, mit ganz viel hanj banj manj sjø?). Irgendwann im Laufe dieser Zeit im zweiten Kurs bat ich auch mehr und mehr Norweger bei der Arbeit, norwegisch mit mir zu sprechen. Denn, neben dem Kurs, ist das meiner Meinung nach das Wichtigste, um eine neue Sprache zu sprechen: Machen! So viel reden, wie möglich und vorher Leute bitten, zu korrigieren, wenn man grobe Schnitzer macht. Die werden nicht bei jedem Satz sagen „Das heißt ET bord!“, keine Sorge. Und nachfragen, wenn man was nicht rafft. „Ungan“ zum Beispiel, das ist der (umgangssprachliche, denn eigentlich wäre es Ungene) bestimmte Plural für „Ungen“, wörtlich „das Junge“, umgangssprachlich „das Kind“, also Ungan = die Kinder. Da hab ich lange für gebraucht. Oder Dialektausdrücke. „Kor kjem dokk fra?“ anstatt des im Kurs gelernten „Hvor kommer dere fra?“, wenn man da nicht nachfragt und stattdessen einfach lächelt und nickt, macht man sich zum Affen. Für Sie getestet. Passiven Wortschatz kann man sich prima mit Lesen aneignen. Was man liest ist dabei fast egal, finde ich. Vielleicht keine Schundliteratur mit lauter Grammatikfehlern. Ich lese sehr viele norwegische Krimis, da hat man dann irgendwann jede Menge Polizei- und Mord- und Totschlag-Vokabular drauf, wer weiß, wozu man das dann nochmal braucht. Über das Lesen lernt man Wörter, Ausdrücke und, ganz wichtig, bekommt ein Gefühl für Satzstrukturen und Grammatik. Mein Englisch wurde erst grammatikalisch gut, als ich Harry Potter gelesen hatte. Grade rechtzeitig zum Abi, damals. Beim Sprechen kann man nicht dauernd denken „Den gangen DA, hver gang NÅR“ oder „Subject, verb, object, place, time!“, dafür hat man keine Zeit, das muss aus irgendwelchen tieferen Hirnschichten kommen und da hilft lesen mir ungemein.

Und da kommen wir auch schon zum großen Unterschied zu Herrn Rabe: Herr Rabe hat anfangs keinen Kurs gemacht, spricht bei der Arbeit fast nur Englisch und liest wenig und sein Norwegisch ist noch sehr viel Schwedischer. Vielleicht könnten wir das gemeinsam ändern, wenn wir zu Hause Norwegisch sprächen, aber da sind ja noch…

Die Kinder: Die können beide besser Norwegisch als Deutsch. Sollen aber auch Deutsch lernen, also sprechen wir zu Hause fast nur Deutsch. „Fast“, weil ich manchmal umkippe, wenn Michel mich auf Norwegisch vollschwallt, weil wir manchmal Sachen übersetzen, weil wir manchmal Norwegische Lieder singen und wenn Besuch da ist sprechen wir auch Norwegisch. Sowohl Michel als auch Pippi können auch Deutsch, aber zumindest Michel strengt das sehr an und er übersetzt auch viel aktiv vom Norwegischen ins Deutsche. Das merkt man dann an wunderlichen Ausdrücken („Ich hab mich ausgepullert.“, „Das habe ich aufgefunden!“) oder Satzkonstruktionen wie „Das habe ich gut gemacht, ich.“. Pippi scheint noch nicht so recht zu schnallen, dass sie zwei Sprachen kann und mischt munter. Mitten im Satz. Sowohl hier zu Hause als auch im Kindergarten. Kombiniert mit typischer Kleinkindaussprache führt das dann im Kindergarten zu manch irritiertem Blick, wenn sie ankommt und sagt „Se! Æ ha Zöpsen!“ (Zöpfchen, aber… tjanun!). Auch zu Hause hatten wir schon Wutanfälle, weil wir nicht verstanden haben, was sie mit „Lullelund!!!“ meint. „Rulle runt“ (rumrollen) wäre es gewesen und sie meinte eigentlich, dass ich ihr Essen umrühren sollte. Ich meine, bei Michel, der ja als Baby herkam, und Pippi, die hier geboren ist, Unterschiede im Spracherwerb festzustellen. Michel hat sich scheinbar für Norwegisch als Muttersprache entschieden und behandelt Deutsch wie eine Fremdsprache, die er zwar super versteht, aber ungern (und auch nicht Akzentfrei) spricht. Pippi hat zwei gleichwertige Muttersprachen und kann Norwegisch nur deshalb momentan besser sprechen weil sie mehr Übung darin hat. Michel möchte Kinderfernsehen am liebsten auf Norwegisch sehen, Pippi ist es wurscht. Sie sagt zwar „Peppa Gris!“, singt dann aber die Titelmelodie mit „Peeeeeppa Wutz! Didididiiidii…“. Aber diese Unterschiede können auch Einbildung von meiner Seite sein. Weil ich möchte, dass die Kinder auch schriftliches Deutsch lernen, werde ich zu gegebener Zeit (also: wenn das grundsätzliche Buchstaben Schreiben schon mal funktioniert) auch einen echten Sprachunterricht organisieren, aber ich denke, das hat noch ein Jahr Zeit. Ob sich bewahrheitet, dass zweisprachig aufgewachsene Kinder leichter Sprachen lernen, werden wir dann auch sehen, wenns soweit ist, ich forciere da nichts, weil zumindest Michel vermutlich auch einigermaßen überfordert davon wäre. Und, ehrlich, es gibt Wichtigeres. Man kann Sprachen auch noch als Erwachsene lernen. Man muss es halt einfach machen.

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Auto-Lobhudelei: Weder erwähnt, dass wir uns hier den Hintern abfrieren, noch, was für ein schönes Kleid ich mir genäht hab.

9 Gedanken zu “Tag 1045 – Auftragsbloggen: Sprache.

  1. Sunni schreibt:

    Das Kleid ist der Knaller. Lustig auch, wie vieles sich überschneidet, die Sprachen betreffend, denn 2 unserer 3 Enkelkinder wachsen 2-sprachig auf (Italienisch -Deutsch), und obwohl sie beide die gleiche Ausgangslage hatten und auch jetzt haben, verläuft es völlig unterschiedlich. 9 und 5 sprechen aber beide beide Sprachen und verstehen sie, wenngleich auch manchmal Verweigerungshaltungen beim 5-jährigen geprobt werden (hören-und verstehen:Ja, sprechen: NEIIIIIN!) GlG

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  2. Vielen lieben Dank für die prompte und ausführliche Beantwortung meiner Fragen! Sehr, sehr spannend das alles!
    Ihnen ein schönes Wochenende und herzliche Grüße aus Süddeutschland.

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  3. Brusselscalling schreibt:

    Mehrsprachigkeit ist super kind-abhängig. Die meisten Kinder entscheiden von sich aus eine „dominante“ Sprache und die kann sowohl in der Familie als auch über Zeit wechseln.
    Bei unserem Schulkind haben wir mit dem Deutsch-Schriftsprachen-Erwerb noch etwas gewartet. Wir wollten das Schreiben erst in der Umgebungssprache festigen, und das hat bei uns schon 2-3 Schuljahre gedauert.

    Ich empfehle allein als Autorin zu MEhrsprachigkeit Anja Leist-Villis.
    Sie räumt nämlich auch als Forscherin der jetzt-Zeit mit alten Mythen auf wie „1 parent 1 language“, „Die reden später“, „Die haben geringeren Wortschatz“ „Die stottern eher“.

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  4. Sunni schreibt:

    Hach, Nachsatz: Falls mal wieder ein Thema gesucht wird:Mich würde interessieren, wie es mit dem Essen/Gewohnheiten/Angebot/ in Kindergarten/Familie ist. Bleibt man in seinen deutschen Essgewohnheiten oder passt man sich an, ändert man viel oder alles oder gar nichts auf Dauer? Also nur, falls mal nichts anderes ansteht!

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  5. Brigitte schreibt:

    Und wie seid ihr nach Trondheim gekommen? Schon klar wegen Deiner Dissertation aber wie kam es dazu?
    Du hast doch nach Themen gesucht…
    Und wie sieht das tolle Kleid von hinten aus?
    Liebe Grüße Brigitte

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  6. Marika schreibt:

    Spannend heute speziell vom Norwegischen zu lesen. Und generell vom Leben in Norwegen und den schrägen und nicht so schrägen Eigenarten der Menschen. Vielen Dank an der Stelle dafür!
    Ich verbrachte vor 16 Jahren als Austauschschülerin ein schönes Jahr in der Nähe von Lillehammer mit Familie aus ursprünglich Ringebu. Da mischten sich schnell mein Bokmaal mit dEM Dialekt vor Ort und dem in der Familie.
    Ich fand es immer cool, das bis in die Nachrichtensendungen hinein, alle Leute ihren Dialekt sprechen dürfen…
    Ja, Sprachen lernen sich neben Kursen am allerbesten in der täglichen Anwendung in Schule, Job im Alltag, Norwegisch erscheint mir recht „leicht“ für Menschen mit deutsch als Muttersprache: als ich später mit Mann mal zwei Monate von Alta nach Oslo gereist/ getrampt bin, hat er in dieser Zeit auch so einiges gelernt…

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  7. Anima Chutzpanit schreibt:

    Meine Kinder wachsen Schweizerdeutsch-Hebräisch auf. Mit mir (und erstaunlicherweise auch miteinander) reden sie Schweizerdeutsch, mit Papa und der Umgebung Hebräisch. Ich würde sagen, dass sie mündlich in beiden Sprachen gleich gut sind. Nebenbei haben beide auch noch Deutsch (also „Hochdeutsch“) mitgekriegt, in dem sie sich mündlich recht gewandt ausdrücken. Schreiben können beide Hebräisch und (mit Fehlern) Deutsch.
    Ich finde Zweisprachigkeit nach wie vor spannend – an mir selber beobachte ich zum Beispiel, dass ich inzwischen auf Hebräisch schimpfe :-)

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Ich freue mich über jeden Kommentar, außer er ist blöd, dann nicht. Außerdem ist jetzt wohl der richtige Zeitpunkt, um Ihnen mitzuteilen, dass WordPress bei jedem Kommentar eine mail an mich schickt, in der die Mailadresse, die Sie angegeben haben und auch ihre IP-Adresse stehen. Müssen Sie halt selbst wissen, ob Sie mir vertrauen, dass ich diese mails von meinen Devices alle sofort lösche, und ob Sie damit leben können, dass WordPress diese Daten auch speichert (damit Sie nämlich beim nächsten Mal hier einfacher kommentieren können).