Tag 480 – Als hätte ich nicht genug zu tun. 

Mein Chef kam heute an und drückte mir noch ein Experiment aufs Auge. Natürlich nicht ohne dabei mit dem first authorship in einem guten Journal vor meiner Nase rumzuwedeln. Eventuell muss ich meinen Urlaub verschieben. 

So wie heute meinen Feierabend, weil vor lauter Gedöns kam ich leider nicht dazu, meinen Vortrag fürs Institutsmeeting am Montag früh vorzubereiten. Jetzt bin ich soeben damit fertig geworden, morgen noch mal drüberpolieren und, haha, mir was ausdenken, was ich zu den ganzen Bildchen sagen will. 


Taktik ‚Kopf in den Sand‘ funktioniert nicht, alternative Taktik ‚einfach machen, nicht denken‘ wird jetzt ausprobiert. 

Tag 479 – Kopf in den Sand…

Ich hab das Meeting vom Dienstag jetzt fertig verdaut. Denke ich. 

Das was so: ich habe ja quasi zwei Projekte. Das, auf dem ich angestellt bin, mein eigentliches Projekt, lief bis zu meiner Elternzeit einfach mal gar nicht. Da geht es um Proteinstrukturen, genau genommen um die Struktur eines ganz bestimmten Teils eines ganz bestimmten Proteins. Und dieser Teil ließ sich ums Verrecken nicht herstellen. An dem Tag, als ich mittels eines sauteuren Kits Unmengen Protein erzeugte, die allesamt unlöslich und damit unbrauchbar waren, saß ich heulend auf dem Klo, im siebten Monat schwanger, und beschloss, nach der Elternzeit um Alternativen zu bitten. 

So kam es auch, und so kam ich zu Projekt Nummer 2, ein geerbtes Projekt mit mehr oder weniger veröffentlichungsreifen Ergebnissen, hat NIX mit dem anderen Projekt zu tun, es geht nämlich um RNA. Dieses Projekt ist enorm zeitaufwändig, weil viel Zellkultur, viel Isolationszeug, total unbekanntes Terrain für unser Labor (ich wurschtel mich da also so durch, muss aber für jeden Pups erstmal lesen und mir Wissen aneignen, dass ich dann mit meiner (ja doch inzwischen großen) Laborerfahrung zusammenmixe und mir Versuche draus koche: das ist alles ganz aufregend) und das plödeste: ich bin da ganz alleine. Aber immerhin kommen da Sachen bei raus, die wiederum Leute interessieren und ich dachte seit ein paar Monaten eigentlich, das sei jetzt mein Hauptprojekt. 

Dann hatten wir dieses Meeting am Dienstag, zum ersten Projekt. Es sind extra Leute aus Dänemark gekommen, eine Professorin und einer ihrer Postdocs, die mein (auch dänischer) Co-Supervisor eingeladen hatte. Die Professorin arbeitet seit 20 Jahren mit ‚intrinsically unstructured proteins‘ (der unproduzierbare Teil von unserem Protein ist auch ‚intrinsically unstructured‘, also strukturlos, was Strukturbiologie daran nicht weniger absurd macht…) und gehört zu der Sorte Mensch, die anhand der Aminosäuresequenz Sachen sagen wie „I see a KRKR-motif there and when you have a phosphorylation some amino acids before, maybe that Serin14, that would probably be helix-inducing“. Die hatte ein paar echt sehr vielversprechende Ideen zu dem strukturlosen-vielleicht-doch-nicht-immer-und-nicht-überall strukturlosen Teil. Ideen, die sich schnell umsetzen lassen. Außerdem hat die E., die als Postdoc an dem Projekt arbeitet, in meiner Elternzeit einen Weg gefunden, den strukturlosen Teil zu produzieren, sodass es stabil ist und endlich, ENDLICH im NMR untersucht werden kann. Und da hat sie auch schon ein paar Ergebnisse zusammen. 

Und ich weiß jetzt auch nicht. Plötzlich scheinen beide Projekte machbar, aber ich kann nicht alleine (das eine komplett alleine, das andere zumindest teilweise) zwei Projekte stemmen. Und wir haben am Strukturbiologie-Projekt einfach mal zwei komplette Jahre durch unsere erfolglosen Herstellungsversuche verschenkt. Dass das jetzt innerhalb von 9 Monaten soweit gedeiht, dass drei Veröffentlichungen dabei rumkommen, kann ich mir nach all dem Mist* nicht vorstellen. Dafür bin ich in das andere Projekt so reingerutscht, mir fehlt da komplett der Hintergrund, vor der Defense hätte ich jetzt schon Angst, weil, aaaaahhhhh, RNA. Und analytische Chemie**. Aaaaaahhhhhh. 

Noch elf Arbeitstage bis Urlaub. 

*Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich und das Protein, das ich seit zwei Jahren ‚bitch‘ nenne, doch noch Freunde werden.

**Hab ich mal erwähnt, dass ich im 1. Semester durch Chemie gefallen bin? Nein? Ich bin im 1. Semester durch Chemie gefallen. Es war schlimm. Obwohl mit mir 80% der Studenten durchgefallen sind. Trotzdem schlimm. Ich hab dann die Osterferien mit organischer Chemie verbracht, bin zu allen Übungen gegangen, hab mich von der 1,50 m großen Professorin im Hörsaal an der Tafel wegen meiner fehlerhaften Sessel-Boot-Formen und Fisher-Projektionen bloßstellen lassen und dann hab ich im zweiten Anlauf knapp bestanden. Seitdem hab ich mich von Chemie ferngehalten, wo immer es ging. Wenn ein Bio- davor ist, geht’s. Sonst geht leider gleich die Jalousie*** runter. 

***Vielleicht sollte ich mal ne Trauma-Therapie machen. Ha.