Tag 814 – Grumpy Pumpkin.

Halloween mag ich nicht. So, jetzt ist’s raus. Hier waren diesmal auch zum ersten mal überhaupt Kinder. Zwei. Von denen ich eins sah. Und so ganz schienen sie das Konzept nicht verstanden zu haben, denn das ganze lief ca. so ab:

*ring*

Ich, in den Hörer: „Hallo?“

Kinderstimme: „Hallo?“

Ich: „…“

Kinderstimme: „Äh, können wir rein?“

Ich: „Ihr müsst schon erst was sagen.“

Kinderstimme: „Äh, wir wollen rein um Süßigkeiten zu kriegen?“

Ich, nach kurzem Lachanfall: „Na, dann kommt mal hoch.“

Ja, und wie gesagt: gesehen hab ich dann von zwei Kindern nur eins (ca. 8 oder 9 Jahre alt, also auch kein schüchternes Kleinkind), das hatte seine Hexen-Gummimaske in der Hand (vermutlich ist die halt schwitzig-eklig innendrin, Augen auf und Hirn an beim Kostümkauf, würde ich da sagen) und war schneller wieder weg, als ich gucken konnte.

Laaaaangweilig!

(Außerdem vermisse ich ECHT RICHTIG DOLL Laterne-singen. Dafür würde ich sogar basteln. Und dass Michel heute einen Heulanfall bekam, weil ich ihm keine Fledermausflügel genäht hab (hahaha, wann denn? Ich hab noch nicht mal schwarzen Stoff!), macht’s auch nicht grad besser.)

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(Ganz kurzes Karri-Update: heute hab ich das Haus verlassen und es war wohl etwas übermütig, dass ich noch einen Espresso auswärts getrunken hab, jedenfalls brüllte Pippi ziemlich als ich zurückkam und wollte danach am liebsten in mich reinkriechen. Hmmhmmhmm. Donnerstag geht’s weiter, dann aber mit Herrn Rabe – ich werde mal wieder am Mikroskop sitzen.)

Tag 813 – Sichelzellanämie ist es auch nicht.

Heute waren drei Dinge:

  • Kackwetter
  • Kinderarzttermin
  • Start der Pippi-Karri-Gewöhnung

Bis auf das Wetter lief alles super, also das Wetter war auch echt grandios im Kacke sein und ich bin jetzt um die Erkenntnis reicher, dass der heutige ColourPop-Lippenstift (Bichette Matte Lippie Stix) zwar Essen, Trinken und allgemein langes draufsein tadellos übersteht, aber bei eiskaltem Wasser (ok, es war eher so Eisstrahlen) blättert der einfach ab. Vielleicht lässt sich das ja zum Abschminken nutzen.

Jedenfalls ließ ich nach dem Weg zur Arbeit für die weiteren Wege des Tages dann doch lieber das Fahrrad stehen, auf dem einen Weg musste ich schon drei mal anhalten und warten, bis meine Augen, in die es die ganze Zeit quasi reinhagelte, aufgehört hatten zu tränen. Dann fing es noch an zu schneien, alles war voller Schneematsch, ich hab noch keine Spikes aufgezogen und muss dringend meine Bremsen nachziehen, die funktionieren nämlich bei kalt und nass nur mäßig und überhaupt war wirklich Fahrrad-feindseliges Wetter. Also nahm ich den Bus von der Arbeit nach Hause, dann das Auto (nachdem ich den Reboarder eingebaut und die Bezüge wieder aufgezogen hatte…) von zu Hause zum Kindergarten, sammelte Pippi ein, fuhr mit ihr zum Kinderarzt, legte mich fast auf die Fresse, weil der Lehmboden am abschüssigen Parkplatz so nass und glibschig war, kam mit Pippi um 12:59 in die Kinderarztpraxis und schaffte es nicht mal, meine Schuhe auszuziehen*, da wurden wir schon aufgerufen.

Dann der Arzttermin. Also, Herr Prof. Dr. Stein Dingenskirchen, der war sehr nett. Er erinnerte mich sehr an meinen alten Frauenarzt. Erstens war er alt. Richtig alt. Die Hände schon voll Altersflecken-alt. Und dabei ein gutmütiger, etwas behäbiger Opa. Er machte sich handschriftlich Notizen zu allem möglichen (Ich kam mir vor wie beim Heilpraktiker, so lange und ausführliche Anamnesegespräche hab ich bisher selten erlebt), während Pippi vor sich hin spielte. Er fragte wirklich alles ab, von ihrem Geburtsgewicht zu ihrem aktuellen Gewicht, wie lange ich gestillt habe, wie lange voll, was und wie viel sie so isst, ob es ihr im Kindergarten gefällt und so weiter. Dann fragte er erst nach dem mysteriösen Fieber. Und zum ersten Mal sagte mein Gegenüber nicht „also ca. einmal im Monat?“ als ich sagte, dass sie alle drei Wochen Fieber bekommt, wie ein Uhrwerk. Er fragte dann noch ein paar Sachen, hörte Pippi ab, guckte in ihren Hals, fühlte an ihrem Bauch, bewunderte ihr Pflaster an der Hand**, tastete alle möglichen Lymphknoten ab, kitzelte sie hinterm Ohr und dann durfte Pippi wieder spielen während ich erklärt bekam, was er für die wahrscheinlichste Erklärung hält. Und das ging so: „Also, erstmal um dich zu beruhigen: das ist keine Leukämie und auch kein Rheuma. Bei Erwachsenen würde man das bei solchen Symptomen vermuten und deshalb wollte Euch wohl auch die Hausärztin herschicken. Es könnte noch Sichelzellanämie sein, aber das wüsstest du sicher, wenn das in eurer Familie vorkäme. Bei so kleinen Kindern und nachdem das andere ausgeschlossen ist, gibt es noch etwas, das Periodisches Fiebersyndrom heißt. Da schreibe ich mal hier einen Artikel*** auf, da ist das sehr gut beschrieben. Im Grunde ist es genau das: alle drei bis vier Wochen Fieber für ein paar Tage, ohne weitere Symptome. Manchmal geht damit eine Schwellung der Lymphknoten**** oder eine Mandelentzündung einher. Das ist nicht schlimm und geht von selbst wieder weg, man kann auch mit einem Hals-Nasen-Ohrenarzt mal überlegen, ob die Mandeln entfernt werden sollten, wenn es zu häufige oder zu lange Episoden werden.“ Dann fragte er noch, ob ich noch Fragen hätte (nein, also ja, aber nein, ich muss das erstmal verdauen) und füllte mir einen Antrag auf Erweiterung der (bezahlten) Kindkrank-Tage aus, damit wir nicht jedes Mal einzeln zum Arzt rennen müssen. Und dann wars auch schon vorbei, 45 Minuten waren wir „behandelt“ worden, Pippi sagte ganz bezaubernd Tschüss zu allen Spielzeugen, die in der Praxis wohnen und ich fuhr sie zurück zum Kindergarten. Ohne Kind auf dem Schoß arbeitet es sich einfach besser, vor allem im Labor. Auch wenn es dann nur noch ne Stunde war, bis ich wieder losmusste um Karri zu treffen.

Um exakt 15:45 parkte ich vor unserer Haustür, wo auch schon Karri stand (aber noch nicht lange, puh) und wir gingen – immernoch durch den Schneeregen – zum Kindergarten. Michel wollte unbedingt zu seinem besten Freund, weil da heute „ein Kürbis gemacht wurde“, whatever, ich fand eine Solo-Gewöhnung von Pippi für den ersten Tag auch gar nicht schlecht, also sagte ich ja. Ich stellte Karri den verbliebenen Kindergärtner*Innen vor und erklärte ihr das nötige. Und dann rollten wir gemeinsam das Kind im triefenden Fahrradanhänger nach Hause. Da kam ich mir dann kurzzeitig sehr Gutsherrinnenmäßig vor, weil ja Liv heute da gewesen war und alles blitzte und blinkte und ich komme mit meiner Nanny zur Tür rein… Naja. Pippi war überraschend fröhlich, ließ sich von Karri direkt ein Brot schmieren und wollte dann unbedingt Peppa Wutz gucken (etwas peinlich für die Mama, das Fernsehsüchtige Kind…). Aber sie darf ja eine Folge gucken und Karri bekam dann auch gleich einen astreinen Wutanfall mit, als die Folge vorbei war und ich ausschaltete. Ganz reale Bedingungen also. Während der Folge hatte ich Karri weitere nötige Dinge gezeigt (Klo, Windeln, Kleidung, Essen…) und ihr alle unsere Nummern gegeben und meinen Plan erläutert, nämlich zwar hier zu sein, aber eben Kram zu machen, auf den Dachboden zu gehen und so weiter. Und das machte ich dann auch, fast gar nicht nervös, und als ich vom Dachboden wiederkam, die Hände voller Kinderstiefel, hörte ich Pippi fröhlich quietschen. Pippi und Karri bauten Lego, das Kunstwerk würde mir stolz präsentiert und dann rödelte ich weiter. Einmal rief Pippi im Wohnzimmer „Mama?“ und ich rief aus dem Schlafzimmer „Ich bin hier!“ und das war‘s. Für einen ersten Tag mit meinem bisher eher klammerigen Kind bombastisch gut. Vielleicht hat sie ja endlich verstanden, dass wir sie nicht bei Kinderessern lassen würden.

So kann’s gern morgen weiter gehen. Also, minus den Arzt, dafür mehr Arbeit.

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*Nein, das macht man in Norwegen nicht in jeder Arztpraxis so, aber da stand ein Schild, man solle das doch tun, weil Babys herumkriechen. Und innerhalb der Praxis ist handyfreie Zone.

**glorreicher Moment der Mutterschaft gestern: am Herd herumwurschteln und vergessen, das kleine, sehr scharfe Gemüsemesser außer Reichweite von Pippi zu legen. So schnell wird sie wohl kein Messer mehr anpacken.

*** einen richtigen, Wissenschaftlichen Journal-Artikel. Hachz!

**** zum Abschluss zeigte er mir noch, wie man die Lymphknoten am Hals und im Nacken abtastet, damit ich überprüfen kann, ob die bei den Fieberepisoden anschwellen. Hachz!

Tag 812 – Auf in den Endspurt.

Diese Aktion von gestern ist… whoahhh! Was für ein toller Ort das Internet ist, mit was für tollen Menschen darin. Ich bin komplett beseelt und wie auf Wolken und weiß gar nicht, wie ich mich jemals angemessen dafür bedanken soll. Sie alle sind ganz wunderbare Menschen! So viel Unterstützung und gute Gedanken und einfach Anteilnahme an unserem Leben hier… Ich wünschte, jedem Mensch würde so etwas zuteil werden.

Die Erfahrung, nicht ganz allein und verloren hier zu stehen und an allen Fronten zu kämpfen, hat jedenfalls dazu geführt, dass ich grad alles für machbar halte. Für gut machbar sogar. Es ist nicht mehr so lang, und das meiste Praktische ist getan, es fehlt nur noch Mikroskopie, eventuell Auswertung der Bilder (also zum Beispiel Bubbles in Zellen zählen, damit man dann hinterher so Zeug schreiben kann wie „Das eine Protein ist in der einen Zelle in x % der Bubbles, wenn man aber ein anderes Protein ausknockt, ist es nur noch in z %.“, ich veranschlage für die Auswertung, wenn mein Chef die will, einen Tag), Auswertung der Western Blots (per Scannersoftware bestimmen, wie dick die Banden für die 5 Proteine in meinen 8 Zelltypen sind, das dauert ca. ne Stunde) und von einem Experiment muss ich die Daten noch in einem anderen Programm statistisch auswerten und dann so darstellen, wie ich das vor Monaten schon mal gemacht hab. Leider hab ich keine Lizenz für das Programm und muss deshalb dafür an den Rechner meiner Kollegin, die aber ab Donnerstag eh einen Monat in Afrika weilt. Und dann muss ich das nur noch in ein Paper schreiben. Das ist alles total gut machbar.

Da ist es tatsächlich auch gar nicht so ein riesiges Drama, dass Pippi morgen um 13 Uhr einen Termin beim Kinderarzt* hat, Herr Rabe mit einer Konferenz sehr busy ist (er organisiert die Teilnahme und die Standpräsenz seiner Firma auf der Konferenz) und ich deshalb vermutlich morgen eher gestückelt und eventuell auch mit Kind auf dem Schoß arbeiten werde. Es wird schon klappen. Es ist nicht mehr viel.

Und ab morgen dann ja auch Pippi-Karri-Gewöhnung, wir werden das alle schon schaukeln.

Es tut sehr gut, mal wieder etwas zuversichtlicher zu sein.

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*der lang ersehnte Termin, damit auch ein Spezialist mal drauf schaut, wieso dieses Kind so oft krank ist. In Norwegen macht man Termine ja auch nicht selbst aus, sondern bekommt einen nach Überweisung durch den Hausarzt zugeteilt. Den kann man zwar verschieben, aber wer weiß, wann sie den nächsten hätten? Wir nehmen da, was wir kriegen können.

Tag 811 – Von Freundschaft.

Hier stand eben ein fast 800 Wörter langer Text über meine beste Freundin und mich. Und dann hab ich das alles wieder gelöscht.

Freundschaft hat viele Gesichter. Manche brauchen regelmäßige Treffen.. Mit manchen ist es, egal wie lange man sich nicht gesehen oder gesprochen hat, immer sofort wieder wie früher. Manche machen ab und zu mal piep. Manche kann man nachts um drei anrufen. Mit manchen macht man das auch. Manchen verzeiht man alles. Manche sind wie eine wilde Romanze und fangen stürmisch an und blasen sich dann sehr schnell müde. Manche gehen kaputt. Manche dramatisch. Manche schlafen ein. Machen heult man noch lange nach. An manche kann man sich kaum noch erinnern.

Und dann gibt es solche, die man eigentlich kaum kennt, zum Großteil noch nie gesehen hat und die einen selbst auch nur vom täglichen Geschreibsel kennen und die sehen: da geht es wem sehr schlecht. Eine Umarmung per Internet verschicken wird schwer, aber ein bisschen Geld, um ein bisschen Druck aus der Lage zu nehmen*, das kann man zusammen sammeln. Und dann leiern die das an**, einfach so. Und die Person mit dem Geschreibsel ist total überwältigt und ihr fällt nichts ein, als

Danke
.***
Sie machen das hier grade sehr viel erträglicher. Sie sind echte Freunde. 

(Wer wissen will, von wem ich genau rede:

Mademoiselle ReadOn
Drehumdiebolzeningenieurin
Herrpaul_
Übrigens auch allesamt sehr empfehlenswerte Blogs!)

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*Marry Poppins wird aller Voraussicht nach Karri heißen.  Fragen Sie nicht, wie ich das organisiert hab und woher ich die Kraft genommen hab, ich weiß es grad auch nicht mehr. Und Marry Poppins ist übrigens einer meiner Lieblingsfilme, ich kann den komplett mitsingen und -sprechen und -tanzen und ich fand die Mutter, die eine Nanny braucht, weil sie selbst mit den Sufragetten für das Frauenwahlrechtkämpft, auch immer schon super.

**Aus rechtlichen Gründen steht da mein Vorname. Ja, ich finde den auch sehr schön. Der bleibt aber trotzdem unter uns, ja?

***Das müsste da eigentlich in blinkend mit rosa Herzchen drumrumfliegend stehen. Aber dafür reichen meine HTML-Kenntnisse nicht aus.

Tag 810 – Berappelungstag.

Erstmal: vielen lieben Dank für all Ihre netten Worte. Und dann zur Erklärung:

– nein, ich glaube nicht, dass das in allen norwegischen Kindergärten so läuft. Meine Kolleginnen guckten auch alle etwas sparsam, als ich die Geschichte erzählte.

– leider weiß ich nicht, ob das bei anderen Kindern auch vorkommt, aber ich habe vor, das herauszufinden.

– ich glaube schon, dass sie 38,2 gemessen haben. Ich glaube nicht, dass sie dreimal gemessen haben, das halte ich für eine Notlüge, weil ich auf unsere Absprachen (s.u.) hingewiesen hab. Laut der Erzählung lief es so: sie waren draußen (also in wirklich viele Schichten Wolle verpackt), Pippi war erst nölig und brüllte dann irgendwann (sie ist nicht gern draußen wenn’s regnet und kalt ist, das gute Kind, Mama ist sehr stolz). Sie gingen rein, pellten ihr die Schichten vom Leib und maßen dann. Direkt nach dem Brüllen, direkt nachdem sie sehr warm angezogen war und gegen jede Absprache, die wir extra diesbezüglich mal getroffen hatten. Die nämlich besagte: nicht vorm Essen messen (Pippi wird schnell hangry, auch da: ganz die Mama…), nicht direkt nach dem Brüllen, nicht direkt nach dem Schlafen.

– nein, ich glaube nicht, dass Pippi eine höhere Betriebstemperatur hat. Ich glaube eher, dass ihre Körpertemperatur schnell auf alles mögliche reagiert und sie regelrecht heiß läuft. Deshalb hatten wir ja auch eine Absprache: wenn irgendwas gemessen wurde und Kind sonst normal (also nicht schlapp rumhängend) ist, nach 10 Brüllfreien Minuten noch mal messen.

– Ich stehe jetzt mit einer potentiellen Kinderfrau in Kontakt.

– Zur Geldproblematik: ich bekomme kein Arbeitslosengeld, wenn ich den PhD nicht eingereicht oder schriftlich erklärt habe, dass ich diesen nicht mehr weiter verfolgen werde. Letzteres geht aber auch nur mit Bestätigung der Uni, ich muss dann alles abgeben und komme buchstäblich nicht mehr rein. Die sind da hier sehr streng, wenn man halt PhD student ist, dann ist man das zu 100%, selbst wenn man kein Geld mehr bekommt und/oder seinen PhD abends und nachts erledigt. Alles egal. Nicht eingereicht —> keine Kohle. Deshalb muss ich spätestens am 31.12. einreichen. Es sieht ja auch alles machbar aus, käme nicht ständig so ein Scheiß dazwischen

– dass Herr Rabe die Hauptansprechperson sein könnte, habe ich auch schon überlegt. Aber vermutlich hat sich das durch meinen Ausraster am Telefon gestern eh erledigt, Norweger*Innen können ja nicht so mit Konflikten und die gehen mir jetzt wohl erstmal soweit möglich aus dem Weg.

Ansonsten lief der Tag extrem zäh an, der Tag gestern und das Arbeiten bis fast Mitternacht steckte mir noch in den Knochen und in der Psyche. Das ist wirklich so ne Sache, wenn man eh kurz vorm Durchdrehen ist, braucht’s eben nur nen kleinen Piekser und aus mir entweicht alle Luft mit einem lauten Quietscher. Und nie weiß ich, ob’s diesmal drei Wochen oder drei Stunden dauern wird, mich zu berappeln. Und unglaublich viel Kraft kostet es wirklich jedes Mal und die fehlt mir dann logischerweise an anderer Stelle. Aber heute ging es relativ fix, nach einem sehr späten Kaffee nach dem Kinder wegbringen, dann einer ausgedehnten Badrunde mit Glitzer aufmalen und ausgiebiger Beautyblender-Massage meiner geschwollenen Augenlider und dann noch lunch mit der Lieblingskollegin saß ich danach fünf Stunden lang fast ohne was anzünden zu wollen am

Mikroskop.

Abends dann Discovery mit Herrn Rabe. Viel Liebe dafür.

Tag 809 – Schon wieder.

Schon wieder bin ich an dem Punkt, von dem aus mich wieder aufzurappeln übermenschliche Kraft kostet. Was ist passiert? Der Kindergarten rief an, dass Pippi Fieber hätte. Ich fuhr sie abholen, sie war überaus fröhlich, zuhause maß ich nochmal ihre Temperatur: 37,43. Mittagsschlaf fand sie auch blöd. Ich schrieb dem Kindergarten eine SMS, dass ich sie wieder hinbringen würde, weil sie nicht krank sei und unsere Kindkrank-Tage aufgebraucht seien. Wir müssten sie also jetzt krankschreiben lassen. Das gesunde Kind. Dann rief die KiTa an und erzählte mir was von wegen „sie war schon die ganze Woche nicht in Form“ und „gestern und Montag* haben wir ja nicht Fieber gemessen“** und ich müsse das doch verstehen, sie müssten auch auf die anderen Kinder Rücksicht nehmen und wenn dann eins nölig sei und einen Erwachsenen für sich beanspruche, das ginge so eben nicht. Tja und an dieser Stelle reagierte ich dann mal wieder sehr erwachsen und konfliktfähig, brach in schluchzendes Heulen aus und kotzte alles ins Telefon. Dass es ja nicht das erste Mal*** gewesen sei, dass sie sie gesund nach Hause geschickt hätten, dass eben diese Aktionen Anfang des Jahres die Kindkrank-Tage gefressen haben, dass es jetzt eben nicht mehr so ohne Weiteres möglich ist, sie abzuholen. Dass ich unter enormem Druck stehe, weil ich bis Ende diesen Jahres diesen PhD eingereicht haben muss, weil ich sonst ab 1.1. kein Geld mehr bekomme****. Dass ich deshalb zu unmöglichen Zeiten arbeite, wenn ich tagsüber kranke Kinder betreuen muss. Dass ich erwarte, dass ein Kind, was nicht krank ist, von Ihnen betreut wird. Und dass ich VERDAMMT NOCH MAL EINFACH NICHT MEHR KANN. Dann legte ich einfach auf und rollte mich auf dem Fußboden zusammen***** und wollte am liebsten aufhören zu existieren.

Als Herr Rabe kam wollte ich eigentlich wieder zur Arbeit, stattdessen hing ich erst apathisch rum und ging dann schlafen.

Drei Tage war sie in der KiTa. Davor zwei Tage krank, drei Tage KiTa, drei Tage krank, zwei Tage KiTa… What the actual fuck.

Alles kein Zustand mehr.

Und nein, es kann keiner mal eben kommen. Wir können uns auch keinen Babysitter/Kindermädchen/AuPair leisten. Wir müssen da halt irgendwie durch. Aber vom Kindergarten ist da wohl wenig Verständnis zu erwarten.

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*Dienstag also schon.

**Vorwurfsvollen Unterton „aber wir hätten gerne“ bitte nach Gusto hinzufügen, ich habe den sehr deutlich wahrgenommen.

***Eher so das 6.

****Auch kein Arbeitslosengeld, GAR NICHTS.

*****“Mama lei sei?“ („Mama traurig?“) —> direkt nochmal 100€ in die Therapiekasse werfen

******Ich überlege wirklich, sämtliche Altersvorsorge zu streichen. Es kann nicht angehen, dass wir als Haushalt zu den Top-Verdienern gehören und am unteren Durchschnitt rumkrebsen, weil wir uns dumm und dämlich zahlen, um irgendwann mal eventuell (also, falls die Versicherungsfirmen dann noch existieren und nicht irgendeinen Weg finden, nicht zu zahlen) ein bisschen mehr Rente zu bekommen.

Tag 808 – Würdest du auch nach [random Ort einfügen] ziehen?

Ja.

(Das war ja einfach.)

Längere Antwort: Nein, ganz random nicht. Ich möchte in Europa bleiben, ich möchte irgendwo hin, wo wir auch die nächsten Jahre bleiben können, ich möchte aus Gründen nicht unbedingt nach England (sollen die erstmal klären, welche Ausländer sie mit ihrem Ausländer Raus meinen, und sich dann was für die anderen überlegen), ich kann kein Französisch, Italienisch oder Griechisch und mein Spanisch ist unterirdisch schlecht. 

Am liebsten würde ich in Skandinavien bleiben, am allerliebsten in Norwegen, aber so langsam sitze ich auf heißen Kohlen und die Verzweiflung setzt ein und besser, ich kämpfe mit der Vereinbarkeit in Deutschland, als dass ich arbeitslos in einem der teuersten Länder der Welt bin.

Soviel dazu. Dann: was würde ich denn gerne machen? Nun ja, erstmal weg aus der akademischen Welt. Ich könnte mir unter Umständen Forschung in einer Firma vorstellen, aber dann muss das ganze Drumrum auch passen und das Thema muss was sein, was ich kann und mag, also: irgendwas mit Proteinen (ich bin echt gut in Proteinanalytik und Downstream Prozessentwicklung) oder mRNA base modifications, was aber in der Industrie frühestens in 10 Jahren überhaupt wen interessieren dürfte. Am liebsten möchte ich aber nen normalen Job haben ganz raus aus der Forschung. Ich könnte mir sehr gut Qualitätsmanagement oder Regulatory Affairs für mich vorstellen, oder Medical Writing. Nur habe ich in den Bereichen keine Erfahrung vorzuweisen (QM noch am ehesten, weil die Firma, bei der ich gearbeitet habe, so miniklein war, dass alle alles machen mussten und ich dementsprechend auch SOPs und Validierungspläne und Abweichungsberichte und Risk Assessments und so Zeug eben erstellt hab), aber ich bin ja ein exceptionally fast learner, nicht wahr? 

Am allerliebsten würde ich übrigens für die gute Seite der Macht arbeiten, zum Beispiel für die EMA oder das PEI oder eben das norwegische legemiddelverket. Aber auch da ist reinkommen schwer, wenn man nur einen grotting schlechten Grundkurs in Forschungsethik hat und einen alles in einem Semester erschlagenden Kurs in Drug development, der sehr an der Oberfläche herumkratzte, was rechtliche Grundlagen für Medikamentenzulassungen betrifft.

Tja. Also wenn wer wen kennt, der wen kennt, ne? Ich kann ab Januar.

Tag 807 – Back to business.

42 mal poly(A)-RNA isoliert. Zum letzten Mal.

Eine Bewerbung geschrieben. Immerhin, nachdem ich heute morgen so müde war, dass ich die Augen kaum aufbekam, finde ich das eine Leistung.

Elterngespräch im Kindergarten. War. Ich war sehr müde und sehr gestresst und sehr dankbar, dass einer der männlichen Betreuer das Gespräch mit mir hatte. Das hat nämlich nur halb so lange gedauert, wie die zwei anderen Elterngespräche, die wir bisher da mit Frauen hatten. Kann aber genauso gut auch an meiner Wortkargheit gelegen haben. Fazit jedenfalls: Kinder sind super, ein paar Minibaustellen gibt es schon (unter anderem findet der Kindergarten, dass Pippi undeutlich spricht), aber nix, was ich dramatisch finde.

Jede Menge alte Proben, die niemand mehr braucht aufgeräumt. Aufgeräumt = weggeworfen. Ich finde das ja sehr befreiend. Auch ein paar -80er-Leichen gefunden, zum Beispiel eine ganze Box voll aufgereinigtem Bitch-Protein, mit Mutationen, ohne Mutationen, hinten trunkiert, vorne trunkiert, mit His-Tag, ohne His-Tag, Maus und Human. 

Schönen Nachmittag mit Pippi allein gehabt. Dabei ist mir aufgefallen, wie „groß“ die geworden ist. Auch ihr Gesicht hat sich verändert. Übers Wochenende, quasi (und nein, das liegt nicht nur dran, dass die Bläschenkrusten kamen und jetzt langsam wieder abklingen). Vermutlich erklärt das, wieso sie im Moment gerne mal rumpelstilzt. Nachts. 

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Pippi: „Laser Puppen?“

Ich: „?“

Pippi: „Laser Puzzeln?“

Ich: „Laser…?“

Pippi: „Mama Pippi Laser puzzeln? *zeigt auf Schnoddernase*“

Ich: „Ahh, du willst Nase putzen?“

Pippi: „Ja.“

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Über dem ganzen Hand-Mund-Fuß-Mist ist mir entgangen, dass bei Pippi eine Ecke des 5. Backenzahns durchgebrochen ist.

Viel über Freundschaft nachgedacht. Muss ich mal zu bloggen. Aber dazu jetzt zu müde.

Tag 806 – Puh.

Seltsamer Tag. Ging damit los, dass Michel ein dickes Auge hatte, das sehr ähnlich aussah, wie das, was ich in Bergen hatte. Also Vereinbarkeitsspagat mit Einbindung des Besuchs, der nach dem Arzt- und Apothekenbesuch Michel dahin brachte, wo der Kindergarten auf Ausflug war. Herr Rabe brachte Pippi mitsamt ihrer Hand-Mund-Fuß-Krusten in den Kindergarten, während wir beim Arzt waren. Dann Arbeitarbeitarbeit, zum letzten Mal Zellen mit krebserregendem Zeug behandelt, zum letzten Mal Zellen fixiert. Die Fischleute angerufen und… eine Abfuhr kassiert. “Es liegt nicht an Dir, es hatte nur jemand anders einen stärkeren Hintergrund.” Joa. Geatmet, nicht geheult, geatmet, zum letzten Mal RNA isoliert. Aus 42 Proben, für die ich versehentlich die DNAse für 50 Proben verbrauchte, so ganz konzentriert war ich also wohl nicht. 

Dann super gute Nachrichten von Frau Brüllen. Hurra! 

Während der RNA-Isoliererei schleichende Erkenntnis: Ich bin irgendwie erleichtert, dass das mit den Fischleuten nicht geklappt hat. Vermutlich hätte ich mich tatsächlich nach ein paar Jährchen da gelangweilt. Und dann wäre ich in einem Job, von dem aus ein Wechsel auch recht schwierig wäre. Insofern: kein Mitleid nötig, es ist ok. Was nicht so schön ist, ist dass ich jetzt wieder voll drinstecke in der Zukunftsangst. Aber es ist auch da ein Entschluss gereift: Wenn mich Norwegen ganz offensichtlich nicht will (ich meine, mehr als mich auf alle in Frage kommenden Stellen bewerben kann ich halt auch nicht machen), weite ich mein mögliches Gebiet ab sofort aus. Ja, auf Deutschland und die Schweiz. Ich hab auch schon von Freundinnen Stellenanzeigen geschickt bekommen, das gehe ich morgen alles mal an. Nachdem ich zum letzten Mal poly(A)-RNA angereichert habe.

Dann nach Hause, lecker gegessen, unlecker Pippi ins Bett gebracht. Brüllpippi muss derzeit mal wieder Terror machen, bevor sie dann einschlafen kann – um nach zwei Stunden wieder loszubrüllen. So schön.

Simpsons geguckt, mit Besuch und Smash und Chips, dabei Fingernägel mal wieder überaus scheiße lackiert. 

Jetzt Bett und nicht grübeln. Bekymring ist nicht.