Gestern war ich das erste mal im Indoorspielplatz. Oder sagt man auf dem Indoorspielplatz? Ich weiß nicht. Egal. Im Lekeland halt. Anlass war ein beweglicher Ferientag des Kindergartens und dass ich vor Monaten, als die beweglichen Ferientage bekannt gegeben wurden, auf Herrn Rabes Frage „Soll ich dann Urlaub nehmen…?“ leichtsinniger Weise mit „Ach was, das geht schon!“ geantwortet hatte. Dazu kam dann noch kurzfristig „Am 25. ist PayDayDinner und Dartturnier Endrunde, da muss ich spielen, ich komm nach der Arbeit und vor dem Dinner nicht nach Hause.“ . Hurra. Jackpot quasi. Mit zwei wuseligen Kindern allein zu Haus – den ganzen Tag vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-bringen. Als wir Michel letzte Woche eröffneten, dass der Kindergarten diese Woche zwei Tage zu haben würde und er die Tage mit mir und Pippi allein verbringen müsse und ich auch noch nicht wüsste, was wir dann machen würden, sagte er zuerst, er wolle zu Brutus. Und dann, als ich sagte, das ginge nicht so einfach, „Splielplatz elleicht… Elleicht Einkaufen…“ Einkaufen, ja, guter Plan, nur leider nicht tagesfüllend. Und dann war das Wetter gestern auch noch Ultra kacke, sodass Spielplatz beim besten Willen auch nicht drin war. Und verrotzt sind die Rübennasen ja auch noch, also auch kein Schwimmbad. Hilfe! Letzter Ausweg: Indoorspielplatz.
Inzwischen bin ich ja schlau (oder fies, wie mans nimmt) und sagte Michel erstmal gar nichts. Ich packte uns ein bisschen Proviant ein (Michel wunderte das gar nicht groß, dass wir Brotdosen zum Einkaufen mitnahmen. Hauptsache, er durfte die Dose mit den Gurken halten), stopfte heimlich Michels Stoppersocken in meinen Rucksack und dann gingen wir einkaufen. Mit dem Bus zum Shoppingcenter, da in den Supermarkt, Gedön kaufen und für jeden noch einen Snack. Dann setzten wir uns auf ein Sofa und aßen unseren Proviant bis auf zwei Bananen komplett auf, Michel verschüttete meinen Tee auf dem Sofa (Glücklicherweise Fake-Leder) und krümelte alles mit seinem Croissant voll, Pippi kaute glücklich an einem Stück Birne und schluckte vielleicht 1% davon runter, der Rest landete überall und dann war da noch die Sache mit den Lolliverteilenden Werbeheinis, die Michel übersahen, kurz: danach war ich im Eimer. Aber so richtig. Mein Körper schrie nach Kaffee. Also fragte ich Michel, ob er Lust auf Lekeland hätte, so ein ähnliches, wie sie letztens mit dem Kindergarten besucht hatten (und wonach Michel im Kindergarten eingeschlafen ist, hähähä…) gäbe es hier auch. Natürlich war er gleich Feuer und Flamme. Welcher Dreijährige wäre das nicht? Und der Eingang: ein riesiges, aufgerissenes Haifischmaul! Sooooo toll! Innerlich brülle ich „Für Kaffee!!!“, während ich mich in das Haifischmaul stürze.
Wir sind drin. Es mieft. Nach Turnhalle irgendwie. Käsefuß, Kinderpups und Weichbodenmatte. Nicht nach Kaffee. Aber ich kann eine Café-Nische sehen. Erst noch Schuhe ausziehen. Ich pelle den total zappeligen Michel aus zwei von drei Schichten Kleidung. Die Stoppersocken vergesse ich im Rucksack. Michel rast los. Ich hinterher, den Kinderwagen strategisch günstig direkt an der Caféecke geparkt, nehme Pippi raus, drehe mich zum Café… „MAMA! Daaaa! Boooot mit Kanoooonen! Komm! Komm jetzt, Mama!“. Ich zwinkere der Kaffekanne ein kurzes „Bis gleich!“ zu und schlurfe zu dem Boot. Tatsächlich. Da ist ein halbes Piratenboot. Mit Luftdruckkanonen drauf, mit denen man Schaumstoffbälle abschießen kann. Der innere Pazifist in mir winkt verzweifelt mit seinem weißen Fähnchen aber gegen Michels leuchtende Augen hat er keine Chance. Wir quetschen uns alle drei durch die Lamellenpforte. An den Kanonen angekommen erringt mein innerer Pazifist einen Teilsieg, weil ich nicht rausfinden kann, wie die Dinger funktionieren. Erst als eine andere Mama mir sagt „Das da ist kaputt. Da einfach reinstecken und dann auf den Knopf drücken… Neineinein, DEN Knopf DA!… Ja, so geht’s.“ schaffe ich, was die meisten Vierjährigen intuitiv hinbekommen und schieße einen Ball ab. Michel flippt völlig aus. Pippi setze ich auf den Boden, sie strahlt mich an und kann sich scheinbar nicht entscheiden, welchen der herumliegenden Bälle sie zuerst mit ihrem Schnodder beschmieren soll. Michel schleppt drölfzig Bälle an, mit denen muss ich dann die Kanone beladen, er schießt. Am meisten freut er sich, wenn er mehrere Bälle auf einmal abschießt. So spielen wir, Pippi sabbert Schaumstoffbälle an und fügt deren sicher bereits bunter Keimflora noch ihre eigenen Bazillen hinzu, ich bin Pinky, Michel ist Käpt’n Säbelzahn, dann ist er Pinky und ich bin Käpt’n Säbelzahn, ich habe keine Ahnung worum es geht, aber Michel ist im siebten Himmel. Plötzlich stürzt er los, raus aus dem Lamellenloch, hält sich den Schritt. Ich schnappe mir Pippi, die grad dabei war, mit dem Finger ein Loch in einen Ball zu prökeln, und stürze hinterher. „Mamaaaaa! Klo, SOFORT!“ ruft Michel. Ich dirigiere ihn leicht panisch zum Klo „für kleine Piraten und Prinzessinen“, kotze kurz innerlich ein bisschen als ich das lese, wir schaffen es rechtzeitig und dank niedriger Klos kann Michel sich alleine hinsetzen. Das Klo könnte sauberer sein und weniger nach Kinderpipi riechen. Hände waschen geht fix: Michel will sofort wieder zu den Kanonen.
Ich will weiterhin Kaffee. Der Kompromiss ist die Babyecke neben dem Café. Hier sitzen schon einige Mamas mit Babys, die allesamt leicht abgeranzte Riesenspielwürfel besabbern. Ein paar etwas größere Kinder beklettern die Minirutsche. Es gibt noch ein etwas miefiges Bällebad, in das stürzt sich Michel direkt. Pippi krabbelt ein bisschen herum, will aber scheinbar nur andere Kinder beobachten. Sie guckt sich förmlich die Augen aus dem Kopf. Ich auch: der Kaffee ist in Sichtweite. Das nimmt Junkiehafte Züge an. Ich überlege, ob ich beide Kinder einfach kurz den anderen Mamas…? „Mama, guck mal!“ Michel hopst vom Rand ins Bällebad. Pippi versucht sich am Rand des Bällebads hochzuziehen. Ich stelle sie hin. Jetzt ist sie im siebten Himmel. Die anderen Muttis versuchen, Konversation mit mir zu betreiben. Pippi fällt um. Michel rutscht einem anderen Kind fast auf den Kopf. „Jaja, sieben Monate.“ Ich stelle Pippi wieder hin. Michel baut einen Turm aus den Riesenwürfeln. „Ja, hm, früh dran… Michel, sei vorsichtig da, hier sind überall Babies!“ Michel schmeißt den Turm um. Das einzige Baby das er trifft, ist Pippi. Sie fällt um. „Komm, Mama!“ Michel will wieder zu den Kanonen. Ich schaffe es, ihn davon zu überzeugen, alleine da hinzugehen, von hier kann ich ihn ja sehen. Die anderen Muttis sind plötzlich sehr in einem Gespräch unter sich vertieft. Auch gut. Mit Konversation hab Ichs nicht so ganz. Pippi krabbelt rum. Guckt die anderen Babies an. Guckt und guckt und guckt. Kommt angekrabbelt, versucht sich an mir hochzuziehen. Sie ist müde. Ich schnappe sie mir und gehe zu Michel, der grad aus dem Boot kommt.
„Michel, ich muss einmal Pippi wickeln, möchtest du mitkommen?“ Dämliche Frage von mir. Natürlich will er. Ich schnappe meinen Rucksack. Auf dem Weg zum Wickelraum kommen wir am Kino vorbei. Michel gravitiert automatisch ins Kino. Es läuft eine norwegische Fassung von Doc MacStuffins und ich frage mich kurz, woher ich weiß, was das ist. Weiß es nicht. Spreche mit Michel ab, dass ich Pippi wickeln gehe und er so lange Film gucken kann. Gehe Pippi wickeln, auch der Wickelraum könnte sauberer sein und als ich den Windeleimer öffne um die Windel zu entsorgen, schlägt mir ein infernalischer Gestank entgegen. Welchen ich ignoriere und durch sehr flaches Atmen zu verdrängen versuche, schnell mit Pippi auf dem Schoß selbst aufs Klo gehe und dann sehr schnell den Raum verlasse. Puh. Michel sitzt noch im Kino. Ich soll reinkommen, sagt er. Pippi hat Hunger. Ich sage ihm, dass ich keine Lust auf Film habe, dass ich Pippi stillen will und ihn dann abhole. Ok, sagt er.
Ich suche mir eine Ecke, in der ich mit Pippi sitzen kann, aber den Eingang des Kinos im Blick habe. Beim Stillen schlafe ich fast ein. Pippi schläft nicht nur fast ein.
Michel kommt aus dem Kino und rennt zum Klo. Hämmert an die Tür. Er denkt, ich sei da drin. Ich rufe, aber er hört mich nicht. Pippi nuckelt noch. Ich tue, was ich mir mal geschworen hatte, niemals in der Öffentlichkeit zu tun und gehe leicht vornübergebeugt mit dem angedockten Baby los um Michel zu retten. Als ich am Kinderwagen angekommen bin (direkt neben dem Café, Sie erinnern sich?), sieht er mich. Ich tarne die Aktion als eine weniger panikartige indem ich souverän Pippi abdocke, blitzschnell die Brust unter dem Shirt verschwinden lasse und Pippi in den Kinderwagen bugsiere. Sie schläft weiter. Michel sieht die Donuts und behauptet, er hätte Hunger. Das ist meine Gelegenheit! Ich kaufe einen Donut, einen Muffin und EINEN KAFFEE! Mir ist völlig egal, dass der Kaffee mal wieder eher schlecht ist. Hauptsache, er wirkt! Das tut er. Der Tag hat einen Sinn.
Michel will wieder zu den Kanonen. Das kann doch nicht sein, dass er von ca. 10 Sachen hier nur mit einer spielen will. Die große Rutsche vielleicht? Er traut sich nicht. Vom Kaffee beflügelt, biete ich ihm an mit ihm zu rutschen. Das ist ok. Zuerst rutscht er vor mir und ich halte ihn fest. Dann rutschen wir nebeneinander und halten uns an der Hand. Dann rutschen wir nebeneinander ohne festhalten. Und dann rutscht er alleine. Ich bin ganz stolz, dass er sich jetzt traut. Er rutscht ca. eine Million mal. Pippi wird wach und wir sehen Michel beim Rutschen zu. Sein Gesicht ist schon ganz rot vor Anstrengung und Spaß. Ich gehe mit Pippi wieder in die Babyecke. Sie guckt und steht und guckt und krabbelt und guckt und sabbert und guckt. Michel rutscht und rutscht und rutscht. Zwischendurch ruft er zu mir rüber: mit meinem Vornamen! Hat er geschnallt, dass es keinen Sinn macht, zusammen mit 40 anderen Kindern nach „Mama!!!“ zu rufen? Vielleicht. Ich sinniere vor mich hin. Pippi sieht schon recht fertig aus. Zu viel zu gucken. Gleich schmurgelt Ihre Birne durch, statt neue Synapsen zu machen. Michel sieht aus wie ein Feuermelder. Mit einem Mal trägt er Schaumstoffkanonenkugeln zur Rutsche. Ich interveniere. Hauptsächlich daran, dass er überhaupt nicht protestiert mache ich fest: Zeit zu gehen. Michel muss noch kurz den Kanonen Tschüss sagen. Und dann noch mal rutschen. Zum Abschied.
220 Kronen, plus 70 im Café. Dafür, dass Michel als erstes heute morgen Herrn Rabe vom Boot und den Kanonen und dem großen Hai und so Puffpuff und große Rutsche ganz schnell erzählt hat.
War ganz ok, glaub ich.