Fortsetzung vom gestrigen Beitrag, mal gucken ob ich heute durch komme mit erzählen.
Ich war also angekommen und mit meinen nassen Hosenbeinen in bester Gesellschaft. Die anderen waren – bis auf einen, der mit dem Fahrrad gefahren war – auch alle durchs Moor gestapft. Sie hatten schon die Grünen-Fahne gehisst und saßen beim Mittagessen, wohlverdient und 2 Stunden hinter dem Plan. Tjanun. Von dem Politiker mit dem lustigen Namen war ich ein bisschen star struck und bekam nicht viel heraus, außerdem war ich wie gesagt in erster Linie durstig, in zweiter hungrig und in dritter nass. Nach zwei Scheiben Brot zog es sich draußen aber bedrohlich zu, wir packten also alles zusammen und zogen in die Hütte um. Da drin war es sehr klassisch hüttenmäßig. Kein Wasser, keine Elektrizität (außer das was von einem ganz kleinen Solarpanel draußen geliefert wurde, was mit dem Regenwolkenhimmel quasi nichts war), keine Heizung, einziger Luxus ein gasbetriebener Kühlschrank und ein Gasherd. Wir machten in der Stube also erst mal den Ofen an, 15 Grad Innentemperatur sind für Leute mit nassen Füßen jetzt nicht grad gemütlich. Der Ofen war leider relativ wenig effektiv, weshalb wir auch die Kinder schickten, in den Zimmern, in denen Leute schlafen sollten, schon mal Feuer zu machen. Bald stapelten sich vor dem Ofen in der Stube auch ein Haufen Schuhe, um sie, wenn schon nicht trocken, doch wenigstens warm zu kriegen. Meine Füße waren trotzdem wie Eis, ich hatte ja auch noch die nassen Socken und die nasse Hose an. Unterm Tisch rubbelte ich die Füße aneinander.
Dann hatten wir 2 Stunden Session über den jetzt beginnenden Wahlkampf. Im September sind Kommunalwahlen (und Fylkesting, aber wen interessiert der schon). Ich glaube ich sagte so drei Sätze, aber dem Politiker mit dem lustigen Namen hätte ich, schon allein wegen seiner überaus angenehmen Stimme, stundenlang zuhören können. Ich wollte auch, dass der Parteichef wird, als die vorherige Parteichefin wegen Burnout das Amt niedergelegt hat, aber es wurde dann ein anderer. Aber ich schweife ab, wir sprachen über Wahlkampf und wir stellten fest, dass wir eigentlich alle in der Partei sind und uns da engagieren, nicht etwa, weil wir so gerne im Rampenlicht stehen oder Politik und Debattieren so geil finden, im Gegenteil, die meisten von uns finden das eigentlich furchtbar. Aber wir haben alle das Gefühl, das zu müssen, weil sonst irgendwie alle nur sagen, dass wir jetzt aber mal echt dringend das Klima retten müssen, aber nichts tun. Nach dieser Erkenntnis merkte ich, dass ich langsam abschaltete, zu viel Leute, zu seltsame Situation, in die ich auf nicht geplante Art gelangt war. Ich bin sicher, die anderen hatten noch fruchtbare Diskussionen. Ich hab die Bäume draußen angeguckt und immer mal wieder ein Holzscheit in den Ofen gesteckt und Schuhe durchgetauscht, damit alle mal in der ersten Reihe stehen können.
Danach war es auch schon Zeit zum Abendessen. Ich hätte eigentlich auch da schon gehen können, weil ich platt war, aber ich wollte nicht unhöflich sein. Es wurden Burger aus Lammgehacktem gemacht. Es gab auch vegetarische Burger, aber, und das wird jetzt vielleicht schockieren, wir aßen alle das Fleisch. Alle. Niemand dort war nämlich echte*r Vegetarier*In, und wenn man Fleisch in vernünftiger Qualität und aus verantwortungsvoller Quelle angeboten kriegt, sagt von den dort Anwesenden niemand nein. Der Politiker mit dem lustigen Namen war ganz aus dem Häuschen, er meinte, das sei das erste mal, dass er bei einer Grünen-Veranstaltung ist, wo alle Fleisch essen.
(Abschweifung: Norweger*Innen salzen irgendwie sehr binär. Entweder es ist so salzig, dass man nichts anderes mehr schmeckt (Fertiggerichte zu 90%, Kantinenessen auch oft) oder es ist zu wenig Salz dran. Viel zu wenig Salz ist in allen Broten, insbesondere selbst gebackenen, aber auch die Burgerpatties hätten noch eine gute Portion mehr Salz vertragen können.)
Ich half beim Kochen ein bisschen mit, hauptsächlich, weil der Politiker mit dem lustigen Namen und der angenehmen Stimme das auch tat, und kam so in den zweifelhaften Genuss der Erfahrung, Zwiebel mit einem Brotmesser zu schneiden. Es waren keine anderen Messer da. Merke – auch auf Hüttentouren eigene Messer mitnehmen.
Nach dem Essen, also ca. in der Sekunde, in der die letzte Gabel hingelegt wurde, fragte M., die auch nicht übernachten wollte und dementsprechend auch zum Windrad zurück musste, ob wir gehen wollen. Nie war ich dankbarer, es war echt schon hart an der Grenze des für mich machbaren. Was ich nicht auf dem Schirm hatte, war, dass der Politiker mit dem lustigen Namen mit ihr mitfahren sollte. Also gingen wir zu dritt. Die beiden kennen sich schon länger und unterhielten sich gut und ich konnte ein bisschen mehr in den Wald gucken und atmen und langsam runterkommen. Das war schön.
Wir gingen zurück einen anderen Weg. Nicht durchs Moor. Der Weg war so einfach zu gehen, dass wir uns für den Hinweg auch gleich noch mal leid taten, allerdings waren wir auch einig, dass der, wenn man nicht weiß, wo der von der Straße abgeht (was man ja nicht weiß, wenn man da noch nie war), nicht wirklich zu finden ist. Aber 15 Minuten über einen deutlich erkennbaren, trockenen! Trampelpfad im Wald (ok, ein bisschen hoch und runter und Wurzeln und Steine sind da schon auch, aber absolut kein Vergleich zum Hinweg!) und 15 Minuten Schotterstraße ist doch ein erheblicher Unterschied zu den 1,5 Stunden querfeldein durch unwegsames Gelände vom Hinweg. Wir waren sehr angetan von dem Weg.
Am Windrad machten der Politiker mit dem lustigen Namen und ich noch Selfies mit dem Windrad, unter anderem, wie wir das Windrad anfassen. Wir fotografierten auch den kompletten Windpark, der ist nämlich schon echt groß und wird noch weiter ausgebaut. Und wir waren uns einig: natürlich ist das ein Eingriff in die Natur, nicht mal so sehr das Windrad selbst, aber all die Zufahrtswege. Natürlich macht so ein Windrad auch ein Geräusch. Es ist aber schon in ca. 100 m Entfernung nicht mehr vom allgemeinen Waldrauschen zu unterscheiden und selbst direkt darunter stehend ist es auch nicht lauter als der Wind in den Ohren selbst. Wind macht eben ein Geräusch, bzw. wahrscheinlich eigentlich nicht, sondern Wind, der am Ohr oder anderen Dingen vorbeirauscht und dabei Turbulenzen verursacht, macht ein Geräusch. Man möge mich korrigieren. Vielleicht gibt es geeignetere Orte für Windräder, aber ein unbewohnter Hügelkamm ist jetzt nicht so unbedingt das allerschlimmste. Wenn wir vielleicht die geschotterten Zufahrtswege noch minimieren oder durch irgendeine andere Lösung ersetzen könnten, wäre das spitze.
Nun denn, ich stieg also ins Auto ein und… es zeigte 26 km Restreichweite an. Ich war definitiv mehr als 26 km von zu Hause entfernt. Allerdings ist diese Anzeige bei Cardos auch eher so eine grobe Schätzung und hat oft mit der Realität nicht viel zu tun. Die anderen beiden sagten, sie fahren hinter mir, falls ich liegen bleibe. Das war sehr nett.
Erst mal rollte ich aber gemütlich vom Berg runter. Eigentlich ging es bis zur nächsten großen Straße nur bergab und als ich unten angekommen war, hatte ich bereits 36 km Reichweite. Den Rest der Strecke fuhr ich so gleichmäßig wie möglich. 60 km/h, auch da wo 80 gewesen wäre, stoisch die immer länger werdende Schlange Autos hinter mir ignorierend. Als ich anfing, Orte zu erkennen (den Hof, bei dem die Sporthort-Kinder manchmal sind und Pferde streichen dürfen zum Beispiel) und noch zweistellige Restreichweite hatte, atmete ich gefühlt seit 40 Minuten das erste mal aus. Zu Hause kam ich dann an mit 9 km. Da blinkt das Auto innen wie eine Kirmes, dass man es auf jeden Fall laden soll. Was ich dann auch tat.
Zu Hause zog ich als allererstes Schuhe, Socken und Hose aus (Schuhe und Socken weiter leicht feucht) und berichtete kurz vom Tag. Brachte danach Michel ins Bett. Ich glaube, ich bin noch vor ihm eingeschlafen.
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Fortsetzung von Tag 2 folgt, mir fallen die Augen zu.