Tag 2876 – Weiter sehr grün – Fortsetzung.

Fortsetzung vom gestrigen Beitrag, mal gucken ob ich heute durch komme mit erzählen.

Ich war also angekommen und mit meinen nassen Hosenbeinen in bester Gesellschaft. Die anderen waren – bis auf einen, der mit dem Fahrrad gefahren war – auch alle durchs Moor gestapft. Sie hatten schon die Grünen-Fahne gehisst und saßen beim Mittagessen, wohlverdient und 2 Stunden hinter dem Plan. Tjanun. Von dem Politiker mit dem lustigen Namen war ich ein bisschen star struck und bekam nicht viel heraus, außerdem war ich wie gesagt in erster Linie durstig, in zweiter hungrig und in dritter nass. Nach zwei Scheiben Brot zog es sich draußen aber bedrohlich zu, wir packten also alles zusammen und zogen in die Hütte um. Da drin war es sehr klassisch hüttenmäßig. Kein Wasser, keine Elektrizität (außer das was von einem ganz kleinen Solarpanel draußen geliefert wurde, was mit dem Regenwolkenhimmel quasi nichts war), keine Heizung, einziger Luxus ein gasbetriebener Kühlschrank und ein Gasherd. Wir machten in der Stube also erst mal den Ofen an, 15 Grad Innentemperatur sind für Leute mit nassen Füßen jetzt nicht grad gemütlich. Der Ofen war leider relativ wenig effektiv, weshalb wir auch die Kinder schickten, in den Zimmern, in denen Leute schlafen sollten, schon mal Feuer zu machen. Bald stapelten sich vor dem Ofen in der Stube auch ein Haufen Schuhe, um sie, wenn schon nicht trocken, doch wenigstens warm zu kriegen. Meine Füße waren trotzdem wie Eis, ich hatte ja auch noch die nassen Socken und die nasse Hose an. Unterm Tisch rubbelte ich die Füße aneinander.

Dann hatten wir 2 Stunden Session über den jetzt beginnenden Wahlkampf. Im September sind Kommunalwahlen (und Fylkesting, aber wen interessiert der schon). Ich glaube ich sagte so drei Sätze, aber dem Politiker mit dem lustigen Namen hätte ich, schon allein wegen seiner überaus angenehmen Stimme, stundenlang zuhören können. Ich wollte auch, dass der Parteichef wird, als die vorherige Parteichefin wegen Burnout das Amt niedergelegt hat, aber es wurde dann ein anderer. Aber ich schweife ab, wir sprachen über Wahlkampf und wir stellten fest, dass wir eigentlich alle in der Partei sind und uns da engagieren, nicht etwa, weil wir so gerne im Rampenlicht stehen oder Politik und Debattieren so geil finden, im Gegenteil, die meisten von uns finden das eigentlich furchtbar. Aber wir haben alle das Gefühl, das zu müssen, weil sonst irgendwie alle nur sagen, dass wir jetzt aber mal echt dringend das Klima retten müssen, aber nichts tun. Nach dieser Erkenntnis merkte ich, dass ich langsam abschaltete, zu viel Leute, zu seltsame Situation, in die ich auf nicht geplante Art gelangt war. Ich bin sicher, die anderen hatten noch fruchtbare Diskussionen. Ich hab die Bäume draußen angeguckt und immer mal wieder ein Holzscheit in den Ofen gesteckt und Schuhe durchgetauscht, damit alle mal in der ersten Reihe stehen können.

Danach war es auch schon Zeit zum Abendessen. Ich hätte eigentlich auch da schon gehen können, weil ich platt war, aber ich wollte nicht unhöflich sein. Es wurden Burger aus Lammgehacktem gemacht. Es gab auch vegetarische Burger, aber, und das wird jetzt vielleicht schockieren, wir aßen alle das Fleisch. Alle. Niemand dort war nämlich echte*r Vegetarier*In, und wenn man Fleisch in vernünftiger Qualität und aus verantwortungsvoller Quelle angeboten kriegt, sagt von den dort Anwesenden niemand nein. Der Politiker mit dem lustigen Namen war ganz aus dem Häuschen, er meinte, das sei das erste mal, dass er bei einer Grünen-Veranstaltung ist, wo alle Fleisch essen.

(Abschweifung: Norweger*Innen salzen irgendwie sehr binär. Entweder es ist so salzig, dass man nichts anderes mehr schmeckt (Fertiggerichte zu 90%, Kantinenessen auch oft) oder es ist zu wenig Salz dran. Viel zu wenig Salz ist in allen Broten, insbesondere selbst gebackenen, aber auch die Burgerpatties hätten noch eine gute Portion mehr Salz vertragen können.)

Ich half beim Kochen ein bisschen mit, hauptsächlich, weil der Politiker mit dem lustigen Namen und der angenehmen Stimme das auch tat, und kam so in den zweifelhaften Genuss der Erfahrung, Zwiebel mit einem Brotmesser zu schneiden. Es waren keine anderen Messer da. Merke – auch auf Hüttentouren eigene Messer mitnehmen.

Nach dem Essen, also ca. in der Sekunde, in der die letzte Gabel hingelegt wurde, fragte M., die auch nicht übernachten wollte und dementsprechend auch zum Windrad zurück musste, ob wir gehen wollen. Nie war ich dankbarer, es war echt schon hart an der Grenze des für mich machbaren. Was ich nicht auf dem Schirm hatte, war, dass der Politiker mit dem lustigen Namen mit ihr mitfahren sollte. Also gingen wir zu dritt. Die beiden kennen sich schon länger und unterhielten sich gut und ich konnte ein bisschen mehr in den Wald gucken und atmen und langsam runterkommen. Das war schön.

Wir gingen zurück einen anderen Weg. Nicht durchs Moor. Der Weg war so einfach zu gehen, dass wir uns für den Hinweg auch gleich noch mal leid taten, allerdings waren wir auch einig, dass der, wenn man nicht weiß, wo der von der Straße abgeht (was man ja nicht weiß, wenn man da noch nie war), nicht wirklich zu finden ist. Aber 15 Minuten über einen deutlich erkennbaren, trockenen! Trampelpfad im Wald (ok, ein bisschen hoch und runter und Wurzeln und Steine sind da schon auch, aber absolut kein Vergleich zum Hinweg!) und 15 Minuten Schotterstraße ist doch ein erheblicher Unterschied zu den 1,5 Stunden querfeldein durch unwegsames Gelände vom Hinweg. Wir waren sehr angetan von dem Weg.

Am Windrad machten der Politiker mit dem lustigen Namen und ich noch Selfies mit dem Windrad, unter anderem, wie wir das Windrad anfassen. Wir fotografierten auch den kompletten Windpark, der ist nämlich schon echt groß und wird noch weiter ausgebaut. Und wir waren uns einig: natürlich ist das ein Eingriff in die Natur, nicht mal so sehr das Windrad selbst, aber all die Zufahrtswege. Natürlich macht so ein Windrad auch ein Geräusch. Es ist aber schon in ca. 100 m Entfernung nicht mehr vom allgemeinen Waldrauschen zu unterscheiden und selbst direkt darunter stehend ist es auch nicht lauter als der Wind in den Ohren selbst. Wind macht eben ein Geräusch, bzw. wahrscheinlich eigentlich nicht, sondern Wind, der am Ohr oder anderen Dingen vorbeirauscht und dabei Turbulenzen verursacht, macht ein Geräusch. Man möge mich korrigieren. Vielleicht gibt es geeignetere Orte für Windräder, aber ein unbewohnter Hügelkamm ist jetzt nicht so unbedingt das allerschlimmste. Wenn wir vielleicht die geschotterten Zufahrtswege noch minimieren oder durch irgendeine andere Lösung ersetzen könnten, wäre das spitze.

Nun denn, ich stieg also ins Auto ein und… es zeigte 26 km Restreichweite an. Ich war definitiv mehr als 26 km von zu Hause entfernt. Allerdings ist diese Anzeige bei Cardos auch eher so eine grobe Schätzung und hat oft mit der Realität nicht viel zu tun. Die anderen beiden sagten, sie fahren hinter mir, falls ich liegen bleibe. Das war sehr nett.

Erst mal rollte ich aber gemütlich vom Berg runter. Eigentlich ging es bis zur nächsten großen Straße nur bergab und als ich unten angekommen war, hatte ich bereits 36 km Reichweite. Den Rest der Strecke fuhr ich so gleichmäßig wie möglich. 60 km/h, auch da wo 80 gewesen wäre, stoisch die immer länger werdende Schlange Autos hinter mir ignorierend. Als ich anfing, Orte zu erkennen (den Hof, bei dem die Sporthort-Kinder manchmal sind und Pferde streichen dürfen zum Beispiel) und noch zweistellige Restreichweite hatte, atmete ich gefühlt seit 40 Minuten das erste mal aus. Zu Hause kam ich dann an mit 9 km. Da blinkt das Auto innen wie eine Kirmes, dass man es auf jeden Fall laden soll. Was ich dann auch tat.

Zu Hause zog ich als allererstes Schuhe, Socken und Hose aus (Schuhe und Socken weiter leicht feucht) und berichtete kurz vom Tag. Brachte danach Michel ins Bett. Ich glaube, ich bin noch vor ihm eingeschlafen.

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Fortsetzung von Tag 2 folgt, mir fallen die Augen zu.

Tag 2875 – Weiter sehr grün.

Die letzten zwei Tage hatte ich ein Grünen-Seminar. In einer Hütte im Wald, wo 2015 (oder 2017?) auch die Reality-Show „Farmen“ gedreht wurde. Die Hütte im Wald ist eigentlich ganz gut angebunden, aber der Weg, so wurde uns gesagt, ist gesperrt wegen Eis und Schnee. Wir könnten da an der Schranke parken und die restlichen 4 km laufen, oder wir könnten „über Odal“ fahren, am Windrad parken und runter zur Hütte laufen. Bei diesen Optionen dachten wir irgendwie alle, die zweite Option sei wesentlich kürzer und schneller als der 4 km Marsch. Geben Sie ruhig zu, dass Sie das auch dachten.

Aus Gründen fuhr ich etwas später als der Rest. Ich musste also meinen Weg „über Odal“ zu dem Windrad allein finden. Da die Hütte nur ca. 20 km entfernt ist, nahm ich Cardos.

Und fuhr. Und fuhr. Und fuhr. Weit mehr als 20 km, und war immer noch nicht in Odal. Gefühlt war ich fast in Schweden. Mein Zeitplan löste sich in Schall und Rauch auf. Aber irgendwann, nach 50 Minuten Gegurke, stand ich tatsächlich vor einer Schranke mit Zahlenschloss, wie die Wegbeschreibung gesagt hatte.

Nur ging der Code nicht. Hmm, dachte ich, bestimmt bin ich an der falschen Schranke. Bestimmt haben die hier für jedes Windrad ne eigene Schranke oder so und ich war dank mangelndem Orientierungssinn einfach an der falschen.

Also fuhr ich zurück. Das Auto meinte, es sei zu 50% leer gefahren, aber es waren keine weiteren Schranken aufzufinden. Eine aus der Gruppe schrieb, das müsse die richtige Schranke sein. Es gebe keine andere. Aber das Schloss sei hakelig. Ich war nur Nanosekunden davor, einfach wieder nach Hause zu fahren, drehte aber um, fuhr die 5 km zur Schranke zurück (die Batterie sagte 40%) und rupfte unwirsch am Schloss herum, das – oh Wunder – aufploppte.

Grummelnd fuhr ich die restlichen 5 km zu Windrad 1. Da parkten eine Reihe weiterer Autos, ich schien also richtig zu sein.

Mein Kontakt schrieb, ich solle einfach immer an der Hochspannungsleitung lang gehen. Das sagte auch die Wegbeschreibung. Nun ist es aber ja so, dass eine Hochspannungsleitung zwei Endpunkte hat. Und ich habe keinen Orientierungssinn, wie bereits erwähnt, und kann mit „Richtung Eidsvoll“ einfach gar nichts anfangen, wenn man Eidsvoll nicht sehen kann. Ergo ging ich erst mal ein paar hundert Meter in die falsche Richtung.

„Gehen“. Ich kraxelte über die Geröllhügel, über die so Hochspannungsleitungen halt gerne mal gehen. Wir sind ja hier auch in Romerrike, das für seine sanft-hügelige Landschaft bekannt ist. Unten am Geröllhügel 1 war außerdem sehr nasser Lehmboden, der bekanntlich sehr rutschig ist. Aber auch weich, wenn man drauf fällt, das weiß ich jetzt. Danach war mein Po etwas feucht, aber was soll’s, ich hatte ne olle Jeans an.

Oben auf Geröllhügel 2 sah ich nach unten. Das sah NICHT aus, als könne man da mit Kindern, wie die vorausgehende Gruppe, runter steigen. Mit einem ausgeklügelten System aus Sonnenstand und Google Maps bestimmte ich, dass ich auf dem Weg von Eidsvoll weg war. Also kraxelte ich den Geröllhügel wieder runter und kraxelte in die andere Richtung los.

Nach ein paar hundert Metern in die andere Richtung fiel mir auf, dass meine AirPods weg waren. Nicht, dass ich Musik hören wollte, es fiel mir einfach auf, als ich auf die Tasche klopfte. F***, dachte ich erst, dann fiel mir ein, dass ich ja ausgerutscht war, da waren sie mir bestimmt aus der Tasche gefallen. „Find my“ bestätigte diesen Verdacht. Also ging ich zurück und tatsächlich – da lagen meine AirPods ganz friedlich im Moos, genau neben dem Abdruck von meinem Hintern und der Rutsch-Spur von meinem Fuß im Lehm. Schwein muss eine haben.

Also wieder zurück. Inzwischen war ich eine halbe Stunde herumgelaufen ohne irgendeinen Streckenfortschritt zu machen. Tjanun. Aus mir wird in diesem Leben keine Orientierungsläuferin mehr.

Ab da ging es „einfach“ an der Hochspannungsleitung lang. „Einfach“, weil eine Hochspannungsleitung wenig Rücksicht auf Bodenbeschaffenheit nimmt. Ich erklomm deshalb mehrere weitere Geröllhügel, stapfte durch kleine Waldabschnitte (weil es zum Beispiel streckenweise zu steil war, um direkt über das Geröll zu klettern) mit sehr dickem, sehr nassen Moos und bekam nasse Füße und musste schon da sehr lachen über mich und diese absurde Situation, wie ich da, völlig unvorbereitet, allein, in Jeans, T-Shirt und Barfuß-Halbschuhen Wege gehe, die hartgesottenen (Deutschen) Wanderer*Innen vermutlich den Schweiß auf die Stirn treiben würden.

Dann stand ich vorm Moor. Da ging die Trasse einfach drüber. Ich erwog meine Optionen, quer durch oder drum rum, und wählte drum rum. Aber nicht großräumig genug, und ich sackte mehrmals wirklich gruselig tief ein. Immerhin blieb keiner meiner Schuhe stecken, das passierte wohl der anderen Gruppe. Ich musste mehrmals sehr laut lachen, es stand zwischen Lachen und sich hinsetzen und aufgeben und auf den Bären warten, der mich fressen kommt. Oder den Wolf. Oder den Vielfraß. Oder den Luchs. Die ganze Situation schrie versteckte Kamera. Irgendwann war ich aber um das Moor herum und kraxelte, jetzt mit quatschenden Schuhen und klitschnassen Hosenbeinen, wieder Geröllhügel hoch. Ich beschloss zeitgleich, mir um den Rückweg vorerst keine Gedanken zu machen, mich gegebenenfalls aber strikt zu weigern, den selben Weg noch mal zu gehen.

Drei Hügel und ein weiteres Moor später konnte ich einen Weg sehen, der mich laut Google Maps und der Wegbeschreibung zu der Hütte bringen sollte. Hurra! Ein letzter, sehr gruseliger, weil sehr steiler, Abstieg und ich war auf einem befestigten, erkennbaren Weg!

Inzwischen war ich seit eineinhalb Stunden unterwegs.

Der letzte km des Weges ging über besagten Weg und ich konnte zwischendurch das Eis und den Schnee, die Schuld waren, dass man da nicht fahren konnte, bewundern. Es sind so etwa 5 Meter Weg, auf denen noch ca. 2 cm Restschnee pappt. Der ist schon so nass (ich hatte ja eh schon nasse Füße), dass er sich sofort zu Matsch verdichtet, wenn man drüber läuft. Wahrscheinlich würden 2 Autos schon helfen, die einmal drüberfahren und das ganze ein bisschen verteilen und ein bisschen Energie aussetzen, dann wäre dieser Schneefleck Geschichte.

Nach 1 Stunde 45 Minuten Odyssee kam ich, sehr grün riechend und nass bis zum Knie, an der Hütte an – und bekam einen kleinen Schrecken, weil ein *hust* überaus attraktiver *hust* Stortingspolitiker mit einem Namen, der darauf hindeutet, dass seine Eltern nicht so viel Rücksicht darauf genommen haben, dass das Kind gemobbt werden könnte, auch da war. Ich kollabierte erst mal fast am Esstisch im Garten und schüttete einen Liter Wasser in mich rein – ich war wirklich vollständig unvorbereitet auf diese Tour aufgebrochen und hatte nicht mal Wasser dabei. Ich hätte bestimmt Moos auspressen können, aber da komme ich natürlich jetzt erst drauf (und so scharf auf Fuchsbandwürmer etc. bin ich auch nicht).

Aber ich hatte es geschafft! Yeah! Der ehemalige Bauernhof ist wirklich hübsch, alles sieht aus wie auf Bullerbü. Wir hissten die Grünen-Fahne und verglichen nasse Schuhe und Hosenbeine, während wir Mittag aßen. Dank unverhoffter 3 Stunden Alleinzeit (erst im Auto, dann im Wald/Moor/Geröll) war ich sogar halbwegs sociable, Hurra.

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Fortsetzung folgt, es ist ja schon viel zu spät.

Tag 2874 – So grün.

Sie müssen entschuldigen, ich hatte heute unerwartet viel Kontakt mit Natur, darauf war ich weder Kleidungsmäßig noch geistig eingestellt und jetzt bin ich einfach absurd müde. Morgen kann ich mehr dazu schreiben, wie ich mich nahezu in einem Wald/Moor verlief. Allein. Wussten Sie, dass Moor auch so ein Fließverhalten hat, dass man, je schneller man sich bewegt, tiefer einsinkt? Ich auch nicht. Ich dachte, ich könnte da vielleicht elfengleich drüber hüpfen. Haha.

Morgen nehme ich einen anderen Weg, das ist schon mal sicher.

Tag 2864 – Gratulerer med dagen!

17. Mai haben wir alle gut überstanden. Michel ist 4 Stunden lang marschiert, ich habe (ungeplant) eine gefühlte Million Würstchen verkauft, die Sonne schien und es war nicht zu warm. Es hätte ein bisschen weniger windig sein können. Nachmittags haben wir noch lange bei den Nachbarn gesessen und gegrillt und gequatscht. Es wurde auch Whisky getrunken, von den männlichen Männern, die sich derweil über Motorräder unterhielten, während ihre Ehefrauen ein wenig mit den Augen rollten.

Jetzt liegen alle im Bett und das ist auch echt nötig.

Hipp Hipp Hurra!

Tag 2863 – Tag des Bügelns.

In Norwegen laufen die Bügeleisen heißer als heiß, denn morgen, MORGEN ist der Tag des gebügelten Hemdes und vor allem der gebügelten Trachtenbluse. Ich habe immer noch weder Tracht noch Festkleidung und ziehe das selbe an wie letztes Jahr. Die Kinder haben ihre Korpsuniformen und Herr Rabe hat als Korpsbegleiter eine halbe Uniform (Pulli, Tasche, Handschuhe aber keine Mütze). Weiterhin hat Herr Rabe sich doppelt buchen lassen, weil morgen ebenfalls der große Dugnadstag ist, wo alle irgendwas helfen „dürfen“. Ein ganz kleiner, nahezu unbedeutender Gruppenzwangsaspekt ist dabei, befeuert von Zeitungsartikeln a la „Schule fleht Eltern an, nicht über das lange Wochenende weg zu fahren“. Herr Rabe marschiert also hinter dem Korps her und ist gleichzeitig schon für Kaffee kochen und Kuchen aufstellen eingeplant, weshalb ich da wohl einspringen werde. Vielleicht kann ich alte Biergarten-Kellnerinnen-Techniken wieder ausgraben. Vielleicht auch nicht und ich muss hinterher drei Tage lang schlafen, das werde ich morgen rauskriegen, schätze ich.

Wenigstens soll das Wetter jetzt doch ganz gut werden. Ich möchte echt nicht noch mal so einen 17. Mai wie 2020, bei 5 Grad und Dauerregen. Die armen Korpskinder, die das mitmachen mussten (unter anderem Michel).

Jetzt fallen aber auch schon meine Augen zu. Wird Zeit, das Licht auszumachen. Hipp Hipp Hurra schon mal!

Tag 2857 – Norwegische Sorgen.

Nächste Woche ist der 17. Mai, also der heiligste aller norwegischen Feiertage. Michel, der ja nix an seinem Fuß hat, kann wieder marschieren, was gut ist, weil marschieren für Korpskinder ein ganz wesentliches Element am 17. Mai ist. Genau wie (das ist eine gute Überleitung, und so ungezwungen!) Eis und Würstchen. Laktosefreies Eis (für Laktoseintolerante) und vegane Würstchen (für diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen die normalen Würstchen nicht essen möchten oder können) war schon gekauft und sicher gelagert in der Gefriertruhe in der Schule, in der kleinen Küche, die sich Korps und Schulelternrat teilen. Und am Wochenende wird die Küche, zusammen mit der Turnhalle, manchmal für Kindergeburtstage verliehen. So auch dieses Wochenende und scheinbar hat da jemand die Kühltruhe ausgestöpselt, jedenfalls haben wir jetzt, eine Woche vorm 17. Mai, eine Truhe voll laktosefreier Eissuppe mit einer Einlage aus veganen Würstchen. Ich kann diverse mir bekannter Papas bis hierhin Schnappatmen hören, weil ob wir in so kurzer Zeit genug Ersatz beschaffen können, mal abgesehen davon, dass wir die Truhe leeren und sauber machen müssen, ist fraglich.

Ich halte mich da dieses Jahr sehr raus, ich hab eh schon viel zu viel zu tun. Aus der mittleren Entfernung betrachtet ist die ganze Geschichte auch tatsächlich ein bisschen lustig.

Tag 2838 und 2839 – Frühlingsgefühle.

Am Donnerstag, als wir aus dem Flugzeug stiegen, war es warm. Als ich etwas später aus dem Zug stieg, war es ein, zwei Grad weniger warm, aber dafür roch es nach Frühling. Ja, ich weiß, dass das irgendwelche Erdbakterienpupse sind, die man da riecht, genauso wie bei Sommerregen, aber es ist mir eigentlich herzlich egal, was genau es ist, es riecht nach Frühling, das ist, was zählt. Gestern machte ich einen Spaziergang und schwitzte sehr, obwohl ich nur einen Pulli anhatte und keine Jacke (und keinen Schal/Buff, keine Mütze und erst recht keine Handschuhe). Ich sah aber ein paar der ersten Frühlingsboten in unserer Region hier, nämlich die Blüten vom Huflattich und die ersten Buschwindröschen. Ich feierte jedes Blümchen und brach beim Anblick eines sehr einsam herumtorkelnden Schmetterlings fast in Freudentrännen aus. Zu Hause erwacht auch die Pflanzenwelt, die Mango hat zwei neue Blättchen bekommen und die Avocados wuchern schon wieder. Sogar der Ficus ist in der kurzen Phase, wo er echt ok aussieht. Ich hege und pflege alles und freue mich über das Grün. Nach fünf Monaten mit nur braun und grau und ab und zu mal weiß habe ich echt Farbenentzug. Heute war auch wieder schönes Wetter und ich machte wieder einen Spaziergang. Die Blümchen sind seit gestern förmlich explodiert und man sieht auf den Feldern den ersten zarten Grünschimmer. Auch ein paar Frühaufsteherhummeln wurden gesichtet, dicke, flauschige Minihubschrauber, fast hätte ich sie gestreichelt, so sehr habe ich mich gefreut.

Da kann man auch mal ein paar (viel) Geld im Gartencenter lassen, um den Hummeln sehr viel Lavendel zu kaufen.

Hach, ist das schön, endlich sowas wie Frühling. Morgen soll es schon wieder regnen, aber das ignoriere ich noch. Heute will ich einfach nur ein paar Grashalme anfeuern.

Tag 2763 – Grusel.

Heute waren Herr Rabe, Pippi und ich Schlittschuh laufen. Michel hatte keine Lust, aber der Rest von uns wollte frische Luft und Tageslicht kombinieren. Es herrschte auch morgens noch strahlender Sonnenschein, bis wir loskamen war es etwas bewölkt aber immer noch gut und dann fuhren wir zur Eisbahn. Die liegt so 5 Meter höher als zu Hause, und wir fuhren gefühlt einfach in eine Wolke hinein, die da auf dem Boden festgeklebt war. „Eisbahn“ klingt so fancy, da kippt halt der Sportverein, der auch den Sport-Hort anbietet, im Winter sehr viele Kubikmeter Wasser auf den Sportplatz und dann hat man da einen Eisring, auf dem auch Eisschnelllauf trainiert wird. Aber es ist immer nett im Winter da ein bisschen zu laufen, es kostet nichts und ist halt ums Eck. Normalerweise wird ja auch auf dem Schulhof eine Eisbahn gemacht, aber da stehen jetzt Containerbauten herum, weil die Schule aus allen Nähten platzt. Die Schule wäre noch näher als der Sport-Hort-Sportplatz. Aber dafür wäre da heute nicht so ein Nebel gewesen. Endlich mal Nebelschlussleuchten- und Nebelscheinwerferwetter! Man konnte vom einem Ende der Eisbahn das andere Ende nicht mehr sehen und es war alles ein bisschen gruselig, aber sehr angenehme weil sehr feuchte Luft für frisch coronagenesene Lungen. Ich ließ es weiter ruhig angehen und fuhr in Pippi-Tempo entspannt ein paar Ründchen. Als der Nebel bei Pippi dazu geführt hatte, dass alle aus dem Helm (der eine eingebaute Mütze hat) herausguckenden Haare zu steifen Eiszapfen gefroren waren, fuhren wir nach Hause und tauten Pippi in der Badewanne auf und uns von innen mit Kaffee. Ach ja, das war mal wieder sehr schön.

P.S. auch sehr inklusiv das ganze, heute waren vier Einwanderinnen mit uns auf der Eisbahn, wohl alle aus der selben Familie, zwischen ca. Pippis Alter und etwas älter als ich, die eine seltsame Sprache sprachen, die ich nicht zuordnen konnte (vielleicht Indonesisch?) und die zum Teil sehr deutlich zum ersten Mal auf Schlittschuhen liefen. Das war ein bisschen drollig, aber es hatten alle Beteiligten sehr viel Spaß und zumindest wir waren auch sehr ermutigend. (Norweger reden ja nicht freiwillig mit Fremden, aber Einwanderer finden sich immer schnell.) Es gibt da so Pinguine, an denen man sich festhalten kann, wenn man noch nicht so sicher auf den Schlittschuhen ist, aber eigentlich sind die für Kinder und das machte die Mutter der Familie mit dem Pinguin nicht weniger drollig. Ich bin ziemlich sicher, dass ich so auf Skiern aussehe, es ist also wirklich nicht böse gemeint, das drollig. Schlittschuh laufen gehört hier halt dazu, Kinder lernen das allerspätestens in der Grundschule und manche Mütter machen dann gerne mit, mich freut das immer sehr.

Tag 2732 – Apokalypse snow.

Es schneit und schneit und schneit. Herr Rabe braucht keinen extra Sport machen, der schippt Schnee im Akkord und es hört ja nie auf, es ist also immer nur kurz ok geräumt und dann nicht mehr. Wir haben etwa einen halben Meter Schnee einfach herumliegen und die Berge aus weggeräumtem Schnee erreichen beeindruckende Höhen, bald kann man zum Beispiel vom Haus aus den Apfelbaum nicht mehr sehen, weil der hinter dem Schneewall vom Parkplatz ist. Es wäre alles schön, wenn nicht auch deshalb ziemliches Verkehrschaos wäre (meine Chefin schickte ein Video von der Müllabfuhr, die bei ihr zu Hause den Hang herunter gerutscht ist) und es nicht angekündigt wäre, dass es ab morgen Nachmittag regnen statt schneien soll. Dann saugt sich also der jetzt noch sehr leichte, aber einfach viele Schnee voller Wasser, und das macht er auch auf Haus- und (schlimmer) Hüttendächern. Die haben oft weniger Gefälle und dann rutscht das nicht ab und im schlimmsten Fall sackt dann das Dach ein. Dabei fällt mir ein, vielleicht sollten wir morgen schnell den Schnee vom Balkon fegen. Naja, wir haben also auf den Straßen dann Schneematsch in rauen Mengen, das Wasser fließt vermutlich nicht vernünftig ab, weil ja überall Schnee ist und dann friert es doch wieder und alles wird noch glatter als eh schon. Die Schulbusse haben heute schon angekündigt, dass sie Montag eventuell nicht fahren.

Heute mussten wir trotzdem nach Jessheim fahren, aus dem eigentlich bescheuerten Grund, dass ich eine Bratpfanne mit Click&Collect bestellt habe, weil ich zu geizig für die Versandkosten war. Damit es sich wenigstens lohnt haben wir noch neue Schlittschuhe für Pippi erstanden, die war aus ihren (obwohl mitwachsend) herausgewachsen. Die Kinder wachsen ja wie Unkraut, auch und bevorzugt an den Füßen, und in Norwegen hat man Schlittschuhe (und Skier) so selbstverständlich wie man ein Fahrrad hat. Skier haben wir schon keine passenden mehr für irgendwen, glaube ich, aber immerhin Schlittschuhe. Niemand von uns fährt auch gern Ski und weder der Schnee jetzt noch der Schnee morgen ist besonders gut zum Langlauf geeignet. Der jetzt ist zu pudrig, der morgen zu nass. Aber zumindest theoretisch können wir dann Sonntag auf der nassen Eisbahn im Regen Schlittschuh laufen. Oder im warmen und trockenen Zuhause irgendwas schönes braten, das geht auch.

Tag 2730 – Winterwonderland.

Eigentlich hatte Michel heute einen Arzttermin, zu dem ich ihn 30 Minuten hätte fahren müssen, aber der wurde heute morgen wegen Krankheit der Ärztin abgesagt. Das fand ich erst reichlich schockierend, einfach weil ich (und Michel) sehr darauf eingeschossen waren, aber im Endeffekt war das gar nicht so schlimm. Wir versinken nämlich hier sogar am nördlichen Rand von Østlandet im Schnee. Es schneit seit gestern Abend feinsten Pulverschnee, was schön anzusehen ist, aber zum Auto fahren ist das eher nicht so schön. Es gab auch viele Unfälle, quer gestellte LKWs, Staus und die Putzhilfe kam etwas zu spät, weil sie hinter dem Räumfahrzeug herkriechen musste. Die Räumenden kommen gar nicht hinterher, Salz und Split ist eh aus, und so hoffen wir alle einfach, dass sich Konacar auch morgen noch durch den Schnee pflügen kann, damit die Kinder zur Schule kommen, ohne durch (für sie) knietiefen Schnee waten zu müssen. Unter dem sehr losen Schnee ist ja auch nach wie vor eine massive Eisschicht, was ein ganz neues und echt anstrengendes Spaziererlebnis ergibt, ich habe das ausprobiert. Und es soll jetzt erst mal so weiter schneien. Ich hoffe, die Müllabfuhr kommt trotzdem irgendwann zu uns durch, die Feiertage waren geradezu peinlich müllintensiv.

Apropos Putzhilfe, das ist eigentlich auch so ein Nachtrag zu den losen Fäden: ich habe heute eine andere Firma beauftragt. Die waren 5 Stunden zum Erstreinigen da, das ist viel, aber jetzt ist es auch richtig sauber. So richtig richtig. Es ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen. Und ab jetzt soll es auch nur 3 Stunden dauern.

Weiterer Nachtrag: Herr Rabe hat heute die neue Heizspirale in den Backofen eingebaut und jetzt geht der Ofen auch auf Oberhitze wieder, ohne, dass die Sicherung rausfliegt, Hurra! Die Gütersloher Firma war echt schnell mit der Lieferung und wir haben sogar noch in letzter Minute einen Nupsi für den Staubsauger in den Warenkorb werfen können. Für den allein (so ein kleines Plastikdings, mit dem man die Größe des Loches am Schlauch, bei dem ich gar nicht verstehe, warum es da überhaupt ist, regulieren kann) hätten sich die Versandkosten nie im Leben gelohnt, aber jetzt ist das Loch endlich nicht mehr mit Gaffa zugeklebt.