Tag 2268 – Spontane Nicht-Aussicht.

Bekam Ja zu meinem Hotelaufenthalt, habe bereits heiß geduscht und liege jetzt im Bett. Morgen klingelt der Wecker um viertel vor sieben, dann muss ich die Augen weit genug aufkriegen, um meine Tablette zu schlucken und dann kann ich noch ein bisschen dösen. Im Vergleich zu heute früh wird das also ein Fest.

Dahinter ist zwar sowas wie ne Aussicht (auf einen nicht betretbaren Innenhof), aber auch eine Spiegelung und naja, das ist dann doch zu privat.

Tag 2266 – So. Müde.

Ich bin noch dabei, von der Arbeit nach Hause zu kriechen. Bei der nächsten Inspektion in Oslo, die abends so ewig lang zu werden droht, frage ich mal vorsichtig an, ob ich nicht in Oslo in ein Hotel kann.

Immerhin muss ich morgen erst eine halbe Stunde später los, weil ich heute viel (und ich meine VIEL) zu früh da war, und das trotz zehnminütiger Verspätung des Zuges. Seltsame neue Ruter-App ist seltsam.

Tag 2265 – Groß und klein.

Blick nach Deutschland: eieieiei. Das werden ja super leichte Koalitionsverhandlungen. Nicht. Und die Lachnummer aus NRW ist nicht 100%ig raus, das bekümmert mich ebenfalls ein wenig. In Sachsen ist die NoAfD stärkste Kraft, das finde ich entsetzlich.

Norwegen ist verkatert nach den gestrigen Pandemieende-Sauf-Prügeleien. Geschieht ihnen recht.

Michel kann nicht schlafen. Es ist Cola im Spiel gewesen (nicht von uns genehmigt) und außerdem war er heute extrem aufgekratzt, denn er hat an einem Korps-Projekt teilgenommen, bei dem sie Musik mit der „Blåsemafian“ gemacht haben, drei jungen Typen, die mit Trompete, Saxofon, Posaune und Tuba ziemlich coole Musik machen. Am Ende gab es ein Konzert mit der Blåsemafian und allen Teilnehmenden. Michel ist jetzt totaler Fan der drei Typen und hat einen signierten Hoodie, den er aber wohl nie tragen wird, weil er nun an der Wand hängt. „Nur wenn ich auf ein Fest gehe ziehe ich den an!“. Für Michel freut mich am meisten, dass er total Spaß hatte und bei dem Konzert mitgemacht hat, obwohl er gestern erst gar nicht zu dem Projekt wollte und heute früh noch ganz sicher war, NICHT mit auf die Bühne zu gehen. Jetzt ist er einen Meter größer und findet sein Instrument und im Korps spielen wieder wesentlich cooler.

Sigurd, Jørgen und Shlfnn Bllb DllB.

(Anekdote: bei der Begrüßung der Blåsemafian hat Michel wohl als erstes wiedergegeben, was ich ihm auf seine Nachfrage erklärt hatte, nämlich „Mafia ist eine kriminelle Organisation!“, woraufhin die Band sagte „Genau, und unsere Musik ist einfach kriminell gut!“)

Tag 2264 – Man muss ja auch nicht jeden Scheiß mitmachen.

Das ist jetzt mein Motto, auch nach 16 Uhr heute Nachmittag noch. Sollen sie sich doch alle besaufen und in den Schlangen vor den Discos und Bars in Ohnmacht fallen (echt wahr!), einfach weil Pandemie jetzt für vorbei erklärt ist, ich trinke zu Hause Wein in der Twitterkneipe und kaufe Tickets für Online-Veranstaltungen.

Man könnte auch sagen, ich schaffe mir meinen eigenen, weichen Übergang zum „neuen Alltag“.

Oder man könnte sagen, sie sollen mich alle mal an den Füßen lecken mit ihren Discoschlangen.

Tag 2263 – 562 Tage.

Es ist vorbei. „Fy søren, det er over!“ sagt der Bürgermeister von Oslo. Denn morgen um 16 Uhr ist die Pandemie vorbei. Dolles Ding, nicht wahr? Der Gesundheitsminister hat symbolträchtig seinen Zollstock-Meter zusammengeklappt und weggesteckt und dann die Staatsministerin umarmt, weil es morgen ja vorbei ist. Kein Meter mehr, kein Mundschutz mehr, kein Homeoffice mehr, vermutlich gehen direkt auch die Türen an der T-Bane nicht mehr automatisch auf ohne dass man den Knopf drücken muss. Man kann auch nach Mitternacht noch in die bumsvolle Disco gehen (die um 2 schließt, aber YOLO) und man kann an der Bar Getränke bestellen und muss sie nicht am Platz serviert bekommen (gab ja nie Aerosole hier, deshalb war es hauptsächlich gefährlich, auf dem Weg zur und an der Bar Dinge anzufassen). Der Bürgermeister von Oslo rät zum Kauf von Kopfschmerztabletten, weil ja morgen um 16 Uhr alles vorbei ist und vermutlich die größte Party aller Zeiten losgeht.

562 Tage wird es dann in Norwegen gedauert haben.

Ich hab ja eh immer Kopfschmerztabletten da und gehe eher sporadisch in Bars oder Discos, aber auch davon abgesehen kann man sich vermutlich denken, dass ich eher verhalten das ausgerufene Ende der Pandemie feiere.

Natürlich kann ich verstehen, dass das ein großer Tag für viele ist und der Bürgermeister von Oslo hatte vermutlich eine denkbar beschissene Amtszeit, keine Frage. Es ist sicher für viele auch echt nicht schön, Single und jung und zum Studieren in einer neuen Stadt zu sein und dann da 562 Tage im Hybel*zimmer zu hocken.

Aber.

Naja, sie können es sich ja denken. Ungeimpfte Kinder, Menschen, die sich nicht impfen lassen können und Menschen, die keinen ausreichenden Effekt von den Impfungen haben. Generell haben Impfungen keinen 100%igen Schutz. Und der Rest der Welt, der hat ja zu einem großen Teil auch nach morgen 16 Uhr noch Pandemie. Außerdem kann ich nicht so gut mit plötzlichen Veränderungen und will auch gar nicht vom Gesundheitsminister umarmt werden oder mit dem Bürgermeister von Oslo saufen. Man könnte auch einfach sagen: ich möchte nicht mit dem Virus leben. Noch nicht, eigentlich generell nicht.

Es wird ja wohl weiter erlaubt sein, freiwillig eine Mundbinde zu tragen und sich die Hände zu desinfizieren. Ich hab auch schon den Hersteller, bei dem wir Montag auflaufen, informiert, dass wir vorerst daran festhalten, nicht mit Händedruck zu grüßen.

May the odds be ever in our favor.

Tag 2262 – Vorbei.

Morgen wird in Norwegen die Pandemie höchstwahrscheinlich für beendet erklärt. Sie sehen mich nicht jauchzen und frohlocken, was damit zusammenhängt, dass ich zwei Kinder habe, die ich nicht vor dem Virus, das immer noch umgeht, schützen kann (und mir hilft vermutlich auch keine baldige Zulassung für jüngere Kinder, weil Norwegen da eben speziell ist). Genau wie anderswo gibt es bei Kindern in Norwegen ungeklärte und schwer bezifferbare Risiken mit der Erkrankung, die allesamt mit der Impfung wesentlich geringer sind, aber anders als anderswo wird uns hier zugesichert, dass das alles nicht so schlimm ist bei den Kindern, das Gesundheitssystem ist dann da, wenn sie mit MIS-C ins Krankenhaus müssen, und hey, wer kann denn bitte nicht für ein paar Wochen bis Monate auf seinen Geruchs- und Geschmackssinn verzichten? Wer weiß, das ist vielleicht die Gelegenheit, vielfältigeres Essen in Michel zu bekommen, wo ist die nächste Coronaparty???

Ich scherze bloß, Galgenhumor, was bleibt einer schon anderes übrig.

In England und in Dänemark ist die Welt schließlich auch nicht untergegangen, wird schon schief gehen, ne?

Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt oder mit der nächste Woche anstehenden Inspektion, die das Potential hat, ziemlich anstrengend zu werden, aber ich habe Kopfschmerzen und bin furchtbar müde. Ich lese jetzt einfach noch kurz und schlafe dann selig. Morgen ist ein neuer Tag.

Tag 2261 – Kleine Anekdoten.

„Ist das gut?“ fragte Herr Rabe heute in Carona und zeigt auf die Recents bei Spotify (was bei uns eine extrem wilde Mischung ist von Bummelkasten, über Queen, über Sofie Tucker, über The Fat Rat, über Die Ärzte bis zu Schubert). Natürlich ist das gut, das ist das Tschaikowski Violinkonzert. Weiß nicht ob er es dann wirklich gut fand, aber ich find das gut, so.

Selbst übe ich weiter an Seitz Schülerkonzert Nr. 4 herum und habe heute bei der Arbeit Sibelius Symphonie Nr. 7 gehört – bis ich gemerkt habe, dass ich nicht arbeitete sondern ganz verzückt zuhörte, hoppla.

Aus Gründen musste ich heute dran denken, dass ich, lange vor Herrn Rabe, mal sehr neugierig auf einen jungen Mann war, mit dem ich sehr gut reden konnte. Wir saßen sehr lange in seinem Auto (einem denkbar unsexy Opel Corsa) auf dem Mc Donalds Parkplatz, weil er mich nach Hause fahren sollte, aber niemand von uns wollte das so richtig. Am Ende knutschten wir, das war sehr verboten, weil wir eigentlich beide in anderen, eigentlich monogamen, Beziehungen steckten. Später wurde noch mehr draus, was natürlich noch viel verbotener war und natürlich ist das dann auch alles genau so gelaufen, wie man sich das so vorstellt, mit Drama und Gedön, aber wundersamer Weise hab ich nur gute (und ein paar sehr lustige) Erinnerungen an die Zeit und kein gebrochenes Herz und seither muss ich auf dunklen Mc Donalds-Parkplätzen immer an lange Gespräche und heimliches Knutschen denken.

Es war ja auch nicht alles schlimm mit 19/20.

In Norwegen hamstert man jetzt Feuerholz. Wir haben noch relativ viel, deshalb haben wir noch nichts neues bestellt, aber die Strompreise sind zur Zeit so astronomisch, dass man an Alternativen um das Haus warm zu kriegen denken muss. Feuerholz ist schlecht für die Umwelt, keine Frage, aber mit den Strompreisen von jetzt (die bis zum Winter noch weiter steigen werden) und unserem Verbrauch im Januar kommen wir hier zu Hause auf eine Stromrechnung von gut 1000€. Pro Monat. Die schlimmsten Stromrechnungen sind Dezember, Januar und Februar, danach geht es wieder aufwärts, aber mir graut es jetzt schon und da bin ich wohl lange nicht die einzige. Ich könnte auch das ganze Haus in Wolle einwickeln, oder uns allen (inklusive Meerschweinchen) lustige Astronautenanzüge aus Daunendecken nähen. Oder wir fahren nicht mehr Auto, oder fahren nur noch Auto, weil’s viel günstiger ist, das Auto aufzuheizen, als ein ganzes Haus? Stay tuned.

Pippi kann fast Skabat, wie sie sagt. Mit rechts besser als mit links (ganz die Mama) und Rechts-Links-Schwäche hat sie auch eher nicht (doch nicht ganz die Mama). Sie übt jedenfalls kräftig, und da sie unaufgewärmt schon sehr weit runter kommt, denke ich, in wenigen Wochen kann sie aufgewärmt wirklich Spagat. Hach ja, das ist bei mir auch fast so lange her wie verbotenes Knutschen.

Tag 2260 – Noch platter.

Sport, also, warum macht man das überhaupt. Au Füße. Au alles.

Ich hoffe wenigstens auf guten Schlaf zur Belohnung.

Ansonsten ist Homeoffice ja auch ganz schön, Homeoffice alleine hat auch was für sich. Das muss alles in die Planung der teilweisen Rückkehr ins Büro mit einfließen.

Michel hatte heute wie jeden Dienstag Korps und fand das zwar nach dem Hort erst eine totale Zumutung, nachdem er was gegessen hatte gar nicht mehr so schlimm und dann war es wie immer gut. Was haben sie gemacht? „Na Musik.“ Ja, ach so. Hinterher meinte er zu mir, ich könne mich doch auch beim Korps anmelden, einem für Erwachsene und mit Geigen. Das gäbe es nämlich. „Meinst du ein Orchester?“ Ja, das meinte er. Aber Korps für Erwachsene mit Geigen find ich auch gut.

(Tatsächlich hab ich da schon öfter drüber nachgedacht, aber ich hab so unregelmäßig Zeit, das macht mich als Ensemblespielerin nun nicht sonderlich attraktiv. Naja, mal gucken.)

Mehr war heute nicht. Doch – ich hab eine Erinnerung bekommen, doch bitte mal wieder zur Gebärmutterhalskrebsvorsorge zu gehen. Sind schon wieder drei Jahre rum, na sowas. Mache ich natürlich, man muss hier in Norwegen jede Vorsorge mitnehmen, die man kriegen kann.

Tag 2259 – Platt aber happy.

Der Ausflug in die Großstadt war schön, sehr schön, ich hab sehr produktiv gearbeitet, fühlte mich sehr professionell und all das, danach wie so ne Supermutti Pippi pünktlich abgeholt, alle Kinder zu Freizeitaktivitäten gefahren und wieder abgeholt und mit Michel Post abgeschickt, und danach noch mit selbstgebackenem (!) Kuchen zum politischen Treffen. Das klingt jetzt wirklich alles sogar in meinen Ohren, als wär ich irgendsoein Übermensch, aber ich liege jetzt im Bett und bin so müde wie seit langem nicht mehr.

Ab und zu so ein Tag ist bestimmt trotzdem gut fürs Selbstwertgefühl. Vielleicht ist es doch ne gute Idee, sich auf 2 Tage Büro die Woche einzustellen und an den Tagen dann zwischen den Meetings all den Kleinscheiß wegzuschaffen, der mit seinen 5 Minuten hier, 15 Minuten da die To-Do-Liste verstopft.