Am Morgen. Ich öffne Twitter.
Kinderloser Mensch: „Ich verstehe ja, dass die Belastung der Eltern grad hoch ist. Aber überlegt doch mal, wie das für die Kinder ist, wenn ihr die Zeit mit ihnen so hasst.“
*Synapsen knallen durch*
Ich habe mir zur Zeit selbst einen Maulkorb auf Twitter verpasst, damit ich mich in solche und ähnliche Diskussionen nicht mehr einmischen kann. Weil es zu nichts führt, außer, dass ich hinterher ein Magengeschwür vom ärgern kriege. Aber jetzt möchte ich da doch meinen Senf dazu geben, schon allein weil hier ja auch schon solche Kommentare auf dem Blog kamen. Und weil ich, nachdem hier die Kinderbetreuung und die Schule ja nun seit einiger Zeit wieder geöffnet sind, sogar ein bisschen verstehen kann, woher kinderlose Menschen diese Idee nehmen, das ganze sei eigentlich ganz ähnlich wie Ferien nur halt ein bisschen plötzlich, ja mei.
Ich hasse meine Kinder nicht. Das mag jetzt überraschen. Vor allem, da die Entscheidung für Kinder im Grunde eine Schnapsidee im Hormonrausch war (judge me! Ich möchte aber behaupten, 80% der Eltern „entscheiden“ sich für Kinder eher aus dem Bauch raus). Es war Weihnachten 2011, ich war im Job so lala etabliert aber fühlte mich komfortabel in meiner Position, Herr Rabe und ich hatten es gut auf allen Ebenen, für Kinder ist eh nie der richtige Zeitpunkt haha, lass mal probieren. Im Februar bekam ich den Mutterpass, ziemlich schockiert, wie schnell man so nen kompletten Menschen angesetzt hat, sollte man nicht erst monatelang versuchen und so? Nein, wir nicht. Vorher wochenlang die Bedingungen gleichberechtigter Elternschaft aushandeln und möglichst noch vertraglich festhalten? Again, judge me. Wir hatten Glück, da auf einer Wellenlänge zu liegen (das war mir ja auch vorher schon klar), wir hatten Glück, dass Herr Rabe zu dem Zeitpunkt an der Uni arbeitete, die 7 Monate Elternzeit für ihn nicht ablehnen konnte, und den ganzen Rest des Vereinbarkeitswitzes, den sich deutsche Eltern tagtäglich vor allem in Form von Kommentaren wie „wer seine Kinder in die KiTa gibt, liebt sie nicht“ (s.o. btw) geben müssen, haben wir elegant umschifft, indem wir nach Norwegen gezogen sind.
Insofern rede ich hier aus vielen Gesichtspunkten aus einer Luxusposition. Es ist hier normal, dass Eltern eben mal ausfallen, weil Kinder krank werden. Wir sprechen uns ab, wer grad besser von der Arbeit wegkann, um das kotzende Kind aus seiner Einrichtung abzuholen, sagen unseren Chefs Bescheid, fertig. Es ist gesellschaftlich NORMAL, dass auch Väter das tun. Es ist NORMAL, dass Väter Zeit mit ihren Neugeborenen, Babies und Kindern verbringen wollen und deshalb längere Aus- und Elternzeiten nehmen. Es gibt eine Kondergartenplatzgarantie ab dem August nachdem das Kind 1 Jahr alt geworden ist und es ist NORMAL, dann wieder arbeiten zu gehen, wenn man kann und will, Vollzeit. All das ist in Deutschland schon in weiten Teilen nicht normal und der gesellschaftliche Druck aus allen Richtungen stresst dort Eltern, die von der Idee der Alleinverdienerfamilie abweichen müssen oder wollen, immens.
Halten wir also fest: ich liebe meine Kinder, wir haben hier viel Unterstützung.
Und dann kam Corona.
Von einem Tag auf den nächsten (!) war alle Routine weg. Die Kinder wurden nach Hause geschickt mit den Worten „Nehmt lieber alles mit, WAHRSCHEINLICH ist morgen keine Schule/Kindergarten, für wie lange weiß keiner.“ Die Kinder waren verwirrt und die Erwachsenen besorgt und man hat versucht, das alles irgendwie aufzufangen. Stundenpläne gemacht, Tage durchstrukturiert, wir bewarfen das Problem auch mit Geld und bestellten ein Trampolin für den Garten, guckten mit den Kindern die Pressekonferenz für Kinder (wieder sowas, was ich hier einfach super fand: die Regierung, die gezielt Kinder ansprach und trotz aller Unsicherheit, die auch nicht verschleiert wurde, beruhigende Worte fand und auf Fragen VON KINDERN einging) und besprachen mit unseren Arbeitgebern das weitere Vorgehen.
WIEDER: Wir sind hier total privilegiert. Es gab schon vor der Schließung der Schulen und Kindergärten die Anordnung VON DER REGIERUNG, dass alle, die können, Homeoffice machen sollen. Alle. Insofern waren wir eh zu Hause [ich nicht, aber das ist eine Geschichte, die hier nichts zur Sache tut, im Zweifel lesen Sie einfach den 12. und 13.3. hier im Blog nach] als alles schloss. Mein Arbeitgeber genehmigte schnell allen Eltern mit Kindern unter 12, normale Stunden abzurechnen, auch wenn die nicht 100%ig effektiv und/oder zu seltsamen Tageszeiten abgeleistet wurden. Alle Eltern bekamen 10 extra Kindkranktage für „Corona-geschlossene Einrichtungen“ vom Staat. Alles Luxus! Trotzdem war die erste Woche ein bisschen wie im Delirium und ging hauptsächlich für Organisation und allgemeines Klarkommen drauf. Schulaufgaben gab es auch noch nicht so wirklich viele, Kindergarten eh nicht. Die Kinder verstanden noch nicht, dass das jetzt wirklich lange so bleiben würde, wir auch nicht, doch, war toll.
Aber dann war irgendwann alles organisiert und es galt, zwei (weiterhin) Vollzeitjobs und zwei Kinder unter einen Hut zu kriegen. Zwei Kinder, wohlgemerkt, die gewöhnt sind, täglich andere Kinder und andere Erwachsene um sich zu haben. Die nicht kennen, dass Mama und Papa plötzlich die Ansagen machen, die sonst vom Kindergartenbetreuer oder der Lehrerin kamen. Die kein Problem damit hatten, dass zu Hause und im Kindergarten/der Schule andere Regeln herrschen, aber dass plötzlich die Kindergarten- und Schulregeln auch zu Hause gelten sollten, war schwer zu verstehen. Das knirschte also, erwartungsgemäß, und da kannste die Kinder lieben und dich freuen, Zeit miteinander zu verbringen, so viel du willst, sowas muss sich zurechtruckeln. Und mit zurechtruckeln meine ich: Wutanfälle aushalten. Geschrei aushalten. Viel. Oft. Lange. Wir ruckelten also, wir sorgten uns, UND DANN SOLLTEN WIR AUCH NOCH IRGENDWIE ARBEITEN. Wir teilten uns auf, was aber hieß, dass wir extrem lange Tage hatten. Was saugt. Sehr.
Wir wurden in dieser Zeit weder den Kindern, deren Schulaufgaben, unseren Jobs, dem Haushalt, noch uns selbst (Sport? Selfcare? Hahaha.) wirklich gerecht. Und guess what? Das sorgt für ein scheiß schlechtes Gewissen. Eh schon. Dann noch sagen „du musst aber schon schauen, dass die Kinder sich nicht als Belastung empfinden“ ist, sorry, total daneben und lädt noch ne Schippe schlechtes Gewissen drauf. Schlechtes Gewissen, in der Intensität, in allen Bereichen, lähmt.
Aber dann öffneten die Kindergärten und Schulen wieder und ich kann jetzt verstehen, wie Kinderlose oder auch Menschen mit Kindern aber ohne Erwerbsarbeit auf die Idee kommen können, das seien „Coronaferien“. Ich geh mal davon aus, dass kinderlose Erwerbstätige auch etwa eine Woche brauchten, um den Homeoffice-Schock zu überstehen, aber wenn ich mir mein Homeoffice-Leben jetzt so angucke ist das eigentlich sogar ganz nett. Ich kann viel länger schlafen, ich spare mir das Pendeln, ich kann mir meine Arbeit noch freier einteilen als eh schon, ich kann auch mal zwischendurch den Einkauf erledigen, Arzttermine sind gar kein Problem mehr und ich esse täglich Mittag mit Herrn Rabe. Der macht mir auch oft noch einen Kaffee und stellt ihn mir hin, während ich schon im nächsten Meeting sitze. Die finanziellen Sorgen sind weg und das Infektionsgeschehen sieht auch sehr vielversprechend aus. Es ist echt eigentlich sehr nice.
Genauso sind ja Ferien sehr nice. Keine Arbeit, Ausflüge mit den Kindern an den See oder in den Wald und wenn sie mal nen Film gucken wollen, kann ich in der Zeit trainieren oder meinen Hobbies nachgehen. Keine Schulaufgaben, Ausschlafen, kein Stress.
Nur WAREN DAS WÄHREND DER CORONTÄNE EBEN KEINE FERIEN! Das war das kinderlose Homeoffice, PLUS die arbeitsfreien Ferien, PLUS als Ersatzlehrkraft fungieren, PLUS andere Kinder ersetzen, PLUS Sorgen und Umstellungsschwierigkeiten der Kinder auffangen, PLUS selbst Sorgen haben WEIL ES EINE GLOBALE PANDEMIE IST.
Und jetzt sag mir nochmal, kinderlose Person, dass ich das als „Zeit miteinander verbringen“ hätte schön finden sollen, dass ich niemals hätte meckern dürfen, dass ich den Kindern hätte vorspielen müssen, dass alles tutti ist und wie Ferien und niemand von uns in dieser Zeit irgendwie überfordert, unterfordert oder unausgelastet ist. Dass die Kinder sicher nen Schaden davon tragen, dass ihre Eltern DIE SITUATION als belastend empfanden.
Rant Ende.