Die letzten zwei Tage hatte ich ein Grünen-Seminar. In einer Hütte im Wald, wo 2015 (oder 2017?) auch die Reality-Show „Farmen“ gedreht wurde. Die Hütte im Wald ist eigentlich ganz gut angebunden, aber der Weg, so wurde uns gesagt, ist gesperrt wegen Eis und Schnee. Wir könnten da an der Schranke parken und die restlichen 4 km laufen, oder wir könnten „über Odal“ fahren, am Windrad parken und runter zur Hütte laufen. Bei diesen Optionen dachten wir irgendwie alle, die zweite Option sei wesentlich kürzer und schneller als der 4 km Marsch. Geben Sie ruhig zu, dass Sie das auch dachten.
Aus Gründen fuhr ich etwas später als der Rest. Ich musste also meinen Weg „über Odal“ zu dem Windrad allein finden. Da die Hütte nur ca. 20 km entfernt ist, nahm ich Cardos.
Und fuhr. Und fuhr. Und fuhr. Weit mehr als 20 km, und war immer noch nicht in Odal. Gefühlt war ich fast in Schweden. Mein Zeitplan löste sich in Schall und Rauch auf. Aber irgendwann, nach 50 Minuten Gegurke, stand ich tatsächlich vor einer Schranke mit Zahlenschloss, wie die Wegbeschreibung gesagt hatte.
Nur ging der Code nicht. Hmm, dachte ich, bestimmt bin ich an der falschen Schranke. Bestimmt haben die hier für jedes Windrad ne eigene Schranke oder so und ich war dank mangelndem Orientierungssinn einfach an der falschen.
Also fuhr ich zurück. Das Auto meinte, es sei zu 50% leer gefahren, aber es waren keine weiteren Schranken aufzufinden. Eine aus der Gruppe schrieb, das müsse die richtige Schranke sein. Es gebe keine andere. Aber das Schloss sei hakelig. Ich war nur Nanosekunden davor, einfach wieder nach Hause zu fahren, drehte aber um, fuhr die 5 km zur Schranke zurück (die Batterie sagte 40%) und rupfte unwirsch am Schloss herum, das – oh Wunder – aufploppte.
Grummelnd fuhr ich die restlichen 5 km zu Windrad 1. Da parkten eine Reihe weiterer Autos, ich schien also richtig zu sein.
Mein Kontakt schrieb, ich solle einfach immer an der Hochspannungsleitung lang gehen. Das sagte auch die Wegbeschreibung. Nun ist es aber ja so, dass eine Hochspannungsleitung zwei Endpunkte hat. Und ich habe keinen Orientierungssinn, wie bereits erwähnt, und kann mit „Richtung Eidsvoll“ einfach gar nichts anfangen, wenn man Eidsvoll nicht sehen kann. Ergo ging ich erst mal ein paar hundert Meter in die falsche Richtung.
„Gehen“. Ich kraxelte über die Geröllhügel, über die so Hochspannungsleitungen halt gerne mal gehen. Wir sind ja hier auch in Romerrike, das für seine sanft-hügelige Landschaft bekannt ist. Unten am Geröllhügel 1 war außerdem sehr nasser Lehmboden, der bekanntlich sehr rutschig ist. Aber auch weich, wenn man drauf fällt, das weiß ich jetzt. Danach war mein Po etwas feucht, aber was soll’s, ich hatte ne olle Jeans an.
Oben auf Geröllhügel 2 sah ich nach unten. Das sah NICHT aus, als könne man da mit Kindern, wie die vorausgehende Gruppe, runter steigen. Mit einem ausgeklügelten System aus Sonnenstand und Google Maps bestimmte ich, dass ich auf dem Weg von Eidsvoll weg war. Also kraxelte ich den Geröllhügel wieder runter und kraxelte in die andere Richtung los.
Nach ein paar hundert Metern in die andere Richtung fiel mir auf, dass meine AirPods weg waren. Nicht, dass ich Musik hören wollte, es fiel mir einfach auf, als ich auf die Tasche klopfte. F***, dachte ich erst, dann fiel mir ein, dass ich ja ausgerutscht war, da waren sie mir bestimmt aus der Tasche gefallen. „Find my“ bestätigte diesen Verdacht. Also ging ich zurück und tatsächlich – da lagen meine AirPods ganz friedlich im Moos, genau neben dem Abdruck von meinem Hintern und der Rutsch-Spur von meinem Fuß im Lehm. Schwein muss eine haben.
Also wieder zurück. Inzwischen war ich eine halbe Stunde herumgelaufen ohne irgendeinen Streckenfortschritt zu machen. Tjanun. Aus mir wird in diesem Leben keine Orientierungsläuferin mehr.
Ab da ging es „einfach“ an der Hochspannungsleitung lang. „Einfach“, weil eine Hochspannungsleitung wenig Rücksicht auf Bodenbeschaffenheit nimmt. Ich erklomm deshalb mehrere weitere Geröllhügel, stapfte durch kleine Waldabschnitte (weil es zum Beispiel streckenweise zu steil war, um direkt über das Geröll zu klettern) mit sehr dickem, sehr nassen Moos und bekam nasse Füße und musste schon da sehr lachen über mich und diese absurde Situation, wie ich da, völlig unvorbereitet, allein, in Jeans, T-Shirt und Barfuß-Halbschuhen Wege gehe, die hartgesottenen (Deutschen) Wanderer*Innen vermutlich den Schweiß auf die Stirn treiben würden.
Dann stand ich vorm Moor. Da ging die Trasse einfach drüber. Ich erwog meine Optionen, quer durch oder drum rum, und wählte drum rum. Aber nicht großräumig genug, und ich sackte mehrmals wirklich gruselig tief ein. Immerhin blieb keiner meiner Schuhe stecken, das passierte wohl der anderen Gruppe. Ich musste mehrmals sehr laut lachen, es stand zwischen Lachen und sich hinsetzen und aufgeben und auf den Bären warten, der mich fressen kommt. Oder den Wolf. Oder den Vielfraß. Oder den Luchs. Die ganze Situation schrie versteckte Kamera. Irgendwann war ich aber um das Moor herum und kraxelte, jetzt mit quatschenden Schuhen und klitschnassen Hosenbeinen, wieder Geröllhügel hoch. Ich beschloss zeitgleich, mir um den Rückweg vorerst keine Gedanken zu machen, mich gegebenenfalls aber strikt zu weigern, den selben Weg noch mal zu gehen.
Drei Hügel und ein weiteres Moor später konnte ich einen Weg sehen, der mich laut Google Maps und der Wegbeschreibung zu der Hütte bringen sollte. Hurra! Ein letzter, sehr gruseliger, weil sehr steiler, Abstieg und ich war auf einem befestigten, erkennbaren Weg!
Inzwischen war ich seit eineinhalb Stunden unterwegs.
Der letzte km des Weges ging über besagten Weg und ich konnte zwischendurch das Eis und den Schnee, die Schuld waren, dass man da nicht fahren konnte, bewundern. Es sind so etwa 5 Meter Weg, auf denen noch ca. 2 cm Restschnee pappt. Der ist schon so nass (ich hatte ja eh schon nasse Füße), dass er sich sofort zu Matsch verdichtet, wenn man drüber läuft. Wahrscheinlich würden 2 Autos schon helfen, die einmal drüberfahren und das ganze ein bisschen verteilen und ein bisschen Energie aussetzen, dann wäre dieser Schneefleck Geschichte.
Nach 1 Stunde 45 Minuten Odyssee kam ich, sehr grün riechend und nass bis zum Knie, an der Hütte an – und bekam einen kleinen Schrecken, weil ein *hust* überaus attraktiver *hust* Stortingspolitiker mit einem Namen, der darauf hindeutet, dass seine Eltern nicht so viel Rücksicht darauf genommen haben, dass das Kind gemobbt werden könnte, auch da war. Ich kollabierte erst mal fast am Esstisch im Garten und schüttete einen Liter Wasser in mich rein – ich war wirklich vollständig unvorbereitet auf diese Tour aufgebrochen und hatte nicht mal Wasser dabei. Ich hätte bestimmt Moos auspressen können, aber da komme ich natürlich jetzt erst drauf (und so scharf auf Fuchsbandwürmer etc. bin ich auch nicht).
Aber ich hatte es geschafft! Yeah! Der ehemalige Bauernhof ist wirklich hübsch, alles sieht aus wie auf Bullerbü. Wir hissten die Grünen-Fahne und verglichen nasse Schuhe und Hosenbeine, während wir Mittag aßen. Dank unverhoffter 3 Stunden Alleinzeit (erst im Auto, dann im Wald/Moor/Geröll) war ich sogar halbwegs sociable, Hurra.
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Fortsetzung folgt, es ist ja schon viel zu spät.