Selbst wenn ich jetzt sofort einschlafe, klingelt in fünf Stunden der Wecker. Ich bin aber schrecklich aufgekratzt und kann gar nicht schlafen. Wir arbeiten zu viel und zu lange und zu Hause bei der Arbeit ist auch irgendwas im Gange. Ansonsten essen wir. Es ist sehr viel und zum überwiegenden Teil auch ausgesprochen gutes Essen, aber jetzt haben wir heute schon zum zweiten Mal das Abendessen einfach ausfallen lassen, weil einfach gar nichts mehr rein geht. Dagegen könnte man, selbst wenn man dafür Zeit hätte, gar nicht an-trainieren.
Also ja. Alles eigentlich gut, nur viel und so langsam auch so überreizt, dass ich zu Hause gern eine Woche ins Schweigekloster gehen würde. Wenn man da Geige spielen dürfte jedenfalls.
P.S.: kein Sonnenbrand! Nicht mal ein bisschen! Sonnencreme plus Sonnenkleidung hat es rausgerissen.
Dienstag morgen ging es sehr früh los zum Bahnhof und dann zum Flughafen. Wie immer habe ich vergessen, dass der Zug um 07:01 von Gleis drei fährt, aber weil wir echt früh dran sind, kriege ich ihn trotzdem. Morgens habe ich noch ein Fleece, meinen Regenmantel, Mütze, Schal und Handschuhe eingepackt. Kann an der Ostküste ja kalt und nass werden.
Am Flughafen geht alles total smooth. Wir haben da jetzt so „Brotkästen“, wo man den Koffer abgeben kann. Ich konnte sogar online einchecken. Niemand will mein ESTA sehen. Oder sonst irgendwas.
Am Flughafen kaufe ich mir noch ein Buch, hänge ein bisschen in der Lounge ab, trinke Kaffee und schlendere dann zum Flugzeug. Ich habe wirklich reichlich Zeit. In Kopenhagen habe ich dann noch mehr Zeit. Dann ruft aber erst der IT-Däne mich an (das ist so eine lange Geschichte, die ich noch erzählen muss) und dann mein Kollege. Schwupps, ist es Zeit, in das große Flugzeug zu steigen.
Dort funktioniert das Internet eher so meh, ich arbeite trotzdem, weil ich mich ja irgendwie auf die Inspektion auch vorbereiten muss. Außerdem mache ich den Fehler, ein winziges Glas Champagner zu trinken. Quasi sofort bekomme ich Migräne. Ich habe nur leider nur noch wenig Migränetabletten. Ich versuche es wegzuschlafen, was nicht funktioniert (tut es nie, wann lerne ich das?).
Ebenfalls noch im Flugzeug, weil ich feststelle, dass meine Hände kalt sind, rupfe ich mit sanfter Gewalt und viel Seife den Ehering von meinem vom Bowling beschädigten Finger. Es tut weh und wird das auch weiter tun. Stand heute habe ich den Ring nicht wieder getragen und stattdessen das Gelenk getaped.
In Newark angekommen geht alles total schnell. Die einzige Frage, die mir am Immigrations-Schalter gestellt wird, ist, ob ich Obst dabei habe. Naja, die haben ja auch seit Wochen kein Geld bekommen. Aber mein lupenreines Reisehandy wird nicht eines Blickes gewürdigt. Auch nicht mein ESTA, meine Rückflugbestätigung oder meine Hotelbuchung. Nichts.
Am Gepäckband kommt mein Koffer quasi sofort. Innerhalb von dreißig Minuten nach Aufsetzen des Flugzeugs bin ich aus dem Flughafen raus und fange sofort an zu schwitzen, es sind 21 Grad. Ich frage mich, warum alle Jacken tragen und angele meine Sonnenbrille aus dem Rucksack. Mein Uber kommt auch quasi direkt. Es läuft wirklich alles nahezu gruselig glatt. Jesus fährt mich ins Hotel, auch das ist ereignislos. Ich checke ein und bin kurz empört: ich habe nicht das gleiche Zimmer wie bei den letzten beiden Malen! Ist aber nicht so schlimm, das Zimmer ist eigentlich schöner, nicht so dunkel und es hat auch keinen Teppich, und die Klimaanlage ist neuer und nicht ganz so laut. Es ist inzwischen viertel nach vier.
Sehr amerikanisch.
Ich packe aus und versuche weiterhin alles, meine Kopfschmerzen loszuwerden. Eine Migränetablette ist schon drin, jetzt habe ich noch von jeder Sorte eine, das finde ich für eine voraussichtlich ereignisreiche Woche ein bisschen wenig. Auf dem Weg, etwas zum Essen zu finden, gehe ich deshalb erstmal den Supermarkt inspizieren.
Es ist Halloween! Ein Teil der Pharmacy-Abteilung.
Es gibt keine rezeptfreien Triptane, also kaufe ich irgendwas mit „Migräne“ im Titel, in dem alles mögliche mit Koffein kombiniert ist (bevor Sie jetzt Angst um meine Leber bekommen: in Deutschland gibt es das selbe Zeug, nur in doppelter Dosierung, rezeptfrei in der Apotheke). Und eine Dose Melatonin. Und eine Bodylotion, weil im Hotel nur ein winziges Fläschchen ist. Die Bodylotion (Walgreens Eigenmarke) entpuppt sich als Glücksgriff, die ist wirklich gut. Gut, dass die, typisch USA, ein riesiger Pott ist, da hab ich noch ne Weile was von.
Inzwischen ist es sechs und ich habe echt Hunger. Ich finde einen Laden namens Let‘s Noodle mit guten Bewertungen. Dort angekommen bin ich leicht irritiert, weil alle Bedienungen und generell alle sichtbaren Angestellten aussehen, als seien sie maximal 14 Jahre alt. Also ungelogen und nicht übertrieben. Ich überlege immer noch, ob das so eine Art Schulprojekt gewesen sein könnte. Aber die Nudeln sind gut.
Auf dem Rückweg gehe ich noch mal in den Supermarkt und kaufe Müsliriegel und Wasser. Wieder im Hotel angekommen schreiben die deutschen Inspektoren, dass sie in einer Stunde ca. da sind. Trotz Koffein-Kombipräparat merkt mein Körper aber, dass es eigentlich zwei Uhr nachts ist. Nach einer kleinen Bügelrunde (selbst die am besten eingepackten Blusen haben nach dem Auspacken Kofferfalten) falle ich ins Bett und schlafe…
… bis viertel vor vier. Juhu. Ab fünf kann man in den Fitnessraum, ab halb sieben gibt es Frühstück. Jetzt kommen die Müsliriegel und das Wasser zum Einsatz. So mache ich mir in der Mikrowelle Wasser heiß und habe, dank mitgebrachten Instant-Capuccinotütchen, immerhin Kaffee. Und viel Zeit, ein Sportprogramm auszusuchen. Die Wahl fällt auf Heavy Lifting. Spoiler: ich werde das bereuen.
Außerdem probiere ich aus, ob man in den USA mit nem norwegischen Pass und dreieinhalb Klicks sich Triptane verschreiben lassen und ans Hotel liefern lassen kann. Antwort: ja. Es ist wild.
Um zehn vor sechs ist das Sportprogramm durch, ich gehe duschen und ziehe mich an. Schminke mich und bin um kurz vor sieben beim Frühstück. Da treffe ich auch die deutschen Inspektoren. Den einen kannte ich ja schon, den anderen nur vom Bildschirm. Beide sind nett. Der „neue“ ist eher still. Gar nicht wie der andere.
Wir fahren zur Site und davon darf ich ja nichts erzählen. Es ist alles sehr viel besser als beim letzten Mal. Sie haben offenbar auch ein bisschen Angst vor uns (naja, letztes Mal lief auch echt nicht so gut für die). Das schadet ja nicht. Zeitmanagement klappt dieses Mal besser und wir sind eigentlich an allen Tagen zwischen fünf und halb sechs wieder draußen. Dann gehen wir essen und dann falle ich auch direkt wieder ins Koma. Am nächsten Morgen dann das gleiche Spiel, ich bin total früh wach, mache Sport, trinke Tütencappucino und esse Müsliriegel. So vergehen die Tage bis Freitag Nachmittag.
Am Donnerstag bekomme ich zum Abendessen eine Pizza, die so enorm ist, dass ich nach einem Drittel bereits kapituliere. Totale Verschwendung, ich kann die ja nicht mal mitnehmen.
Freitag Abend fahren die deutschen Inspektoren schon mal nach New York, das war mir aber zu teuer. Ich gehe stattdessen mit mir allein sehr lecker indisch essen – nur um festzustellen, dass deren Applepay-Terminal nicht geht und ich natürlich keine physische Karte dabei habe UND keine meiner Kreditkartennummern aus dem Kopf weiß. Handy hilft auch nicht. Was hilft: der sehr nette Restaurantbesitzer, der mich einfach ziehen lässt, unter dem Versprechen, ihn vom Hotel aus anzurufen und meine Kreditkartennummer durchzugeben. Telefonisch. Auch das: Wild. Ich habe seither bestimmt 26 mal geguckt, ob auch wirklich keine komischen Abbuchungen auf meiner Karte sind. Aber nein. Hat alles geklappt.
Hier mache ich erst mal Schluss, aufgrund der Uhrzeit und der Wirkung der amerikanischenMelatonintablette.
Arbeit. In die B und C Räume haben sie uns nicht rein gelassen. War nicht so schlimm, wir haben die Dinge auch durch die Fenster gesehen. Abends haben wir uns dann einen „freien“ Abend gegönnt, sind erst in den Fitnessraum gegangen und haben dann gegessen. Weil Samstag Abend war, wollte ich mich ein bisschen feiner machen und mir Lidstrich aufmalen, der hatte nur leider irgendwie den Druck im Flugzeug nicht gut überstanden (schätze ich), jedenfalls war da recht viel Tinte rausgelaufen. Ich dachte, das macht bestimmt nichts, habe das meiste weggetrocknet und aufgemalt und plötzlich lief mir die Tinte ins Auge. Ich sah nichts, aber extrem gruselig aus, die Tinte verteilte sich über den kompletten Augapfel. Gut, dass der Körper sowas schnell wieder rausspült. Den Rest saugte ich mit einem Kosmetiktuch weg und malte fertig. Ich war grad mit dem anderen Auge halb fertig, da lief ein weiterer Tropfen ins erste Auge. Diesmal brannte es so, dass ich das Auge zukniff und dann natürlich Tinte überall hatte. Einseitiger Panda. Ich fluchte sehr und schrieb dem Lieblingskollegen eine Nachricht, dass ich mich zum Essen verspäten würde. Es war dann noch ein schöner Abend, aber ich muss das nicht noch mal machen und empfehle auch niemandem, sich Eyeliner ins Auge zu füllen.
Sonntag:
Nach einem längeren Schläfchen als sonst so und einem ebenfalls längeren Frühstück als sonst so, machten wir einen Ausflug in die Stadt. Wir waren erst im selben Fort wie letztes Mal. Nur mit Sonnenschutz. Und nicht ganz hoch. Und mit Führung, wo wir über das ausgeklügelte Kommunikationssystem gelernt haben, das die da im 12./13. Jahrhundert schon installiert hatten. Und das Wasser- und Abwassersystem. Danach waren wir essen und dann noch auf dem Markt, was so eine absurde Menschenmenge war, dass ich komplett überfordert war, so laut, so viel, so bunt, Hilfe. Der Lieblingskollege fand das sehr amüsant.
Eingewachsene Sandalen.
Auch dieses Mal baten Leute um Fotos. Auch dieses Mal war das sehr seltsam. Irgendwie schaffte ich es, Souvenirs und sogar ein paar Perlenohrringe zu erwerben. Aber schlau war all das nicht, Montag war ich sehr… im Eimer. Autistisch. There, I Said it. Abends war ich das auch schon, der Lieblingskollege hat das dann auch zu spüren bekommen. Aber so ist es eben. Man kann von mir nicht alles haben, zum Beispiel, dass ich auf einem Markt bin und danach noch gerade Sätze raus bringe. Denn natürlich haben wir abends noch gearbeitet, wo kommen wir denn hin, wenn wir über 24 Stunden frei haben!
Montag:
Habe kaum Erinnerungen an den Tag. Dann ist wohl außer Arbeit nicht viel passiert.
Dienstag:
Weiter viel Arbeit. Habe den Lieblingskollegen belabert, nach der Rückkehr ins Hotel in den Fitnessraum zu gehen und danach erst weiter zu arbeiten. Dazu dann Essen aufs Zimmer zu bestellen, weil das Restaurant immer mindestens ne halbe Stunde braucht, um das Essen fertig zu bekommen. Für reines Warten haben wir keine Zeit. Wir haben trotzdem bis Mitternacht gearbeitet.
Mittwoch:
Grandios verschlafen. Um 07:37 davon wach geworden, dass das Zimmertelefon klingelte. Komplett verwirrt aufs Handy geguckt, wo x unbeantwortete Anrufe vom Lieblingskollegen waren. Zurückgerufen und mir 10 Minuten erbeten. Es wurden 19, aber dann stand ich bekleidet, mit geputzten Zähnen, gestylten Haaren und geschminkt in der Lobby. Kein Frühstück, kein Kaffee. Aus irgendeinem Grund hatte mein Handy keinen Piep von sich gegeben. Auch nicht, als ich Musik anmachen wollte. Der letzte Rotz. Nicht empfehlenswert. Den Tag völlig verstrahlt und mit schlechter Laune verbracht, der arme Hersteller. Aber die sollen halt einfach machen, was in den Richtlinien steht, dann haben sie auch keine pissige Inspektørin am Hals. Abends zum Ausgleich Arbeit bis ein Uhr Nachts. (Hass.)
Beschwichtigt worden (on site) mit Curd Apple. Curd Apple ist sehr lecker, auch wenn es nicht so aussieht.
Man löffelt das und lutscht das Fruchtfleisch von den Kernen ab. Die Kerne spuckt man aus.
Donnerstag:
Letzter Tag on site. Morgens noch mal in die Produktion gegangen und tatsächlich spannende Dinge gesehen. Es ist ja, ähm, schon auch, hüstel, spannend, wenn was, hust, ähm, schief geht. Danach viele lose Fäden aufgesammelt, nach dem Mittagessen einen Baum gepflanzt, Abschlussmeeting von 18 bis 20 Uhr. Cola, sehr viel Cola, machte es möglich. Die Firma hat jetzt etwas Arbeit vor sich, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ein letztes Mal anderthalb Stunden zurück zum Hotel gefahren. Ein letztes Mal in den Fitnessraum. Den sehr großen Fehler gemacht, in Socken auf dem Laufband zu laufen. Sehr, SEHR schlimme Blasen bekommen. Egal, geduscht, Füße verpflastert, ein letztes Abendessen, dazu auch ein Bier gegönnt. Zurück ins Zimmer, gepackt, irgendwie wach gehalten, um halb eins ausgecheckt und zum Flughafen gefahren. Die 6482 Passkontrollen durchlaufen. Ins Flugzeug. Irgendwie wach gehalten, bis man sich hinlegen durfte. Geschlafen, leider nur oberflächlich, bis 11 (06:30). Weitere Heimreise. Auspacken. Müde müde müde. Wäsche waschen. Alles roch nach Parfüm vom Hotel, vom Hersteller, überall Parfüm.
Das klingt jetzt höchstwahrscheinlich ziemlich bekloppt, aber insgesamt war es eine gute Reise. Wir hatten, trotz allem, sehr viel Spaß. Das Essen war Mega. Der Hersteller interessant. Die Diskussionen (fachlich und privat) mit dem Lieblingskollegen sehr gut. Würde ich wieder so machen – aber dann nicht so lange on Site bleiben. Lieber nen Tag länger, aber bis Mitternacht oder länger arbeiten, wenn man um sechs schon wieder aufstehen muss, ist mehr als brutal.
Aber wenn man so wenig schläft, ist der Jetlag gar nicht so schlimm! (Entschuldigt nichts.)