Tag 2919 – Dänemark Tag 4.

Hier ist es immer noch sehr schön, auch bei nicht so gutem Wetter – da kann man sehr ausgiebig ein Spiel ausprobieren. Und feststellen, dass es überraschend langsam, komplex und wenig kooperativ ist. Und weil manche von uns dann aus unterschiedlichen Gründen unter Strom stehen, sagen sie gemeine Sachen zu anderen, die auch unter Strom stehen und die sind dann über alle Maßen verletzt davon (das liegt an einem Phänomen namens Rejection Sensitive Dysphoria) und für die ist der Tag dann leider ziemlich im Eimer, aber das wird zumindest bis Ende des Spiels überspielt. Sie dürfen sich gerne ausdenken, wer in diesem Fall welche Rolle gespielt hat, weil es im Prinzip auch egal ist, es hätte nahezu jede Kombination sein können.

Abends versuchte ich, meine angestaubten Musiktheoriekenntnisse hervorzukramen und das Stück zu analysieren, das der Geigenlehrer mir „aufgegeben“ hat. Es ist *Trommelwirbel, Fanfarenstoß* das Presto aus Bachs 1. Violinsonate. Zwei Seiten Sechzehntel. Durchgehend. Ich hatte das schon mal in Abschnitte unterteilt, Phrasen kann man das eigentlich nicht nennen. Das reicht mir aber irgendwie noch nicht, das Stück ist so effing komplex, dass ich dachte, vielleicht hilft eine kleine Analyse, wenigstens die Tonarten raussuchen, vielleicht finde ich ein Thema oder so? Hahaha Nein. Es fängt damit an, dass es g Moll ist (laut Titel), aber notiert ist es in d Moll. Es wird wild (wirklich WILD) moduliert, ja, g Moll ist da durchaus auch bei, außerdem B Dur, G Dur, d Moll, D Dur, Es Dur und gefühlt jede andere Tonart auf der oberen Hälfte des Quintenzirkels. Und das allein auf der ersten Seite bis zur Wiederholung. Weiter kam ich nicht, da hatte ich schon mehr als eine Stunde darüber gebrütet. Die „Abschnitte“/„Themen“/„Phrasen“ sind mal 5, mal 3, mal 8 Takte lang und zwischendurch gibt es immer mal „Überhänge“, wo diese Abschnitte über Taktgrenzen hinausgehen und alles kurz asymmetrisch wird, dann aber wieder zurück in den Takt findet… und das alles halt in 16teln, die einfach ohne Pause durchrattern. Selbst beim Hören tun sich da ständig neue Dimensionen auf und ich hab das durchaus schon viele Male gehört. Mein Fazit nach meiner kleinen Analyseübung ist jedenfalls ein beherztes WTF. Bach, Alter, was geht? Ich schwanke zwischen maßloser Bewunderung und ebenso großer Überforderung.

Danach machte ich einen Abendspaziergang zum Runterkommen, sah Sonnenuntergang mit Leuchtturm und trug eine sehr kleine Kröte, die mitten auf der Straße spazieren ging, auf die andere Straßenseite.

Tag 2911 – Normal.

Ich glaube, ich bin wieder in dieser Zeitzone angekommen. Denn ich bin noch wach und das auch recht problemlos. Hurra!

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Heute Morgen lieferte ich Michel beim Korps-Sommerkurs ab. Ich glaube, das wird gut. Ich hab ihm noch mal gesagt, dass ich stolz auf ihn bin, dass er das durchzieht. Er meinte daraufhin, ob er ne andere Möglichkeit gehabt hätte, worauf ich sagte, naja, heulen und schreien wie letztes Jahr? Da musste er ein bisschen grinsen.

Die Wartezeit bei der Anmeldung überbrückte Michel, indem er mir Löcher zu Energiegewinnung in den Bauch fragte. Warum man nicht einfach mit Strom Strom erzeugen könne und dann immer mehr Strom hätte. Ich war kurz davor, die Hauptsätze der Thermodynamik zu erläutern, beschränkte mich dann aber darauf, die Unmöglichkeit von Perpetuum Mobiles zu nennen, aber die Möglichkeit von Energiespeichern zum Beispiel durch Befüllen von Wasserreservoirs in Zeiten von Energieüberschuss zu erklären. Und Zack, waren wir auch schon dran.

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Nachdem ich wieder zu Hause war, habe ich einen Arzttermin gehabt und meine Abhandlung über meine Seltsamkeiten abgeliefert. Ich bin wohl definitiv nicht so ganz normal, allein dass ich diese Erklärung verfasst habe, spricht, wenn nicht Bände, dann doch mindestens sechs Seiten. Immerhin sind seit nach dem Termin meine nervigen Kopfschmerzen wie weggeblasen. So ein Zufall!

Tag 2910 – Nicht einfaches Wochenende.

Gestern hatte ich übrigens Besuch, bevor ich abends sehr müde wurde. Das wird jetzt ein bisschen kryptisch, sorry, aber raus muss es trotzdem. Das war nämlich jemand von „früher“, also wirklich ganz früher, wir haben uns seit, wenn ich richtig gerechnet habe, 24 Jahren nicht gesehen. Das hatte auch Gründe, vor 24 Jahren waren Dinge nicht so einfach und danach auch nicht und überhaupt. Das machte dann auch, dass ich vor dem Besuch ein bisschen aufgeregt war, die ganze Situation war anfangs sehr seltsam und hölzern, aber dann war es ausgesprochen nett. Es war überraschend gut, mal mit jemandem zu reden, der dieses „früher“ aus einer anderen Perspektive mit erlebt hat. Jetzt habe ich hier außerdem einen USB-Stick mit alten Fotos, in den ich noch nicht rein geguckt habe, weil ich so ganz unbegleitet dann doch nicht unmittelbar in dieses „früher“ zurückgeworfen werden will. Herr Rabe kam aber eben erst von seinem Wochenendtrip zurück, deshalb war die Gelegenheit noch nicht da.

Wie gewohnt nach sozial nicht easy peasy Situationen war ich danach ziemlich alle und wohl auch deshalb gestern Abend extrem müde.

Ich bin trotzdem froh, dass wir das gemacht haben.

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Heute habe ich den Tag dann erst mal damit zugebracht, eine Bestandsaufnahme meiner Awkwardness zu betreiben, schriftlich, für meinen Hausarzt. Es wurde viel Text und war nicht einfach und teilweise schmerzhaft, das so geballt aufzulisten. Irgendwann war es dann auch körperlich schmerzhaft, weil ich Migräne bekam. Oh the joys. Während einer Pause packte ich Michels Tasche für den Korps Sommerkurs, woran teilnehmen zu müssen Michel als Zumutung betrachtet. Noch mehr joys. Ich war da aber dieses Jahr einfach sehr klar und habe mich gar nicht erst auf irgendwelche Diskussionen und Verhandlungen eingelassen und Michel scheint tatsächlich auch den Protest aufgegeben zu haben. Ich hoffe, er lässt sich dann auch darauf ein und hat Spaß – das Argument „ich hab letztes Jahr nur GESAGT, ich hätte Spaß gehabt, damit ihr zufrieden seid!“ kaufe ich ihm nämlich einfach nicht ab. Und zusätzlich weiß ich, dass er, wenn wir ihm das komplett frei überlassen, niemals an sowas teilnehmen würde, also gar keine Chance auf positive soziale Erlebnisse hätte. Ich verstehe ihn da voll – und zwinge ihn trotzdem, gerade weil ich ihn verstehe. Ich Monster.

Tag 2896 – Besser, Tröt und uiuiui.

Es sind nur noch knapp über 20 Grad und es hat sogar geregnet, in einer angenehmen Form, nämlich leichtes, aber stetiges Getröpfel über Stunden. Es ist, als würde die Natur einmal richtig aufatmen. Außer die Fluginsekten, die vielleicht nicht.

Die 3. Kompanie der Königlichen Garde

Die Kinder und ich fuhren heute nach Oslo, zum Tag der offenen Tür der Königlichen Garde (also der Soldaten mit den lustigen Hüten, die besonders gut im Paradieren sind). Die 3. Kompanie ist deren Drill- und Musiktruppe, die haben wir ja letzten Sommer schon mal gesehen, und mit zwei etwas nerdigen Korpskindern fand ich das eine gute Idee. Musik begeistert mich ja generell und auch wenn Marschmusik im Allgemeinen nicht soooo mein Favorit ist (generell dieses ganze militärische daran nicht) ist das, was die Garde spielt, auf einem Niveau, das es wert macht, dafür nach Oslo zu fahren. Außerdem sind das ja Wehrdienstleistende, das heißt, die diesjährige Garde ist eine komplett andere, als die letztjährige. Der Ausflug war auch echt gut, die Musik und der Drill einfach faszinierend, aber sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg passierten Dinge mit den Zügen, auf die ich flexibel reagieren musste, dazu kam, dass Pippi ein stetiger Quell von Geräusch und Bewegung ist, was mich auch stresst, und schon im Zug auf dem Weg zurück war mein Akku dann bedrohlich leer*. Wie Stöpsel gezogen. Das ist blöd, weil es im Nachhinein irgendwie das Erlebnis runterzieht. Anyway, auf dem Rückweg trafen wir dann noch Herrn Rabe, der in unseren Zug zustieg. Da war nicht mehr ganz so schlimm, dass ich mich zu Hause erst mal kurz etwas abschotten musste.

… denn die Verpflichtungen des Tages waren ja noch nicht vorbei, ich musste ja noch packen. Am liebsten hätte ich mich auch einfach heulend geweigert, überhaupt anzufangen, weil ich ja was vergessen könnte, aber ich bin ja nicht mehr 10 und habe mir das mit viel Mühe und ein paar Umarmungen von Herr Rabe verkniffen. Es ist jetzt fertig gepackt, zumindest soweit möglich, morgen kann ich mich noch bis ca. 16 Uhr verrückt machen und Last Minute Dinge in den Koffer werfen und dann geht’s auf nach Korea. Ohgottogott.

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*immerhin merke ich das inzwischen manchmal und mache dann auch, obwohl mit Kindern unterwegs, Kopfhörer rein und Musik an, weil mich das beruhigt und von weiteren Eindrücken (wie redenden Menschen überall) abschottet. Die Kinder haben ja von ner Mutter, die buchstäblich zu nichts mehr in der Lage ist, auch nichts.

Tag 2872 – Kurz Piep.

Hundemüde. Aber morgen kann ich Ihnen dann von beiden Tagen des ADHS-Elternkurses erzählen. Spoiler: in einem Raum voller Eltern von Kindern mit ADHS, das eine starke erbliche Komponente/familiäre Häufung* hat, kommen langatmige, unstrukturierte Vorträge jetzt nicht sooooo gut an.

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* ebenfalls Spoiler: solange ich die paper nicht selbst gelesen und ggf. zerpflückt habe, ist es in meinem Kopf nur Koinzidenz, nicht Kausalität. Gilt nicht so sehr für Erblichkeit von Neurodiversität, da ich genug von Genetik verstehe, um zu wissen, dass wir da noch ganz viel nicht wissen. Aber, noch ein Spoiler, heute wurden uns haarsträubende „Ursachen“ für ADHS genannt, deren Plausibilität sich ca. auf dem Niveau von „der krähende Hahn macht, dass die Sonne aufgeht“ bewegt. Mehr dazu morgen. Bleiben Sie dran.

Tag 2859 – Nach hinten raus ok.

Sozialkater am Tagesanfang. Wollte eigentlich nur aus dem Fenster gucken und den Blumen beim Wachsen zusehen.

Habe trotzdem gearbeitet, auch mehr oder weniger produktiv, nur nicht zwingend an den Sachen, an denen ich produktiv sein sollte. Tjanun. Eben vieles anderes gemacht.

Nach der Arbeit endlich die Weide beschnitten und die der Nachbarn gleich mit. Die hatte es noch nötiger als unsere, da waren schon viele Zweige tot. Man muss dazu sagen, dass sie auf der anderen Seite von unserem Hochbeet steht, noch nahezu auf unserem Grundstück, und unsere Weide ist 2 Meter weiter. Die Sonne schien und es war nun echt kein großer Akt. Ich hoffe nur, dass die Nachbarn nicht böse sind, die waren nämlich nicht da, als ich drauf los schnippelte.

Damit lose zusammenhängend werden wir am Wochenende dringend Unkraut jäten und die Himbeere am Einnehmen des Hochbeets hindern müssen.

Abends habe ich Geige geübt und es wird echt. Ich bin recht zufrieden.

Michel schläft heute bei seinem Schulfreund, das ist immer noch sehr ungewohnt, wenn er nicht da ist. Aber auch irgendwie schön, vor allem, dass er einen Freund gefunden hat, bei dem er sich so wohl fühlt, dass er da von sich aus übernachten möchte.

Der Tag hatte einen deutlichen Aufwärtstrend. Ich hab trotzdem einen Arzttermin ausgemacht, vielleicht möchte ja doch noch mal wer rausfinden, warum ich so seltsam bin.

Tag 2848 – Gefühle.

Heute war Pippis Vorstellung, das heißt, ich konnte heute auch die ganze Vorstellung mal sehen. Bonus: die richtig guten Gruppen Tanzen auf jeder Vorstellung. Nun ist es ja so, dass ich normalerweise nicht die emotionalste Person der Welt bin, eigentlich kann ich hauptsächlich Wut offen zeigen und bin sonst recht reserviert*. Aber Musik macht schon was mit mir und Tanz macht noch viel mehr mit mir. Und so fand ich mich in einem gnädiger Weise dunklen Saal und die Tränen liefen wegen süßen Kindern (darunter Pippi) und extrem guten Modern-Gruppen, und sogar wegen extrem guten HipHop-Gruppen. Ich meine, HipHop. Aber die waren auch alle so gut und ich war auch mal gut (nicht so!) aber jetzt bin ich 38 und kriege schon Schmerzen überall bei der Vorstellung, mich so schnell zu bewegen oder mich elegant und ausdrucksstark über den Boden zu wälzen. Ich könnte natürlich jetzt Dance Mom werden und Pippi muss dann all meine unerfüllten Träume stellvertretend für mich ausleben, aber dafür bin ich mir 1. viel zu bewusst, wie bescheuert das wäre und 2. ist Pippi dafür das falsche Kind, wenn man auf die Druck ausübt, passiert nämlich meist das Gegenteil von dem, was man möchte.

Drei der Kinder und Jugendlichen sind mir sehr aufgefallen, da war der eine Junge, der unglaublich viel Spaß hatte und mitsang (das macht Pippi auch, und ich mache das auch, aber nicht bei Shows), das große Mädchen das unfassbar gut HipHop tanzt und passabel alles andere, aber wirklich überragend eben HipHop (alle Styles) und das eine blonde Mädchen mit den langen Haaren (ok, das trifft auf ca. 80% der Tänzerinnen hier zu…), das aus der Jane-Fonda-Gedächtnisgruppe (I‘m so exited) herausstach, weil sie nicht nur wie der Rest der Gruppe die komplette 3-Minuten-Killer-Choreografie technisch sauber und voller Energie ausführte, sondern, Achtung, auch noch nen schönen Kopf/Hals dabei hatte. Ich hatte mal eine Ballettlehrerin, die sagte, man spricht beim Tanzen mit dem Brustbein, den Schultern und dem Kopf, und bei diesem Mädchen war das sehr gut zu sehen, auch was das für die Linien ausmacht. Ich hoffe, die werden alle entsprechend gefördert. So. Das war mein Senf als Hilfs-Dance-Mom.

Einziger Minuspunkt: es war zu laut. Und viel zu viele Menschen – die zum Teil auch noch mit mir reden wollten. In Summe waren das dann wohl in den letzten Tagen leider ein bisschen viele Dinge außerhalb meiner halt doch ziemlich begrenzten Komfortzone und als wir wieder zu Hause waren, war mein Akku so leer, dass ich mich erst mal ins Bett legte – besser jedenfalls als direkt wieder loszuheulen, diesmal aus Erschöpfung. Trotz 8 Stunden Schlaf letzte Nacht schlief ich noch mal fast zwei Stunden. Dann ging’s wieder.

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* kalt, sagen einige. Sieht aber nur so aus, ehrlich.

Tag 2842 – Matsche im Kopf.

Ok, es war heute alles ein bisschen viel, ich kann das nicht gut sortieren grad. Es war sehr viel gutes dabei, eigentlich war es ein ausgesprochen guter Tag, es geht jetzt nur so viel im Kopf rum, dass ich schlecht runter komme. Teile davon möchte ich hier auch gar nicht so unbedingt öffentlich breit treten, was andererseits irgendwie den Sinn eines Tagebuchs nicht ganz erfüllt. Nun ja. Vielleicht mache ich mal wieder einen Artikel mit Passwort, irgendwo muss es ja hin, das alles. Und so alle viereinhalb Jahre kann man das ja mal machen (krass, wie lange die Chipsfabriksache schon her ist). In meinem Kopf spielen die Gedanken grad jedenfalls alle Pingpong. Zum Einschlafen gehe ich ja gerne Choreografien im Kopf durch, unsere für Sonntag ist allerdings ein bisschen zu kurz. Alternativ gehen auch Musikstücke, aber was ich für den Geigenlehrer üben soll, ist auch zu kurz.

Die Gefahr ist groß, dass ich morgen nicht sehr ausgeschlafen sein werde, das wäre nicht so gut, aus Gründen.

Einen fun fact von heute kann ich ja erzählen: ein Nicht-ITler aus einer themenverwandten Gruppe im Werk hat, ohne programmieren zu können, auf der selben Basis die das IT-Projekt hat, etwas in hobbymäßigem Einsatz zusammengeklöppelt, das ganz ganz stark an das IT-Projekt, in das so viele Ressourcen geflossen sind, erinnert. Und zwar ohne, dass er das IT-Projekt überhaupt mal gesehen hätte. Er erklärte das mit „Naja, das ist ein no Code-low Code-System, echt kein Hexenwerk“. Ich lasse das mal so stehen, Sie können sich sicher denken, was das für den Rest meines Respekts gegenüber dem IT-Projekt bedeutet.

Kein Wunder, dass denen ständig die Leute wegrennen.