Tag 3428 und 3429 – Ein kurzer Abriss von 4 Monaten Burlesque.

Erstens: man (ich) braucht so zwei Tage, um von sei einer Show wieder runter zu kommen. Deshalb passierte gestern auch quasi nichts. Migräne passierte. Das ist eigentlich nicht überraschend.

Nun ja, ich beginne das mal chronologisch. Nachdem Herr Rabe und ich Anfang Juli spontan wegen Kinderfrei bei einem Burlesque-Bingo waren, war ich von der Selbstsicherheit, der Bühnenpräsenz, dem offensichtlichen Spaß daran und der Körperpositivität so hingerissen, dass ich ein bisschen herumgoogelte und herausfand, dass die eine Künstlerin bei einer Burlesque-Schule arbeitet, die Kurse anbietet. Sie selbst Montags (da kann ich nicht, da ist dieses Jahr ja Ballett), ihre Kollegin/Chefin/Gründerin der Schule mittwochs. Da dachte ich ein wenig drauf rum und meldete mich dann da an, für den Anfängerkurs direkt nach dem Sommer, sechs Wochen. Und dann graute mir etwa sechs Wochen davor. Was, wenn ich stocksteif war? Was, wenn die doof waren? Was, wenn ich meinen Hintern im Spiegel zum weglaufen finden würde? Ich hatte ja auch gar nichts zum Anziehen!

Als ich dann aber mit Pippi neue Ballettsachen kaufen war (weil Pippi wächst wie Unkraut), besorgte ich einige grundlegende Dinge: High Heels zum Tanzen, eine Netzstrumpfhose und einen schwarzen Ballettbody aus dem Sale, mit Mesh obenrum, so mittelsexy, aber definitiv besser als ein Bügel- und Polsterloses Bustier, wie ich sonst täglich trage. Ebenfalls wesentlich angezogener. Die Netzstrumpfhose war der beste Kauf EVER. Leute, eine Netzstrumpfhose in Profi-Qualität hat ihren Preis, aber sie ist magisch. Die sind recht eng und haben fast nen Spanx-Effekt. Sie sind absurd haltbar, wie oft ich in der schon hängen geblieben bin (vor allem mit der Schnalle von meinen Schuhen) und es ist einfach überhaupt nichts passiert. Die Netzstrumpfhose hat auch mein Armband auf dem Gewissen, die war einfach stärker. Durch das Netz sieht man so Dinge wie Cellulite, blaue Flecken, beim Rasieren geschnitten etc. einfach GAR NICHT MEHR. Es ist Zauberei und ich wünschte, die hätten mehr Einsatzbereiche, ehrlich. Die Wahl der Schuhe (wir erinnern uns, ich trage nur noch super flache, extra breite Schuhe und am liebsten Barfußschuhe) fiel auf Musical-Schuhe mit einem (ich glaube) 6,5 cm Absatz. Schlicht, schwarz, Leder, sehr flexibel, aber trotzdem stabil, nicht rundum geschlossen (wie Standard-Schuhe sind), keine sichtbaren Zehen (wie Lateinschuhe sind), weil ich meine Zehen nicht mag. Mir war wichtig, dass ich meine Zehen komplett strecken kann, aus unerfindlichen Gründen.

Die erste Stunde war dann sehr positiv, alle meine Befürchtungen wurden weggewischt, aber tänzerisch war ich vom Anfängerkurs doch etwas unterfordert. Wir liefen viel in verschiedenen „Stilen“ quer durch den Raum. Wir lernten Hüftewackeln, Shimmy (Schultern schütteln), Grinds, ein bisschen sexy Bodenarbeit. Plötzlich sollten wir lange Handschuhe besorgen, ich investierte in richtig tolle Opernhandschuhe aus einem Handschuhladen… und seit Freitag Abend sind die weg. Ich hoffe, es bemerkt noch wer, dass sie die falschen mit nach Hause genommen hat.

Wir lernten, wie man sexy und vor allem irre langsam Handschuhe auszieht. Mit den Händen, mit den Zähnen und die Burlesque-Mama demonstrierte es auch mit den Pobacken. Wir lernten auch, wie man halterlose Feinstrümpfe sexy und vor allem irre langsam auszieht. Wir lernten, wie man ein Kleid auf verschiedene Arten ausziehen kann und sollten improvisieren, verschiedene „Stimmungen“ beim Ausziehen darzustellen, zum Beispiel „flirty“, oder „aggressiv“ oder „haha, ich bin zu blöd dieses Kleid auszuziehen, was bin ich für ein niedliches Trottelchen!“. Needless to say, diese Impro-Theater-Übungen fielen mir absurd schwer und ich lernte absurd viel dabei. Ich bin echt keine schlechte Schauspielerin! Ich hab ja auch 39 Jahre Übung.

Beim letzten Termin des Anfängerkurses sollten wir dann richtige Nippeltassels mitbringen und die Troddeln Propellern lassen. Ich bin immer noch keine Bastelmutti, aber ich kaufte Moosgummi und einen Metallic-Edding, mischte mir selber Glitzerkleber, machte Troddeln, bastelte (mit YouTube-Anleitung) diese Pasties und kaufte Hautkleber. Dann probierte ich alle meine sexy BHs von früher durch und es passte mir davon einfach gar nichts mehr. Alles sah aus wie Presswurst, dabei sind meine Brüste jetzt eher kleiner als damals (dachte ich), nur anders geformt nach zwei Kindern. Spontan ging ich dann mal in ein Fachgeschäft, die maßen mich aus und jetzt habe ich wieder Unterwäsche, die passt. Der Cup ist absurd groß, der Umfang absurd klein. Niemals hätte ich diese Größe aus dem Regal genommen und anprobiert, aber es passt wie aufgemalt. Ich kaufte auch noch einen Schlüpper, der bis zur Taille hoch geht und ging sehr mutig und mich sehr nackt fühlend zu der letzten Stunde. Die Männer, die wir in dem ersten Kurs hatten, waren beide nicht aufgetaucht, also begab es sich, dass irgendwann etwa zwanzig Frauen mehr oder weniger verklemmt diese Dinger nach Anleitung auf die Nippel klebten und dann Propellern sollten. Ich habe noch nie so viel Spaß in einer Tanzstunde gehabt. Noch. Nie. So viel ehrliche Freude, wenn man den Troddel ans Drehen bekommt, so viel Lachen, weil es lustig aussieht und sich auch echt lustig anfühlt. Am Ende haben wir einen albernen Dance-Battle gemacht und mit den Brüsten geschlackert was das Zeug hielt und es war so wahnsinnig befreiend, dass ich mich danach für Kurs zwei und drei angemeldet habe.

Später lernte ich, dass spitzer besser ist, und dass die Troddeln tiefer hängen sollten, denn beides macht einfacheres Drehen.

Der zweite Kurs war tänzerisch anspruchsvoller und wir lernten ein paar echt coole Choreografien. Eine davon polierten wir bis zur Bühnenreife auf und führten sie dann tatsächlich am Freitag auf, zum ersten Mal überhaupt durfte der Intermediate-Kurs auftreten. Hurr hurr. Wir zogen weiter Dinge aus, ich freundete mich mehr und mehr mit meinem Körper im Spiegel an, die Burlesque-Mama erwähnte, dass die Newcomers-Night für Solos offen sei. Ich meldete mich an. Komplett aus einer Laune heraus, denkend, dass ich damit das Projekt „Comfortzonenverschiebung“ perfekt abschließen würde. Ich sag mal so: DAS WAR AMBITIONIERT. Ich habe noch nie eine Choreografie gemacht. Ich habe noch nie ein Solo getanzt. Schon mal gar nicht habe ich mich vor Leuten ausgezogen! Mir ging der Hintern ganz gut auf Grundeis und als ich endlich die zündende Idee zu einem Musikstück hatte, hatte das Stück in einer anderen Version schon eine andere. Egal, dachte ich, dann muss ich halt besser Strippen. Und dann dachte ich, dass das ein sehr seltsamer Gedanke war, der mich da streifte, ich und Strippen, vor Leuten, auf einer Bühne, besser als jemand, die das schon viele Male gemacht hat. Trotzdem war ich da komplett sicher, dass das gehen würde.

Die Choreo ging ich systematisch an, und ich startete im Grunde mit dem Kostüm. Ich wollte eine sehr androgyne Nummer haben, jedenfalls zu Anfang, klassisch Marlene Dietrich-Style, und es sollte Tanz und elegant sein, weniger der Cabaretartige Stil, den Burlesque auch hat. Nachdem ich bei zwei Shows recherchiert hatte, und vor allem nach der zweiten Show, wo ich die Bühne sah, auf der das stattfinden sollte, fiel dann alles ziemlich natürlich an seinen Platz. Nur konnte ich im Wohnzimmer ja nur sehr eingeschränkt üben, da ist kaum Platz. Und, man glaubt es kaum: das Publikum ist ganz entscheidend dabei. Ohne Publikum üben ist wie lauwarme Gemüsesuppe essen. Die Interaktion gibt ganz viel zurück und macht den Tease erst interessant. Tease ohne Zuschauende ist albern bis peinlich. Selbst ich lernte das sehr schnell.

Nun war es aber ja auch so, dass ich zusätzlich zu der Solonummer noch zwei Gruppennummern hatte und deshalb habe ich die letzten Wochen eigentlich nur gebastelt oder Proben gehabt, auch am Wochenende. Ich besitze jetzt so ein Dings zum Strasssteine kleben. Ich habe Fransen an Unterwäsche genäht. Ich habe Strumpfhalter an Netzstrumpfhosen festgenäht. Ich habe ein Hemd präpariert, um es mir effektvoll vom Körper reißen zu können, ohne, dass ich es kaputt reiße (musste ja auch für x Proben halten). Ich habe eine Boa aus Tüll gebastelt. Ich habe Pasties und Tassels gemacht. Einen Zylinder gekauft und verziert. Gelernt, wie man eine Schleife bindet (also eine Bow Tie, zum selbst binden und ebenfalls effektvoll ausziehen). Keine Bastelmutti? Pech.

Ich weiß jetzt: Kleider-Tape von Cubus ist viel besser als Spirit-Gum Hautkleber, das kriegt man nämlich rückstandsfrei wieder ab. Ich weiß auch, dass man echt schnell Löcher mit dem Straßsteinklebedings in einen Strumpfbandhalter brennt. Und wie man das kaschiert. Ich weiß, dass die Heißklebepistole eine sehr gute Erfindung ist und dass Bastelkleber auf dem Glitzermoosgummi auch einfach gar nicht hält.

Aber am Ende, am Donnerstag Abend, hatte ich alles beisammen.

Freitag aß ich den ganzen Tag über quasi nichts. Ich hätte jederzeit in die nächste Ecke brechen können. So aufgeregt war ich seit meiner Diss nicht mehr vor irgendwas, und ich glaube, selbst die Diss war nicht so schlimm. Bei der Arbeit weiß auch niemand von diesem Hobby, und ich hatte all den Kram in einem dezenten Köfferchen versteckt. Vor der Generalprobe saß ich kalten Schweiß ausdünstend in der Bar und versuchte, einen halbwegs geraden Lidstrich zu ziehen. Lediglich die Anwesenheit diverser anderer aufgeregter Mitmenschen, unter anderem einer sehr netten Drag Queen, bewahrte mich vorm Nervenzusammenbruch. Die Generalprobe lief dann… überraschend gut. Die anderen Anwesenden waren sehr angetan und jubelten schon bei der Probe. Mehrere kamen hinterher zu mir und sagten, das würde sehr gut. Ganz anders auch als die andere Version des selben Stückes, auch wenn wir beide auf einem Stuhl sitzend aufhörten. Mir kam an dieser Stelle auch sehr entgegen, dass die Gruppennummern beide vorher waren, ich hatte also zum Zeitpunkt des Solos schon zwei mal meine Brüste auf dieser Bühne geschüttelt. (Das Solo war ohne Schütteln. Ich kann nur in einer Position vernünftig Propellern, und man muss ja nicht die schwächeren Seiten betonen.)

Es gibt noch keine offiziellen Bilder (aber bald), und die Gruppenbilder kann ich ja hier nicht einfach so zeigen, deshalb müssen Sie mit den Aufnahmen (Screenshots aus einem Video) von Herrn Rabe leben. Der das super fand, also die ganze Show, und auch kein Problem damit hat, was seine Frau da so macht. Weil er der beste Mann ist.

Nein, die Dame, die da filmt, kenne ich nicht. Die hat aber hinterher noch gesagt, wie toll sie das fand.

Achtung, auf dem nächsten Bild nur noch Unterwäsche.

Schluss. Noch weniger an.

Es gab bei der Show nur einen klitzekleinen Zwischenfall, als sich mein (ausgezogener) BH in der Netzstrumpfhose verfing. Das löste ich schnell mit Gewalt. Die Strumpfhose (wir erinnern uns an die unkaputtbaren Profi-Strumpfhosen) überlebte, eine der Strassketten am BH riss, aber die reparierte ich heute, das sieht man nicht mehr. Ich denke, dieses Unterwäsche-Set wird zumindest vorerst ein Kostüm bleiben.

So. Das war’s. Ich kann das nur empfehlen. Machen Sie einen Striptease-Kurs, es ist sehr gut.

Ich habe mich zum Intermediate- und Fortgeschrittenenkurs im Frühling angemeldet. Ob ich direkt wieder ein Solo mache, ist aber zweifelhaft, das war echt viel Arbeit. Aber auch echt viel Spaß. Hmmhmmhmm.

Ach so, einen Bühnennamen habe ich jetzt auch: etwas sperrig Spirita Extatica – The Spirit of Ecstasy. A symbol of dreams – of energy, grace, and beauty. https://www.rolls-roycemotorcars.com/en_GB/inspiring-greatness/values/the-spirit-of-ecstasy.html

13 Gedanken zu “Tag 3428 und 3429 – Ein kurzer Abriss von 4 Monaten Burlesque.

  1. Avatar von dorothea.regina dorothea.regina schreibt:

    Also, bitte – wie GROßARTIG ist das denn?! Ich hatte ja schon Richtung „Theater“ geraten, aber Burlesque ist der Hammer. Die Traute, das Selbstbewusstsein, das megaglückliche Strahlen! Chapeau und großer Beifall <3

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  2. Avatar von Ingrid Tiemann Ingrid Tiemann schreibt:

    Wie großartig! Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Auftritt und herzlichen Dank für den Bericht. Speziell das gemeinsame „Propellern-Üben“ fand ich toll, geradezu ansteckend!

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  3. Avatar von Julia Julia schreibt:

    Ich kann da nur schreiben: Danke für die Auflösung und ganz dick und fett „Daumen hoch“! Sich bewusst für etwas entscheiden, was einen ordentlich herausfordert, und das mit Freude an der Überwindung durchziehen, finde ich enorm klasse!!

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  4. Avatar von Bille Bille schreibt:

    wo kann man hier applaudieren! Grandios und beneidenswert toll!
    Wenn das nicht aus der Komfortzone heraus ist! 🤩

    danke dass wir das so mitlesen dürfen (und danke für die Spannungsbögen der vergangenen Wochen!)

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  5. Avatar von Sille Sille schreibt:

    Allen Respekt und Glückwunsch, liebe Frau Rabe! Das ist großartig. Ich bewundere sie. Was sie leisten, ist enorm. Im Job, in der Familie und noch Hobbys. Ich lese so gern bei Ihnen, es ist so herrlich ungeschminkt – Danke dafür und eine schöne Weihnachtszeit!!!

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