Tag 3742 – Gelogen!

Nein, wer hätte das gedacht, die, die uns hier das Haus verkauft haben, haben gar nicht die Wahrheit gesagt. Wir hatten heute ein Treffen mit dem „veilag“, also den Nachbarn, die hier mit uns auf unserem Berg wohnen und es wurde gesagt, dass der Vorbesitzer sich von allen am häufigsten im Winter festgefahren hat (und dass es passieren wird. Es passiert allen). Nichts mit „ich musste nur ein Mal unten parken“.

Ich finde sowas ja wirklich immer überraschend, wenn Leute einfach nicht die Wahrheit sagen. Und schockierend. Da gehe ich lange nicht so abgebrüht „hab alles gesehen“-Inspektorinnenmäßig durch die Welt, wie es vielleicht den Anschein hat.

Naja. Wir haben ja Abschleppdienst in der Versicherung mit drin. Letzten Winter hab ich auch nie ne Rechnung bekommen, als ich mich fest gefahren hab. Ähäm.

Dafür jetzt hier der Rest der Geschichte zu der Zahlenreihe. Nachdem wir alle, also so 150 Leute, ich übertreibe da nicht, mit rauchenden Köpfen ne halbe Stunde über der Zahlenreihe 2, 3, 5, 9, 7, 33, ? gebrütet hatten und viele, viele Schmierzettel mit teils abstrusen mathematischen Konstrukten bedeckt wurden, fragte jemand, ob die Zahlenreihe noch mal wiederholt werden könnte? Ja klar, 2, 3, 5, 9, 17, 33.

Ein Stöhnen ging durch den Raum und eine Welle der Erleichterung. Wir müssen nicht kollektiv unsere Mitgliedschaft zurückziehen! Hurra.

Aber das war wirklich ein Rezept, wie man nen Haufen Mensaner*innen in den Wahnsinn treibt. Einfach mal ne Zahlenreihe mit nem Fehler drin raushauen. Schweinerei.

(P.S. die „Mensa-Test“-Aufgaben, die man hier in Norwegen machen muss, sind nicht mit Mathe oder Zahlen und auch nicht mit Schrift oder Faktenwissen, sondern ein sogenannter Figure Reasoning-Test (A la Raven’s Progressive Matrices). Das ist breiter zugänglich, also Kulturkreisunabhängig und inklusiver für Menschen mit z.B. Leseschwächen. ABER wer mag denn kein Quiz? Wenn man irgendwo mit abstrusem Nischenwissen glänzen kann, dann ja wohl da! Wenn man Glück hat und das Nischenwissen dran kommt.)

Tag 3739 – 3741 – Es lässt mich nicht los.

(Hier passiert nicht viel interessantes. Chefin nervt. Arbeit nervt. Früh aufstehen nervt kolossal. Und leider wird vermutlich mein Ballett ab nächstem Jahr eingestampft, wegen zu wenigen angemeldeten. Das finde ich sehr traurig. Und weiß auch noch nicht, was ich dann mache. Aber das überlege ich mir dann zu gegebener Zeit.)

Am Samstag war ja nicht nur doofes Spiel spielen*, sondern davor war in umgekehrt chronologischer Reihenfolge ein Galadinner, bei dem man seinen Platz finden musste, indem man das richtige Puzzle zu seinem zugelosten Puzzleteil fand, und Quiz. Ich konnte beim Quiz tatsächlich mal was beitragen, weil ich mehr als di*er durchschnittliche Norweger*in über Berlin weiß (yeah!) aber an folgendem haben wir uns alle die Zähne ausgebissen, kollektiv der ganze Raum. Ein Raum voller Leute, die in genau sowas eigentlich überdurchschnittlich gut sind. Tipp gibt es dann morgen.

Die Frage, die vorgelesen wurde, war: welche Zahl kommt als Nächstes in der Reihe? 2, 3, 5, 9, 7, 33.

Ich hab mein Puzzle sofort gefunden.

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*das ich heute gekauft habe, genau wie das hier, das ich letztes Jahr verzweifelt gesucht und nicht gefunden habe (weil ich den Titel nicht wusste):

Das kann man bestimmt auch mit den Kindern mal spielen, das ist sehr kurzweilig und lustig.

Tag 3738 – M.Ü.D.E.

Erstens: wir haben den Vorfall wie Erwachsene aufgedröselt, uns gegenseitig beieinander entschuldigt, über unsere Gefühle und Verletzung eben dieser gesprochen und dann war auch alles gegessen. Es ist alles sehr ungewohnt. Also alles davon. Meine Gefühle so nach außen zu tragen, darüber zu reflektieren und zu reden und das mit quasi fremden Leuten, Männern obendrein? In jedem anderen Setting undenkbar. Normalerweise muss ich ja erst mal mindestens nen halben Tag drüber nachdenken, was das tatsächliche Gefühl hinter der Wut (mein default-Gefühl, wenn irgendwas „off“ ist) wohl sein könnte.

Ich bin auch inzwischen wieder zu Hause. Aber ich kann kaum noch die Augen offen halten, es war einfach viel zu wenig Schlaf letzte Nacht und generell ein anstrengendes Wochenende, so mit allen Schilden unten, allen Nervenenden nach außen gekehrt und allen Filtern außer Betrieb.

Insofern – gute Nacht.

Tag 3737 – Landestreffen Tag 3.

Grad ist es nicht gut. Ich hab, unvorsichtiger Weise, gedacht, ich könnte ein Spiel ausprobieren, das mir lustig erschien, und es war nicht gut. Alle anderen hatten das schon drülfzig Millionen mal gespielt und ich hatte Alkohol getrunken. In dem Spiel geht es um Lügen und Intrigen, ein bisschen wie Werwolf oder Among Us, das sind nicht meine stärksten Seiten, aber es macht mir trotzdem Spaß. Das alles hätte gut ausgehen können – in einer anderen Runde. Da waren ein paar Typen dabei, hauptsächlich 2, die mich sehr haben spüren lassen und auch mehrfach gesagt haben, dass ich in dem Spiel nicht gut bin. In der dritten Runde machte der eine dann auch noch was, das mich total aus jedem Fitzelchen von Konzept brachte, ich reagierte… naja, wie soll ich sagen, wie ne angetrunkene Autistin??? Jedenfalls falsch, und dann prokelte er da immer weiter drin rum und drängte mich in die Ecke, und meine Reaktionen wurden dadurch gar nicht richtiger irgendwie (potzblitz!). Nach dem Ende der Runde sagte ich, dass ich das sehr dreckig fand und überhaupt nicht verstehe, was das sollte, woraufhin er sagte, ich würde ihm ja auch das Spiel kaputt machen, wenn ich dann so unsicher reagiere. Dann dampfte er schnaubend ab und ich brach in Tränen aus. Was mir jetzt natürlich ultra peinlich ist. Inzwischen ist es mir sogar meta-peinlich, weil ich ja weiß, wieso ich so reagiere (die haben, vermutlich komplett unbeabsichtigt, ganz wunde Punkte getroffen, die mit Mobbing, Ausschluss, falsch laufender Kommunikation und immer wieder missglückten Versuchen, eine Community zu finden, zu tun haben*) und weil Gefühle haben ja ok ist und das doch eigentlich ne gute Eigenschaft ist und so weiter und so fort.

Bleibt hängen: ich kann nicht gut Schauspielern, nahezu gar nicht lügen, strategisch ohne Rücksicht auf Verluste denken, Intrigen spinnen und Schmutzkampagnen fahren kann ich auch nicht und nicht mal meine Gefühle im Zaum halten kann ich. Die Drittklässlerin, die bei jeder Ungerechtigkeit geheult hat, bis die halbe Klasse „heul doch, heul doch!“-johlend hinter ihr her lief, und die gemobbte 13-Jährige stehen sofort parat.

Immerhin eine Freundin habe ich hier, die dabei war und sich mein Geheul hinterher angehört hat und die wirklich lieb war. Yeah, I guess.

Der Rest vom Tag war im übrigen super. Nur ganz am Schluss war es richtig kacke.

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*ANDERERSEITS. Das hier ist Mensa. 90% von uns wurden gemobbt. Mindestens die Hälfte hat noch irgendwelche anderen Buchstabendiagnosen (also ASD und/oder ADHS). Inklusion wird sehr groß geschrieben. Es wird überall dazu aufgefordert, sich zum Beispiel an einen Spieletisch zu setzen und Leute anzuquatschen. Da kann man erwarten, dass das Gegenüber nicht einfach ohne Rücksicht seinen Stiefel fährt und sich benimmt wie die emotionale Axt im Wald.

Tag 3736 – Landestreffen Tag 2.

Es ist ein wilder Ritt hier. Ich bin hier extra weird (hier ist die Weirdo-Dichte aber auch hoch und alle werden einfach so akzeptiert, wie sie sind, es ist so toll! Kein Wunder, dass ich da sofort alle Schilde runterfahre, wenn auch unbewusst), ich habe alle möglichen Gefühle gleichzeitig und die ganze Zeit, ich unterhalte mich super, habe Spaß, mache Quatsch und muss(te) mich mittags noch mal für ne Stunde hinlegen, weil alle Batterien komplett leer waren.

Ich mag diesen Verein sehr.

Tag 3370 – Wieder außerhalb der Komfortzone.

Aber anders. Denn ich bin jetzt wo, wo ich drei Tage lang nichts anderes mache, als neue Leute kennen zu lernen.

Bisher läuft das ganz ok. Aber ich gehe jetzt dann auch lieber ins Bett, obwohl noch Brettspiel, Poker, Gaming und generell geselliges Beisammensein läuft. Das läuft aber auch ohne mich. Meine Batterie im Hinblick auf meine Einschränkungen ist eh schon ziemlich leer, gestern merkte ich das sehr deutlich, und es liegen noch zwei volle Tage vor mir. Lieber Kräfte schonen. Aber ich war schon beim Pop Up Chor und habe gesungen, das war zwar musikalisch jetzt eher so njaaa aber ansonsten sehr schön.

Aus gegebenem Anlass habe ich gestern meine Haare getönt. Und auf komplett weiß knallt die Farbe auch richtig.

Aber holla, färbt die Farbe ab. Also, dass Directions in den ersten Tagen ausbluten, bin ich gewohnt, aber das ist ein neues Level. Lustiger Weise geht es von den Händen (an die es nur abgefärbt hat) dann aber nie mehr runter. So soll die Farbe aber auch nur kurz sein, genau genommen nur dieses Wochenende, da kann ich das verschmerzen.