Tag 2615 – Gut genug.

Der Kuchen ist gebacken und die Tasche ist gepackt bis auf die Kühlschranksachen. Eine Strumpfhose ist zurechtgelegt. Alle Testcases sind fertig und verteilt. Zwei Überstunden wurden heute absolviert. Die Woche kann los gehen.

Ich möchte das alles nicht, innerlich renne ich schreiend im Kreis, weil ich mal wieder das Gefühl habe, nicht gut genug zu sein. Weil ich nicht in allem perfekt bin und das ist nun mal das einzig akzeptable in unserer Gesellschaft. Ich habe nächste Woche (und übernächste) eine Inspektion, auf die ich eher so naja vorbereitet bin. Morgen kann ich mich nicht wirklich weiter vorbereiten, weil wir testen, Dienstag haben wir ein Ganztags-Meeting mit der ganzen Etage, ist das nicht schön (nein) und kommt das nicht total günstig jetzt (ebenfalls nein). Morgen Abend habe ich ein Politik-Meeting, auf das ich auch besser vorbereitet wäre, haha, und während des Meetings, das immerhin online ist, muss ich Inspekteurinnenkleidung bügeln, weil ich Dienstag noch ein Politik-Meeting habe und danach sicher nichts mehr bügele. Ich rotiere also an allen Fronten und man könnte jetzt sagen, wow, was für eine Powerfrau, so ein krasser Job und so viel nebenher, aber da sitzt auch der kleine innere Patriarch auf meiner Schulter und sagt: du hast heute die Kinder nur angeranzt während du Kuchen für deine KollegInnen gebacken hast, was bist du für eine schlechte Mutter. Mit Glück kannst du morgen Michel und Freitag beide ins Bett bringen, den Rest der Woche bist du zur Bettzeit nicht zu Hause. Und wer macht Hausaufgaben mit den Kindern und fährt sie rum? Haste wieder schön auf den Papa abgeladen, weil die feine Frau Rabe muss ja arbeiten.

Rational weiß ich, dass das Quatsch hoch zehn ist. Rational weiß ich, dass es nicht möglich ist, (mehr als, weil der Job und die Ressourcensituation im Job nun mal so sind) Vollzeit zu arbeiten, mit 1 Stunde Fahrtweg pro Strecke, und dann noch bis 8:00 Uhr und spätestens ab 16:00 Uhr parat zu stehen für diverse Taxidienste. Und natürlich nicht sich abends noch mal ranzusetzen, weil das ist weder achtsam noch gesund, wo bleibt die Paarzeit und nieder mit dem Kapitalismus und so weiter und so fort. Wochenendarbeit, pöh, du Lohnsklave! Das dankt dir keine*r, du legst die Latte zu hoch, das wird dann in Zukunft erwartet, yada yada.

Rational weiß ich das, genauso, wie dass es völlig ok ist, sich mal ne Stunde rauszuziehen und Geige zu spielen oder zum Ballett zu gehen, weil ich sonst eine unglückliche Version von mir werde. Oder dass Leute, die keine Putzhilfe haben, dafür mit 3-4 Stunden Zeit pro Woche bezahlen (oder eine wesentlich höhere Drecktoleranz haben). Rational weiß ich das alles.

Rational weiß ich sogar, dass die ganzen kleinen Teufelchen – das Patriarchatsteufelchen, das kapitalismuskritische Teufelchen, das feministische Teufelchen, … – sich gepflegt gehackt legen sollten mit ihrem Gezerre in alle Richtungen gleichzeitig.

Emotional ist das leider was anderes. Deshalb versuche ich seit längerer Zeit schon an meiner eigenen Einstellung zu arbeiten. Das ist gar nicht so einfach, ehrlich gesagt. Freitag habe ich das, wie ich finde, mal recht gut hinbekommen und im Personalgespräch, in dem ich viel Lob bekommen habe, nicht „danke, aber…“ gesagt, sondern tatsächlich „danke, finde ich auch“. Meine 80% sind von vielen anderen die 110%, das versuche ich mir vor Augen zu halten. Was ich mache, auf allen Ebenen, ginge natürlich immer besser. Es gibt immer irgendwen, der das, was du versuchst, besser kann. Auf einem Gebiet, in der Kombination wird es schon wesentlich schwieriger. Und ich bin in der Kombination nicht perfekt, aber gut genug.

(P.S. das sage ich mir jetzt noch 10 mal vor, in der Hoffnung, keine seltsamen Albträume von Inspektionen mehr zu haben, in denen alle ständig weinen oder halb nackt Cello spielen.)

Tag 657 – Sowas wie Sommer, nur in kalt.

Komischer, zerhackter Tag. Wegen Meeting und Friseurbesuch (ja, letzteres ist quasi die Definition eines Luxusproblems, aber es war wirklich nötig und Selfcare ist ja auch so wichtig und so, nä?) musste ich einen Versuch so planen, dass ich gleich, um zwanzig nach elf, nochmal Proben nehmen muss. Danach werde ich wie ein Stein ins Bett plumpsen und morgen dann wieder früh aufstehen, weil, ach, ich weiß es doch auch nicht so recht. Weil man das halt so macht.

Der Friseurbesuch war einerseits natürlich schön, weil Friseurbesuch und außerdem ist mein Friseur so nett, aber andererseits war er auch sehr teuer und er hat wegen „ich möchte eigentlich diese Frisur hier, dafür muss ich wohl noch ein bisschen wachsen lassen, oder?“ Nur wenig geschnitten. Eigentlich nur den Nacken und den Rest etwas ausgedünnt, damit es weniger nach Helm aussieht… (Ich muss immer ein bisschen lachen, wenn ich in die vielen, voluminösen Haare greife und drüber nörgle, dass die so schnell wachsen. Fast 20 Jahre lang waren sie lang und platt und wuchsen gefühlte 0,3 mm im Jahr.) Naja, jedenfalls hat das bisschen Geschnippel natürlich trotzdem einen Batzen Geld gekostet. Deshalb war der Friseurbesuch im Großen und Ganzen halt nur so mittel, weil teuer und so ganz fertig ist die Frisur halt auch noch nicht. 

Auch das Wetter ist bestenfalls komisch, es ist zwar sonnig und auf der Dachterasse bei der Arbeit wird man schon wieder fast gekocht, aber im Schatten ist es saukalt. Also, zumindest wenn man – weil es in der Sonne ja so warm ist – im T-Shirt rausgeht, dann sind 14 Grad halt auch keine 25. Und nein, Ihre 35 Grad, die Sie in Deutschland grade alle haben, will ich auch nicht geschenkt, aber so ein Mittelding, das wär doch für uns alle irgendwie fein.

Dafür aber sehr schön mit der Masterstudentin produktiv vor mich hingearbeitet und nett unterhalten. Dann mitgekriegt, wie mein einer Kollege, dessen Frau grad nach einer OP den Fuß eingegipst hat, wegen diesem ganzen Vereinbarkeitsdings ordentlich ins Strudeln geriet, nachdem er irgendwelches Zeug falsch zusammengekippt hatte und eigentlich von vorne hätte anfangen müssen, dafür aber wegen der KiTa-Öffnungszeiten die Zeit fehlte. Und ja, ich freute mich ein bisschen darüber, immerhin bin ich nicht die einzige der sowas passiert, Hurra.

Apropos Vereinbarkeit: Am 15. haben Herr Rabe und ich eine astreine Doppelbelegung mit Terminen ohne Kinder. Herr Rabe hat erst Hackathon und dann Sommerfest, ich habe erst Mini-Konferenz und dann Dinner mit denn anderen Konferenzteilnehmern. Michel würden wir ja noch irgendwie für den späten Nachmittag loswerden, aber was machen wir mit Pippi? Im Moment spiele ich mit dem Gedanken, sie irgendwie von der KiTa abzuholen und dann zu den letzten Vorträgen einfach mitzunehmen. Auch um den Verantwortlichen zu zeigen, dass es eine eher rücksichtslose Idee ist, so eine Konferenz auf die hauptsächlich hier ansässige Leute (die zu 80% auch Kinder haben) kommen, bis 17:15 Uhr anzusetzen. Ach ja: unsere Babysitterin hat gekündigt, eine neue wurde uns von der Agentur vorgestellt, die ist aber bis Ende Juni im Urlaub, das ist also keine echte Option. 

Und jetzt: ab ins Labor!