Kennen Sie das? Sie kommen vom Friseur, schon vielleicht nicht hundertprozentig superhappy, aber dann kommen Sie aus der Dusche und das volle Ausmaß der Verschneidung offenbart sich im heimischen Spiegel? Ich hatte das am Freitag. Hui. Meine Experimente mit der Lehrling waren ja eh schon immer etwas aufregend, dieses Mal hatte ich auch wieder zwischendurch mehrmals sagen müssen, sie möge es bitte noch kürzer schneiden, aber: hui. Da guckten überall noch einzelne Haare raus, der Nacken war auf beiden Seiten unterschiedlich viel zu lang, am Vorderkopf (ist das ein Wort?) war noch vieeel zu viel Haar über, um die Ohren eh, es war… hui. Huff! Oioioi. Am Vorderkopf hat Herr Rabe dann korrigiert (Herr Rabe ist da wirklich begabt!), aber als ich dann am Sonntag beim rumfühlen obendrein ein „Loch“ am Hinterkopf fand, war ich sicher: schlimmster Haarschnitt, der überhaupt jemals auf meinem Kopf gewesen ist. Schlümm.
Wissen Sie auch, was man in solchen Fällen tut?
Genau. Man geht natürlich ganz selbstbewusst da hin und sagt „SAMMA HAKTS??? Ich bin mit dem Schnitt nicht zufrieden, das ist hier und da zu lang und da ist ein Loch.“ Das tut man.
In einem Paralleluniversum jedenfalls. In einer anderen Welt, da gehe ich da selbstbewusst hin. Und ganz ganz viele andere auch. Dauernd quasi kommen Kunden zu Friseursalons zurück und sagen „Das war Murks.“ oder sagen im Restaurant „Das Steak hatte ich medium-rare bestellt, das hier ist medium-well done, bitte bringen Sie mir ein neues“ oder auch „Wissen Sie, nachdem das zweite Steak auch medium-well done war, möchte ich hier kein Trinkgeld geben.“ Doch doch, das passiert ständig.
Nicht.
Jedenfalls entnehme ich das der Reaktion der Friseurin und der Lehrling darauf, dass ich mich sachlich beschwerte und nachfragte, wie man das nun lösen könne. Auch dass ich tatsächlich wiederkam um der Lehrling die Gelegenheit zu geben, ihre Fehler selbst zu sehen und dann auch noch zu korrigieren, schien eher so häufig zu sein wie tanzende Einhörner im heimischen Garten. Das wundert mich nicht, denn es deckt sich mit meinem (ganz subjektiven) Gefühl: vielen Leuten, besonders Frauen, ist es ganz unangenehm, negative Kritik auszuüben.
Wieviele Leute nicken lächelnd auf die Frage „hat’s geschmeckt?“ und kommen dann kommentarlos einfach nie wieder in dieses Restaurant? Die Hälfte? Zwei Drittel? Nicht ganz kommentarlos, weil sich gegenüber Dritten natürlich schon darüber ausgelassen wird, wie schrecklich die bei Friseur X immer die Haare schneiden und dass der Koch von Restaurant Y ja eh keine Ahnung hat und eigentlich war auch die Bedienung immer schon unfreundlich. Aber Leuten das ins Gesicht sagen ist unhöflich, macht man nicht, sagt man nicht. Norwegen ist da ganz besonders groß drin, Janteloven, so schön.
Und ich sag Ihnen mal was: zum Friseur zurückgehen und die Lehrling um Korrektur des Disasters auf meinem Kopf bitten war heute wirklich unangenehm. Aber sehr erwachsen. Das Richtige, denn die Lehrling wird nun hoffentlich niemandem mehr Löcher in die Haare säbeln bei der nächsten Kundin mit kurzen Haaren besser drauf achten, dass um die Ohren rum kein Helmeffekt entsteht. Quasi pädagogisch total wertvoll. Erwachsen halt. Und wie alles erwachsene voll mein Ding und gar nicht unbequem und ich bring das auch so ganz entspannt und natürlich rüber, haha, wer denn nicht.
Ich nicht. Aber ich bemühe mich.
Für mehr sachliche, bestimmte, aber höfliche Kritik und weniger hintenrum Gemotze und Geläster.