Tag 2873 – Endlich wieder Fragebögen!

Herr Rabe und ich haben jetzt zwei Tage ADHS-Kurs für Eltern hinter uns. Uff, ey. Es ist nicht so, als wäre das in irgendeiner Form verpflichtend, also gezwungen hat uns niemand dazu. Es ist aber gleichzeitig eins der ganz wenigen Angebote, die es für Eltern in dieser Situation überhaupt gibt, also haben wir es wahrgenommen, als es uns angeboten wurde. Und wenn man sich angemeldet hat, ist es tatsächlich verpflichtend, auch aufzulaufen (ich nehme an, Kopp unterm Arm wäre eine gültige Ausrede). Also liefen wir auf.

Jetzt ist es aber ja so, dass Herr Rabe und ich schon im Vorfeld vielleicht überdurchschnittlich gut informiert waren, ganz sicher aber eine schnelle Auffassungsgabe haben und bei Redundanz oder Irrelevanz schnell geistig abdriften und/oder (ich kann da nur für mich sprechen) innerlich sehr laut orrrrren. Das hätte ich sicher ahnen können, das ist ja nicht das erste mal, dass wir in einer Gruppe zusammengewürfelter Menschen sitzen und uns irgendwas anhören sollen. Habe ich aber nicht. Die Psychologin hatte den Kurs auch sehr angepriesen.

Ich will mich gar nicht so mega beschweren. Ich versuche es. Ich wollte auch offen da ran gehen, aaaaaaber dann mussten wir an einem Tisch in der Mitte sitzen, wo man nur die Möglichkeit hatte, mit dem Rücken zu anderen Menschen zu sitzen, das Licht war grauenvoll grell (Leuchtstoffröhren verbieten JETZT!) bei gleichzeitig heruntergelassenen Rollos, die Lüftung war laut. In einem Raum voller Menschen mit Kindern, die ADHS haben, was eine starke erbliche Komponente hat, fand ich das… mutig. Oder… interessant (auf die Biolek-Art). Aber bestimmt sind all unsere Kinder nur spontan auftretende Mutationen und wir Erwachsenen sind einfach nicht in dem Club dabei, ganz bestimmt.

Die Kursinhalte waren in größere Themengebiete unterteilt und klar gegliedert, es gab eine übersichtliche Agenda mit genauen Uhrzeitangaben. Scheinbar kennen sie ihre Klientel also doch. Zuerst kam Info darüber, was ADHS überhaupt ist, wie es festgestellt wird, wie oft und bei wem es vorkommt, welche Typen es gibt, und, und da kam mein erster „hä?“-Moment, was die Ursachen sind. Oder, besser gesagt, was manche für die Ursachen halten, ohne Quellenangabe. Und da fanden sich so Dinge wie „Komplikationen in der Schwangerschaft“ und „Komplikationen unter der Geburt“. Welche „Komplikationen“ denn darunter fielen, wussten die Psychologinnen nicht. Ob es einen klar nachgewiesenen kausalen Zusammenhang zwischen Komplikation x und ADHS gibt, auch nicht. Auch nicht, ob nicht vielleicht der Zusammenhang andersrum sein könnte, oder ob es einen dritten Faktor gibt, der mit beidem zusammenhängt. Es wäre ja denkbar, dass Babies, deren Gehirn anders ist, in der Schwangerschaft schon mehr Probleme haben, oder unter der Geburt schneller gestresst werden, was dann oft Interventionen nach sich ziehen kann. Oder dass Mütter mit ADHS aus Gründen (sensorische Probleme, Schwierigkeiten, regelmäßig irgendwas einzuwerfen oder rechtzeitig dran zu denken, sich für nen Geburtsvorbereitungskurs anzumelden, etc.) statistisch mehr Schwierigkeiten in der Schwangerschaft und bei der Geburt haben UND das ADHS auch an das Baby vererben. All das wussten die zwei Psychologinnen nicht. VERPFLICHTENDE STATISTIKKURSE UND KURSE IN QUELLENKRITIK IN DER PSYCHOLOGIEAUSBILDUNG JETZT! Und Quellenangaben auf Folien. Das auch. Mich würden diese Studien nämlich echt mal interessieren, so als ständig an allem herummeckernde Inspekteurin mit Hang zu überbordendem Detailfokus und einem Herz für Statistik.

Nun ja. Danach war erst mal Mittagspause, das war dann auch wohlverdient. Von den 25 Eltern/Elternpaaren hatten so 5 geschafft, sich von zu Hause Lunch mitzunehmen. Der Rest, darunter wir, traf sich im nahe gelegenen Supermarkt. Der hat aber leckeres Börek und Butterbrot ist eh nicht so meins.

Nach der Mittagspause gab es einen langen und langatmigen Vortrag über Medikation. Selbst mir als Hilfspharmazeutin war das zu viel und dabei gleichzeitig zu wenig. Man muss echt nicht für jedes mögliche Präparat die Dosierung, Nebenwirkungsspektrum, Wirkdauer und Markennamen aufzählen, oder, wenn man das schon tut, kann man das übersichtlicher und weniger trocken machen. Persönlich glitzerte ich nach der Erklärung, wie Neurostimulanzien den Dopaminspiegel beeinflussen mit meiner Flasche herum und ärgerte mich innerlich übermäßig über so unnötige Ungenauigkeiten wie „die Startdosis ist 1/2 Körpergewicht“ (Nein, es ist ein Millionstel davon, denn die Startdosis [mg] ist 1/2 des Körpergewichtes [kg]) und dass auf einer Folie der Font anders war als auf dem Rest der Folien. Andere Eltern haben ihre Blöcke vollgekritzelt, Stifte auseinander- und wieder zusammengebaut, mit den Füßen gewippt, Haare gedreht, aufs Handy geschaut und aus dem Fenster geguckt. Die Ärztinnen überzogen in die Pausenzeit rein, machten dann viel später Pause als vorgesehen (und erst, nachdem Herr Rabe gefragt hatte) und rasten durch die letzten Folien aufgrund des selbst verursachten Zeitmangels sehr schnell durch. Das war alles eher suboptimal.

Heute war dann Tag 2, auf dem Programm standen Präsentationen von (Spezial-)Pädagoginnen, Sozionominnen und einer Vertreterin vom norwegischen ADHS-Verband.

Die Pädagoginnen hatten ganz tolle Tips für Kinder, die langsamer sind als der Rest. Kinder, die schneller sind, kamen nicht vor. Das ist so ein Klassiker, der mich seit meiner eigenen Kindheit nervt, es wird immer erwartet, dass Kinder, die schnell lernen, entspannt Däumchen drehen, während ihre langsameren Peers noch an den Aufgaben knabbern. Einem Kind mit ADHS wird das Däumchendrehen sehr sehr schwer fallen. Es wird sich mit irgendwas anderem beschäftigen und das kann ALLES sein, was dem Kind in seinen bunten Kopf kommt. Aber die Kinder kamen nicht vor.

Die Sozionominnen hatten einen starken Fokus auf das Familiengefüge, das von der Diagnose 1 Hausstandsmitgliedes durcheinander gebracht werden kann. Was, wenn mehrere Familienmitglieder neurodivers sind? Kam nicht vor. Es ist also immer nur 1, was ja auch Sinn macht, es sind ja alles Punktmutationen, wie oben erläutert. Es war auch viel über „Bewältigung“, „Entlastung“ und „Trauer“, als wären alle unsere Kinder schwer behindert. Ich glaube ich lehne mich nicht weit aus dem Fenster, wenn ich sagt, dass 90% der Anwesenden Eltern die ADHS-Diagnose nicht „bewältigen“ müssen. Verdauen, ja, aber Trauerarbeit? Äh. Positiver Punkt an dem Vortrag waren die vielen Links und praktischen Tipps, wo man welche Hilfen und Unterstützung beantragen kann, von Kommune bis NAV.

Danach erzählte eine Vertreterin von ADHS Norwegen, was sie da so machen, für wen sie da sind, wie man Mitglied wird und so weiter. Was aber viel spannender war, war dass sie von ihrem eigenen Leben mit einem, inzwischen 30-Jährigen, stark hyperaktiven ADHS-Kind mit aggressiver Verhaltensstörung erzählt hat. Dagegen sind unsere Probleme peanuts. Aber die Präsentation der Geschichte war ansprechend, kurzweilig und mit wenig bis keinem Text – da kennt jemand ihr Publikum.

Ganz am Schluss sollten wir noch einen Evaluierungsbogen ausfüllen. Und weil ich eine leidenschaftliche Kommentiererin von Fragebögen bin, kommentierte ich auch in diesem herum und erläuterte diverse Antworten genauer. Außerdem merkte ich das mit dem Font und dass ich Quellenangaben will an. Ha! Nehmt das.

Ein Gedanke zu “Tag 2873 – Endlich wieder Fragebögen!

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