Tag 3746 und 3747 – Erste und letzte Male.

Gestern war Nix. Nur Büro. Naja, und unsere Chefin wird nicht weg befördert. Das kam auch gestern offiziell raus (ich wusste das schon länger, weil ich Hobbydetektivin bin). Die Chefin ist darüber, das wurde heute sehr deutlich absolut nicht amused. Der Direktor hat sich aber auch denkbar ungeschickt ausgedrückt. Anyway, sie bleibt uns erhalten.

Heute hatte ich quasi den ganzen Tag Meetings mit dem Lieblingskollegen, um die Indien-Inspektion vorzubereiten. Dazu hatte ich (unter anderem, man kriegt ja bei uns nicht für nen ganzen Tag nen Raum, wenn man den nicht ein Jahr im Voraus bucht) den größten Meetingraum, den wir haben, gebucht, damit wir auch die größte Leinwand haben, denn manche Dinge muss man in WIRKLICH, WIRKLICH groß sehen, um sie… naja auch dann nicht so richtig zu verstehen. Diese Firma hat irgendwie eine ganz eigene Logik, die sich uns nicht erschließt. Aber das ist nur eine Nebengeschichte, denn wir haben heute auch Abschied von eben diesem Meetingraum genommen. Ab morgen ist das ein „Nationaler Bereitschaftsraum“, abhörsicher, diesdastralala und dann eben auch Zugangskontrolliert. Normalsterbliche wie wir kommen dann da einfach nicht mehr rein. Warum man, in einem Haus, in dem ständiger Meetingraummangel herrscht, einen von zwei großen Meetingräumen für den weit überwiegenden Teil der Belegschaft sperrt, weiß der Geier. Ich habe mich beschwert, mehr kann ich auch nicht machen.

Abends beim Ballett war „Freunde-Woche“, man konnte eine*n Freund*in mitbringen und die konnten dann mitmachen. Ich habe keine Freund*innen… äh… mitgebracht, ähäm, aber andere hatten das und da waren heute vier sehr tapfere Damen, die durch eine komplette Ballettstunde mit nur minimalen Modifikationen geschleift wurden. Teilweise taten sie mir ein bisschen leid, wer muss schon in der ersten Ballettstunde seines Lebens direkt Pirouetten drehen (aus der fünften!!!), aber sie haben sich wacker geschlagen, hatten Humor dabei und keuchten nur gelegentlich. Applaus an die Truppe, Respekt, echt.

Heute hat es auch das erste Mal in diesem Winter geschneit. Nur ein bisschen, aber Auto fahren war trotzdem etwas langwieriger als sonst so. Man muss sich jedes Jahr aufs Neue dran gewöhnen, auf Schnee und glatten Straßen zu fahren. Alle anderen auch. Die ersten Tage sollte man da wirklich etwas Nachsicht zeigen und etwas mehr Zeit einplanen, dann geht das auch bald alles wieder. Was aber spannend war: das erste Mal unsere beheizte Straße hoch.

Es ging tatsächlich ganz ok. Augen zu, „Gas“ geben, und durch. Vorher, das haben wir als Tipp bekommen, ein paar mal Lichthupen, FALLS von oben wer kommt, denn man möchte sich wirklich nicht plötzlich gegenüberstehen, sonst muss man rückwärts wieder runter (was wohl öfter mal schief geht). Dann sollte man lieber waren, bis das Auto von oben unten angekommen ist.

Tag 3745 – Putzeputz.

Heute habe ich die Kinder vor die Wahl gestellt, ob sie lieber Badezimmer oder lieber Küche putzen lernen wollen. Das untere Bad hatte ich gestern schon geputzt, aber das Kinderbad noch nicht. Überraschender Weise wollten dann beide Badezimmer putzen. Pippi hatte es aber zuerst gesagt, und Michel gab auf, als ich gesagt habe, das Bad machen wir JETZT, die Küche später. Also hat Pippi heute eine Einweisung in Bad und Klo putzen bekommen und das auch echt alles sehr gut gemacht. Klo fand sie eklig, aber tja nun, wer nicht? Mir bereitet das auch keine sonderlich große Freude. Das habe ich auch gesagt, und sie hat es auch verstanden und dann ohne weiteres Meckern die Klobürste geschwungen (ich bin ja kein Unmensch. Ich selbst putze auch gelegentlich so richtig mit den Händen und nem Glitzischwamm halb im Rohr hängend, aber das war nach optischer Beurteilung nicht nötig). Und als sie Wischen durfte, war sie auch wieder sehr zufrieden.

Michel hat dann später mit Herrn Rabe unter erheblich mehr Meckerei die Küche so halb geputzt. Zugegebenermaßen konnten sie den Herd und alles drum rum nicht putzen, weil ich da Essen machte.

Jetzt ist alles sauber. Nur kurz, aber immerhin. Und die Kinder können nicht behaupten, sie wüssten ja gaaaaar nicht, wie man so ein Waschbecken von Zahnpastaspuren befreit, oder die Krümel vom Brot schneiden wegsaugt.

Zwischendurch hatte ich eine wirklich gute Geigenstunde. Im Moment breche ich mir ziemlich einen ab an Rode Etüde Nummer 2 (nicht von der Zahl auf die Schwierigkeit schließen, das ist recht brutal auf viele Arten und Weisen, schwierig sowohl für die rechte als auch die linke Hand, geht bis zur drülften Position hoch (da wo es langsam echt eng mit dem Platz wird, also einfach physikalisch), hat einen ganzen Jungel aus losen Vorzeichen und ist schnell) und hatte das Gefühl, es wird irgendwie nicht mehr besser. Also haben wir geübt, nicht zu schludern (manchmal mache ich das, selten, aber es kommt vor) und Fehler konzentriert auszumerzen. Wie eigentlich immer sagt mein Lehrer, man hört mir die Panik vor dem Stück an und wir haben dann daran gearbeitet (mal wieder) erst mal selbstbewusst irgendwas zu machen, statt zu zögern und zu stolpern und auf Zehenspitzen auf die extra schwierigen Passagen zuzugehen. Meistens löst es sich tatsächlich fast von selbst, und Fehler lassen sich auch besser bearbeiten, wenn man sie sehr deutlich macht.

Das war das. Wochenende schon wieder rum.

Tag 3744 – Sorry, nichts los hier.

Hormonabfall, Laune, diesdas tralala. Immerhin etwas geputzt, alles andere sträflich vernachlässigt. Herr Rabe hat mit den Nachbarn eine große Thuja gefällt, jetzt kann man viel besser um die Kurve gucken, was wichtig ist, wenn irgendwann mal Schnee fällt, denn man möchte wirklich nicht rückwärts auf der steilen Straße fahren, wenn es glatt ist und einem wer plötzlich entgegen kommt.

Jetzt noch ein bisschen lesen und morgen hoffentlich besser gelaunt aufwachen.

Tag 3742 – Gelogen!

Nein, wer hätte das gedacht, die, die uns hier das Haus verkauft haben, haben gar nicht die Wahrheit gesagt. Wir hatten heute ein Treffen mit dem „veilag“, also den Nachbarn, die hier mit uns auf unserem Berg wohnen und es wurde gesagt, dass der Vorbesitzer sich von allen am häufigsten im Winter festgefahren hat (und dass es passieren wird. Es passiert allen). Nichts mit „ich musste nur ein Mal unten parken“.

Ich finde sowas ja wirklich immer überraschend, wenn Leute einfach nicht die Wahrheit sagen. Und schockierend. Da gehe ich lange nicht so abgebrüht „hab alles gesehen“-Inspektorinnenmäßig durch die Welt, wie es vielleicht den Anschein hat.

Naja. Wir haben ja Abschleppdienst in der Versicherung mit drin. Letzten Winter hab ich auch nie ne Rechnung bekommen, als ich mich fest gefahren hab. Ähäm.

Dafür jetzt hier der Rest der Geschichte zu der Zahlenreihe. Nachdem wir alle, also so 150 Leute, ich übertreibe da nicht, mit rauchenden Köpfen ne halbe Stunde über der Zahlenreihe 2, 3, 5, 9, 7, 33, ? gebrütet hatten und viele, viele Schmierzettel mit teils abstrusen mathematischen Konstrukten bedeckt wurden, fragte jemand, ob die Zahlenreihe noch mal wiederholt werden könnte? Ja klar, 2, 3, 5, 9, 17, 33.

Ein Stöhnen ging durch den Raum und eine Welle der Erleichterung. Wir müssen nicht kollektiv unsere Mitgliedschaft zurückziehen! Hurra.

Aber das war wirklich ein Rezept, wie man nen Haufen Mensaner*innen in den Wahnsinn treibt. Einfach mal ne Zahlenreihe mit nem Fehler drin raushauen. Schweinerei.

(P.S. die „Mensa-Test“-Aufgaben, die man hier in Norwegen machen muss, sind nicht mit Mathe oder Zahlen und auch nicht mit Schrift oder Faktenwissen, sondern ein sogenannter Figure Reasoning-Test (A la Raven’s Progressive Matrices). Das ist breiter zugänglich, also Kulturkreisunabhängig und inklusiver für Menschen mit z.B. Leseschwächen. ABER wer mag denn kein Quiz? Wenn man irgendwo mit abstrusem Nischenwissen glänzen kann, dann ja wohl da! Wenn man Glück hat und das Nischenwissen dran kommt.)

Tag 3739 – 3741 – Es lässt mich nicht los.

(Hier passiert nicht viel interessantes. Chefin nervt. Arbeit nervt. Früh aufstehen nervt kolossal. Und leider wird vermutlich mein Ballett ab nächstem Jahr eingestampft, wegen zu wenigen angemeldeten. Das finde ich sehr traurig. Und weiß auch noch nicht, was ich dann mache. Aber das überlege ich mir dann zu gegebener Zeit.)

Am Samstag war ja nicht nur doofes Spiel spielen*, sondern davor war in umgekehrt chronologischer Reihenfolge ein Galadinner, bei dem man seinen Platz finden musste, indem man das richtige Puzzle zu seinem zugelosten Puzzleteil fand, und Quiz. Ich konnte beim Quiz tatsächlich mal was beitragen, weil ich mehr als di*er durchschnittliche Norweger*in über Berlin weiß (yeah!) aber an folgendem haben wir uns alle die Zähne ausgebissen, kollektiv der ganze Raum. Ein Raum voller Leute, die in genau sowas eigentlich überdurchschnittlich gut sind. Tipp gibt es dann morgen.

Die Frage, die vorgelesen wurde, war: welche Zahl kommt als Nächstes in der Reihe? 2, 3, 5, 9, 7, 33.

Ich hab mein Puzzle sofort gefunden.

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*das ich heute gekauft habe, genau wie das hier, das ich letztes Jahr verzweifelt gesucht und nicht gefunden habe (weil ich den Titel nicht wusste):

Das kann man bestimmt auch mit den Kindern mal spielen, das ist sehr kurzweilig und lustig.

Tag 3738 – M.Ü.D.E.

Erstens: wir haben den Vorfall wie Erwachsene aufgedröselt, uns gegenseitig beieinander entschuldigt, über unsere Gefühle und Verletzung eben dieser gesprochen und dann war auch alles gegessen. Es ist alles sehr ungewohnt. Also alles davon. Meine Gefühle so nach außen zu tragen, darüber zu reflektieren und zu reden und das mit quasi fremden Leuten, Männern obendrein? In jedem anderen Setting undenkbar. Normalerweise muss ich ja erst mal mindestens nen halben Tag drüber nachdenken, was das tatsächliche Gefühl hinter der Wut (mein default-Gefühl, wenn irgendwas „off“ ist) wohl sein könnte.

Ich bin auch inzwischen wieder zu Hause. Aber ich kann kaum noch die Augen offen halten, es war einfach viel zu wenig Schlaf letzte Nacht und generell ein anstrengendes Wochenende, so mit allen Schilden unten, allen Nervenenden nach außen gekehrt und allen Filtern außer Betrieb.

Insofern – gute Nacht.

Tag 3737 – Landestreffen Tag 3.

Grad ist es nicht gut. Ich hab, unvorsichtiger Weise, gedacht, ich könnte ein Spiel ausprobieren, das mir lustig erschien, und es war nicht gut. Alle anderen hatten das schon drülfzig Millionen mal gespielt und ich hatte Alkohol getrunken. In dem Spiel geht es um Lügen und Intrigen, ein bisschen wie Werwolf oder Among Us, das sind nicht meine stärksten Seiten, aber es macht mir trotzdem Spaß. Das alles hätte gut ausgehen können – in einer anderen Runde. Da waren ein paar Typen dabei, hauptsächlich 2, die mich sehr haben spüren lassen und auch mehrfach gesagt haben, dass ich in dem Spiel nicht gut bin. In der dritten Runde machte der eine dann auch noch was, das mich total aus jedem Fitzelchen von Konzept brachte, ich reagierte… naja, wie soll ich sagen, wie ne angetrunkene Autistin??? Jedenfalls falsch, und dann prokelte er da immer weiter drin rum und drängte mich in die Ecke, und meine Reaktionen wurden dadurch gar nicht richtiger irgendwie (potzblitz!). Nach dem Ende der Runde sagte ich, dass ich das sehr dreckig fand und überhaupt nicht verstehe, was das sollte, woraufhin er sagte, ich würde ihm ja auch das Spiel kaputt machen, wenn ich dann so unsicher reagiere. Dann dampfte er schnaubend ab und ich brach in Tränen aus. Was mir jetzt natürlich ultra peinlich ist. Inzwischen ist es mir sogar meta-peinlich, weil ich ja weiß, wieso ich so reagiere (die haben, vermutlich komplett unbeabsichtigt, ganz wunde Punkte getroffen, die mit Mobbing, Ausschluss, falsch laufender Kommunikation und immer wieder missglückten Versuchen, eine Community zu finden, zu tun haben*) und weil Gefühle haben ja ok ist und das doch eigentlich ne gute Eigenschaft ist und so weiter und so fort.

Bleibt hängen: ich kann nicht gut Schauspielern, nahezu gar nicht lügen, strategisch ohne Rücksicht auf Verluste denken, Intrigen spinnen und Schmutzkampagnen fahren kann ich auch nicht und nicht mal meine Gefühle im Zaum halten kann ich. Die Drittklässlerin, die bei jeder Ungerechtigkeit geheult hat, bis die halbe Klasse „heul doch, heul doch!“-johlend hinter ihr her lief, und die gemobbte 13-Jährige stehen sofort parat.

Immerhin eine Freundin habe ich hier, die dabei war und sich mein Geheul hinterher angehört hat und die wirklich lieb war. Yeah, I guess.

Der Rest vom Tag war im übrigen super. Nur ganz am Schluss war es richtig kacke.

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*ANDERERSEITS. Das hier ist Mensa. 90% von uns wurden gemobbt. Mindestens die Hälfte hat noch irgendwelche anderen Buchstabendiagnosen (also ASD und/oder ADHS). Inklusion wird sehr groß geschrieben. Es wird überall dazu aufgefordert, sich zum Beispiel an einen Spieletisch zu setzen und Leute anzuquatschen. Da kann man erwarten, dass das Gegenüber nicht einfach ohne Rücksicht seinen Stiefel fährt und sich benimmt wie die emotionale Axt im Wald.

Tag 3736 – Landestreffen Tag 2.

Es ist ein wilder Ritt hier. Ich bin hier extra weird (hier ist die Weirdo-Dichte aber auch hoch und alle werden einfach so akzeptiert, wie sie sind, es ist so toll! Kein Wunder, dass ich da sofort alle Schilde runterfahre, wenn auch unbewusst), ich habe alle möglichen Gefühle gleichzeitig und die ganze Zeit, ich unterhalte mich super, habe Spaß, mache Quatsch und muss(te) mich mittags noch mal für ne Stunde hinlegen, weil alle Batterien komplett leer waren.

Ich mag diesen Verein sehr.

Tag 3733 – 3735 – Arbeit Arbeit und jetzt nicht mehr.

Zwei Tage Homeoffice. Meine Produktivität war… sehr durchwachsen. Ich versuche, zu akzeptieren, dass das nun mal so ist, und mich dafür nicht fertig zu machen. Das ist manchmal nicht einfach. Aber am Ende kommt ja immer noch eine überdurchschnittliche Arbeitnehmerin (mit unterdurchschnittlichem Gehalt) dabei raus.

Heute hatte ich aber frei. Morgen habe ich auch frei. Ich bin nämlich wieder auf dem Landestreffen des 2%-Clubs. Das stresst mich offenbar, denn ich habe direkt erst mal meine Kosmetik- und sonstige Badezimmersachen fein säuberlich aufgereiht und symmetrisch ausgerichtet. Aber es ist wie auch beim letzten Mal: alle hier sind so nett und interessant, es macht mich sehr glücklich. Selbst Sauna mit mir völlig unbekannten Leuten war gut. (Anmerkung: man geht hier in Badekleidung in die Sauna. Immer.) Es ist echt lange her, dass ich in einer Sauna Bier getrunken habe. Zwischen den Saunagängen habe ich mich sogar im Kanal abgekühlt, also fast Eisbaden, das Wasser kommt aus dem Fjord. Beim letzten Mal war ich sogar bis zum Bauchnabel drin!

Danach noch viele schöne Gespräche gehabt, aber um elf war die Luft bei aller Liebe raus und ich begab mich auf mein Zimmer. Platt wie ein Brötchen.