Tag 905 – Engagiert euch!

Gestern noch war ich total sicher, dass heute so ein Doktorand*Innen-Seminar unseres Institutes sein würde. Ich suchte etwa 10 Minuten lang nach der entsprechenden mail, fand aber keine und beschloss dann, das wohl mit einem anderen Seminar verwechselt zu haben, das in zwei Wochen ist. Was merkwürdig ist, hatte ich doch schon einen detaillierten Plan geschmiedet, der Institutsleitung all meinen geballten Frust um die Ohren zu hauen.

Nunja, das Ganze klärte sich dann heute Mittag auf, als mein Kalender mir eine Erinnerung schickte, in drei Stunden finge das Seminar an. Es gab keine mail, weil iPhones und iPads diese Nachrichten mit Eintragung in den Kalender irgendwie umdutzeln – dann sind sie aber Kalendereinträge. Wie auch immer, ich machte also schnell mein heutiges Sportprogramm, aß was, duschte und fuhr zur Arbeit. Bei dem Meeting sollte es um das Life-circle Management eines PhD-Studenten gehen, also vorher – mittendrin – nachher. Und ein bisschen metooacademia. Ich hatte mit meiner Panikattacken-geplagten Kollegin schon mal grob besprochen, was wir mitteilen wollen und das uns das Problem mit der Mentalen Gesundheit unter PhD-Studierenden am Herzen liegt, aber auch die Finanzierungsproblematik und Alternativen zur Akademischen Karriere (die quasi nie erwähnt werden. Nie. Und das ist doch in Anbetracht der Tatsache, dass ungefähr alle PhDs und Post-docs, die ich kenne, aus der Uni raus wollen und ein Leben haben, recht vermessen.).

Was dann geschah, sollte uns vom Hocker hauen!

PhDs machen an unserem Institut die größte Gruppe der Angestellten aus. Insgesamt sind wir etwa 120, davon werden 85 auch bezahlt (finde den Fehler). Wir haben einen (!!!) Repräsentanten in der Leitungsgruppe, also quasi der Institutsleitung, der darf bei manchen Entscheidungen in der Nähe vom am Tisch sitzen. Erstmal ging es um Neuaufnahmen. Menschen brachten an, dass es schwierig sei, sich zu Anfang zurechtzufinden, in Norwegen generell, an der Uni ebenfalls, der Medizinischen Fakultät noch mal mehr und an unserem Institut ganz besonders. Ein wiki für frische PhDs wäre doch schon. Worauf der Institutsleiter meinte, das gäbe es doch schon und dann drei aus der Leitungsgruppe geschlagene fünf Minuten brauchten, um die richtigen Schlagwörter für die Suche in unserem Intranet zu erraten. Da konnte ich mir ein „See? That is what we are trying to say.“ nicht verkneifen. Dann ging es noch kurz um die regelmäßigen Evaluierungen und ich erfuhr endlich, weshalb ich eigentlich keine Halbzeit-Evaluierung gehabt habe: Weil das Institut unterbesetzt ist. Tadaa. Ich sagte, das sei zwar nachzuvollziehen, aber für mich eben blöd, eventuell hätte man da ja mal draufgucken und früher erkennen können, dass das ursprüngliche Projekt nicht gut genug voran kommt. Ja, man wird daran arbeiten, dass wieder jede Studierende nach etwa einem Jahr so eine Bestandsaufnahme des Projekts bekommt. Und dann sprachen wir das Thema Druck an. Meine Kollegin fing an. Dann ich. Dann noch drei weitere Studierende. In diesem Raum mit vielleicht 40 Personen fanden 5 sehr deutliche und sehr offene Worte für ihre psychischen Probleme.

„I have Zoloft at home.“ „My anxiety has come back.“ „I have been on sick leave for almost eight weeks until I could get back to work.“ „I am in therapy.“

Und das waren nur die von uns, die das eben offen ansprechen und sich nicht dafür schämen.

Wir sprachen auch die (unserer Meinung nach) Gründe dafür an, dass so viele von uns die selbe Geschichte in unterschiedlichen Farben erzählen. Zu. Viel. Druck. Zu viele Artikel*, in zu kurzer Zeit, keine Unterstützung, niemand nimmt dich ernst (es wurde vom Institutsleiter wieder diese schreckliche Artikel** zitiert, der auch auf dieser „hahahaha, jaja, crazy times und am Ende arbeitet man eben ohne Geld, heult die ganze Zeit und schläft nicht mehr, voll lustig“-Welle reitet), das Geld und die Zeit rinnt dir aus den Fingern, Supervisor finden kein Ende und wollen, dass du noch mehr Experimente machst, noch mehr Artikel schreibst und das bitte alles im letzten halben Jahr, die zweieinhalb davor haste ja auf Kurse verwendet und darauf, die dämlichen Fehler anderer PhDs zu reproduzieren, weil es keine vernünftige Methodendokumentation auch über missglückte Experimente gibt***. Mehr Geld kannste dir abschminken. Es ist ja jetzt sogar das Abschlussstipendium abgeschafft worden, warum eigentlich, lieber Institutsleiter?

„Die Fakultät möchte keine Anreize schaffen, dass Projekte verzögert werden.“ (Dschiezes, und das ist den PhD-Studierenden ihre Schuld oder wie? Aaaarrrrrgh!) Und wieviele Studenten haben das mitentschieden? „Das kam von der Fakultätsleitung direkt, äh, da sind, äh, keine Studenten vertreten.“

Gut. Also nicht gut, es wird sich finanzierungsmäßig für die nachfolgenden Studierenden überhaupt nichts ändern, aber wenigstens sind mal ein paar deutliche Worte gefallen, nämlich „Ihr seid so wichtig, ihr macht die ganze Forschung und publiziert die Artikel!“ – „Ja, und es scheint euch ganz egal zu sein, wie wir das schaffen.“ Da herrschte dann betretenes Schweigen.

Und was ist die Lösung für die Misere mit dem Geld und den drei Artikeln in drei Jahren (Post-docs haben übrigens für einen Artikel zwei Jahre und haben normalerweise auch noch eigene Studenten, die, wenns gut läuft, den Großteil der Laborarbeit erledigen) und des Supervisors, die erwarten, dass man 30 Stunden am Tag an 8 Tagen die Woche bis zum Tag der Abgabe im Labor steht? „Engagiert euch in der Hochschulpolitik.“

Ähhja. Wann genau? Definitiv nicht im letzten Jahr, im ersten auch nicht (die Kurse!). Und dann? Ich erinnerte an die abgeschafften Stipendien, zu denen man auch keine Studierenden befragt hatte, auch keine in Organisationen. Ja, äh, hmm, ja, das stimme natürlich, aber wenn man Einfluss nehmen könnte, dann durch so Gremien.

Meine Kollegin brachte auch nochmal das Thema „Unterstützung bei psychischen Problemen“ auf, ich erzählte die total unlustige Geschichte, wie ich versuchte, über die Uni Hilfe zu bekommen und die einzige Anlaufstelle die ich fand, die „Karriereberatung“ (bei Cecilie <3) war, die dann keine war sondern eine Therapiesession im Schnelldurchlauf, mit Taschentuchverbrauch wie bei ner Fernsehhochzeit. Meine Kollegin beharrte darauf, dass es niederschwellige Angebote geben müsse, vor allem auch vorbeugend, dass man den neuen Studierenden gleich sagt: pass auf, im Winter musst du Vitamin D nehmen, du kannst über den Studenten- oder den Angestelltensport zum Beispiel Yoga machen (oder Kickboxen oder was auch immer dich entspannt) und wenn es dir dreckig geht und du das Gefühl hast, du stehst vor der Wand, diese Person hört dir zu und der kann man auch einfach mal ne mail schreiben. Und mach am Anfang deines PhDs ein Projektmanagement-Seminar und schreib ein Review-Paper. Bei den praktischen, konstruktiven Vorschlägen schrieben die Fakultätsmenschen alle ganz eifrig mit, ich gebe also die Hoffnung noch nicht auf, dass da vielleicht was zum Guten hin geändert wird. Wenn schon weder die drei Artikel-Regel fallen wird (aber der Institutsleiter hat gesagt, er schaut nochmal, ob der Punkt „Teile der Arbeit dürfen nicht schon in anderen Arbeiten verwendet worden sein.“, bei kumulativen Dissertationen so viel Sinn macht) noch die Geldproblematik sich ändern wird.

Dann war es fünf vor drei, der Institutsleiter sagte noch schnell, zu wem wir gehen müssen, falls wir mal das Gefühl haben, irgendwer verhalte sich in irgendeiner Form übergriffig und dass das selbstverständlich dann ernst genommen würde und dann war die Zeit leider um, bevor wir den Punkt „nach dem PhD“ überhaupt angerissen hatten. Beim nächsten Mal dann.

Und dann bekam ich Migräne, aber das ist ein anderes Thema. Oder auch nicht.

___

*Für viele von uns das zentrale Problem. Niemand von uns erwartet, die drei Jahre auf einer Arschbacke abzusitzen und mit Management-Posten belohnt zu werden. Aber ein publizierter und zwei Erstautor-Artikel in drei Jahren, auf echten Experimenten**** fußend, das ist der helle Wahnsinn und nur mit tierisch viel Glück und support zusätzlich zur vielen Arbeit zu schaffen.

**den ich hier nicht verlinken kann, warum auch immer, aber wenn Sie norwegisch können und das hier in ihren Browser kopieren, müsste es trotzdem gehen: http://www.universitetsavisa.no/ytring/2017/09/27/Å-fullføre-en-doktorgrad-69177.ece

***Bei mir schon und das ist auch ein Grund, weshalb ich, wenn ich Studenten was erkläre, immer lang und breit ausführe, welche dummen und nicht so dummen Fehler ich schon gemacht hab.

****Kein Affront, aber ich habe gesehen, mit was für Artikeln MDs promovieren und unsere Artikel sind eben ein bisschen anders als „Ich teste Medikament X (Standardtherapie) gegen Medikament A plus Massage an 50 Leuten, mach ne Statistik dazu und fertig“.

6 Gedanken zu “Tag 905 – Engagiert euch!

  1. Frau Em schreibt:

    Es wird dadurch in keinster Weise besser, …aber es ist nicht nur in Trondheim so:

    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048733317300422#
    https://qz.com/547641/theres-an-awful-cost-to-getting-a-phd-that-no-one-talks-about/
    (…uvm…)

    Bei uns sind die Bedingungen an diversen Stellen etwas besser als das, was Sie so beschreiben, aber trotzdem gibt es viele Betroffene. Und diese Haltung, die auch in den obigen Artikeln beschrieben wird, „if you’re not working through the night and on every weekend, you’re not doing it right“ ist hier auch sehr verbreitet und wird einem gern vorgehalten, wenn man es aus Psychohygienegründen eben versucht NICHT so zu machen, selbst in den letzten paar Monaten…

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  2. Weil dir dein Tagwerk oft so gering vorkommt: Sich zu engagieren, den Mund aufzumachen, sachlich und konstruktiv Missstände angehen und das dann auch noch für uns alle so ausführlich aufzuschreiben – da bleibt manchmal einfach nicht mehr Zeit für anderes. Wollte ich nur mal sagen.

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  3. Sunni schreibt:

    Man kann diese Situationen nicht oft genug artikulieren und nur hoffen, dass diese Infos wirklich an die richtigen Personen gelangen. Es betrifft auch bei weitem, wenn auch in anderer Ausprägung, nicht nur auf Promotionsstudiengänge zu. Bei mir gehörte Zoloft drei Jahre zum täglichen Frühstück, es hätte keinen interessiert und viele nur zu hämischem Lachen gebracht. Mund aufmachen, sagen, immer wieder. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben!

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  4. Liebe Frau Rabe,
    Im Großen und Ganzen kenne ich diese Szenarien, nur, dass es an unserer Uni einige Unterschiede gibt. Bei uns sind zum Beispiel extra Graduiertenschulen eingeführt worden, in denen man sich mit seinem Thesis Komitee regelmäßig trifft, um das Vorankommen der Arbeit zu besprechen und entsprechend Doktoranden in den Gremien vertreten sind. Ok, einmal im Jahr ist jetzt auch nicht sonderlich viel, aber besser als nichts. Aber man muss die Bestätigungen beim Prüfungsamt mit einreichen, damit man einreichen darf.
    Das mit dem Druck und den komischen Chefs kenne ich auch nur zu gut, erst vor ein paar Monaten saß ich deswegen bei der psychologischen Beratung der Uni. Und wie es bei solchen Gesprächen immer ist, nicht wir sind diejenigen, die kaputt sind, sondern unsere Chefs sind quasi die Wurzel allen Übels. Das mit der Methodendokumentation hätte ich mir auch schon mehr als einmal gewünscht, weil durch diese ständige Herumprobieren viel zu viel Zeit verloren geht.
    Die 3 Paper Regelung sehe ich immer zwiespältig. Bei uns gibt es sie nicht. Einerseits ist das schön, weil man in der Grundlagenforschung nicht irgendwelche zusammengeschusterten Daten publizieren und verkaufen muss. Es nimmt aber den Druck nicht. Ich habe inzwischen 3 Jahre Ergebnisse produziert und bisher kein Paper, nicht mal als Co-Autor. Und warum? Weil mein Chef die Daten nicht veröffentlichen möchte, weil er glaubt, dass andere Gruppen daraus Vorteile ziehen könnten und dann den großen Coup landen, den er sich wünscht. Ich finde auch immer noch, dass so ein Doktortitel ohne Veröffentlichung komisch ist, aber ob es noch zu einem/zwei/der Papern kommt, liegt leider nicht in meiner Hand.
    Den einzigen Luxus, den ich gerade habe, ist, dass ich eine Anschlussfinanzierung für weitere 7 Monate bekomme, in denen ich meine Doktorarbeit zusammenschreiben und verteidigen kann. Wobei ich nicht vorhabe länger als nötig zu bleiben und auch schon angekündigt habe, dass wenn ich kein Paper schreibe, alles früher stattfindet und ich dann meinen Arbeitsvertrag kündige.
    Liebe Grüße,
    S.

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    • Ein Problem ist ja auch, dass die weitere Karriere oft davon abhängt, dass man publiziert hat. Post-doc, aber auch Industrie-Post-docs, da wird das oft verlangt. Und (das habe ich ja leidvoll erfahren müssen): man ist schneller gescoopt, als man gucken kann. Ehrlich, das würde ich dem Chef mal vor Augen halten, wenn es wirklich so ein tolles Ding ist, ist es leider relativ egal, wenn man der zweite ist, der davon berichtet.
      Ach, es ist doch echt eine Krux mit dem Promovieren…

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