Tag 2159 – Pandemieschäden.

Also… nicht dass ich vor der Pandemie komplett, äh, normal gewesen wäre, ne? Und wer ist überhaupt normal und so weiter und so fort, schon klar. Aber ich fürchte echt, wenn wieder normales Leben sein soll, muss ich ganz behutsam wieder eingegliedert werden oder mir neue Strategien gegen zu viele Eindrücke auf einmal zulegen. Das klingt jetzt lustiger als es ist.

Die vollständige Geschichte geht nämlich so: wir mussten heute ein paar Dinge einkaufen, die wir hier im Ort nicht oder nur mit Gerenne bekommen hätten, also fuhren wir nach Jessheim. Alle, weil sowohl Herr Rabe als auch ich nicht dem jeweils anderen das Besorgen spezifischer Dinge auftragen wollten. In Jessheim ist das große Einkaufszentrum, da hat man alles an einem Ort, ist ja auch praktisch. Aber herrje, so viele Leute (Spoiler: gemessen an Prä-Pandemie gar nicht viele). Wir hatten schon einiges vorbestellt, das dann nur noch abgeholt werden musste, und wir wussten exakt, was wir brauchen, deshalb war der Besuch sogar relativ kurz, trotzdem hätte ich mich am Ende am liebsten irgendwo weinend zusammengerollt vor Überforderung. So viele Stimmen, Geräusche und Gerüche. Kinder rufen, Babies schreien, Leute reden, Durchsage, dass Elias seinen Papa sucht, verbrannter Käse, Kaffe, Parfüm, Musik, MamaichmussaufsKlojetztsofort… und nichts davon kann ich mehr ausblenden. Alles kommt gleich laut und gleich wichtig in meinem Kopf an. meine Batterie muss auch ne Macke haben, die war nach drei Minuten leer. So leer, dass sich mein eh schon schlechter Orientierungssinn schlussendlich komplett auflöste und ich, als ich kurz alleine (im Auftrag der Grundschulklasse) unterwegs war, völlig sinnlos um und durch das Gebäude lief und den Weg zum Kramsladen, zu dem ich wollte, ums Verrecken nicht fand. Trotz Infotafeln.

Im Auto wäre ich danach schon beinah eingeschlafen, zu Hause schaffte ich es grad noch so ins Bett, stopfte mir die NC-Kopfhörer in die Ohren („hypnotisch repetitive Musik“ ist ein wirklich gutes Heilmittel bei Stress bei mir) und döste eine Stunde vor mich hin. Danach ging es wieder, obwohl mir immer noch die Ohren klingeln. Aber hui, das war wirklich ganz kurz vorm Überforderungs-Heulkrampf. Das letzte Mal hatte ich das bei Michels (Kinder-)Geburtstag so krass. Davor… beim Sommerfest des Inspektorates 2019. In solchen Situationen wird alles einfach zu viel, und es zieht immer gleich noch einen Sozialkater nach sich.

Das wird ein Spaß, wenn potentiell wieder jeder Tag so wird. Hahaha. Ohje.

Angedachte Strategien bisher: NC-Kopfhörer und gegebenenfalls Sonnenbrille. Man kann Sonnenbrille auch in Einkaufszentren tragen, was solls, halten mich halt alle für so komisch wie ich bin. Besser als nach einer Stunde Einkaufen eine Stunde schlafen zu müssen. Aber was mache ich, wenn ich unter Menschen bin, mit denen ich auch kommunizieren muss/sollte? Huff.

(P.S. ja, ich hab drüber nachgedacht, ob mein Gehirn vielleicht nicht auf die gleiche Art funktioniert, wie bei den meisten Leuten. Sogar so konkret, dass ich Diagnostik beantragt habe. Die wurde im ersten Anlauf aber abgelehnt und meine Hausärztin riet dazu, vor einem neuen Antrag erst mal die Schilddrüsen-OP abzuwarten, nicht, weil sie denkt, dass die irgendwas ändern wird, aber weil die Medikation in meiner Akte für die zuständige Stelle ein Ausschlusskriterium sein kann. Insofern… warte ich halt. Eine andere Möglichkeit als über und durch die offizielle Stelle gibt es leider realistisch gesehen in Norwegen nicht.)

10 Gedanken zu “Tag 2159 – Pandemieschäden.

  1. Sunni schreibt:

    Es geht wohl sehr, sehr vielen im Moment so. Inseleffekt/syndrom hörte ich neulich, als ich erzählte, dass ich mich winde und alle Ausreden benutze, um nicht einkaufen fahren zu müssen oder mit mehr als 2 Menschen zusammen zu sein. Ich, die ich immer mit sehr vielen gearbeitet habe, gern zusammen war und meinte, mich aus Sehnsucht danach kaum halten zu können. Es bessert sich, aber sehr, sehr langsam. LG

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    • RollingKiesel schreibt:

      Liebe Sunni, ich habe Sie schon vermisst! Schön, dass Sie da sind!
      Es wird schon gehen, wenn wir alle behutsam miteinander umgehen.
      Alles Liebe und Gute für Euch!

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  2. Gwendolyn Kucharsky schreibt:

    Danke für das PS, das mich meiner potentiell übergriffigen Frage enthebt, die mir beim Lesen (und nicht zum ersten Mal) kam – einfach, weil mir das fürchterlich bekannt vorkommt und ich selbst 2019 diese Diagnostik machen ließ und mit einer entsprechenden Diagnose auch abschloss. (Was so oder so nichts dran ändert, dass es Strategien für diese Situationen braucht. NC-Kopfhörer sind meine Rettung. Für die Situationen, in denen ich mit anderen kommunizieren muss, funktioniert (noch) meine professionelle Maske…). Alles Gute jedenfalls!

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  3. Petra Barden schreibt:

    Hallo, vielleicht solltest du dich mal über Hochsensibilität informieren. Alles, was du hier
    schilderst, kommt mir sooo bekannt vor. Ist nur ein Gedanken. Alles Gute! LG Petra.

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  4. Ich komme mir auch schon vor wie eine Eremitin. Ich weiß nicht, ob ich das noch kann, dieses Unter-Menschen-Sein. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das noch will. Vor allem nicht in großer Menge.

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  5. Rina schreibt:

    Ja, meine Frage waere auch, was aendert sich mit einer Diagnose? Gibt es dann in Norwegen irgendwelche Unterstuetzung oder Erleichterungen?

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    • Jein, einiges könnte man beantragen, es geht mir aber eher um Akzeptanz mir selbst gegenüber, und darum, im Zweifel für mich geeignetere Strategien zu entwickeln, um Überforderungssituationen zu vermeiden, schneller zu erkennen und damit umzugehen, wo sie unvermeidlich sind. Eine Diagnose würde dabei helfen, die richtigen Werkzeuge auszusuchen (hoffe ich) und eventuell einen etwas vereinfachten Zugang zu Behandlung zu bekommen (hoffe ich auch).

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  6. simonsfossy schreibt:

    Sonnenbrille im Laden und Pömpel in die Ohren, sehr gute Idee, werde ic h mal ausprobieren.
    Schon mal nach Hochsensibilität gegoogelt? Willkommen im Club…😘

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