Tag 2192 – Zerstochen, vermöbelt und zufrieden damit.

CN OP, Narkose, Erbrechen

Mein Nacken fühlt sich an, als hätte ich beim Krafttraining völlig übertrieben, ich muss alles sehr sehr gut kauen, damit es auf dem Weg nach unten nicht hängen bleibt, ich habe ziemlich krasse blaue Flecken und Löcher in Armbeugen und am Fußrücken und das Kinn heben oder den Kopf ansatzweise normal drehen geht nicht. Insgesamt fühlt sich alles zwischen Brustbein und Kinn an, wie vermöbelt. Und all das ist genau wie geplant, nach so ner Schilddrüsen-OP.

Und damit kann ich auch das Geheimnis lüften, was gestern schief lief: die OP sollte nämlich gestern stattfinden. Um 06:30 musste ich kommen, nüchtern, um operiert zu werden. Herr Rabe sollte mich fahren, weil ich nicht abends schon aufgenommen werden konnte, das Hotel, mit dem das Krankenhaus eine Absprache hat, sodass ich das hätte erstattet bekommen können, im Juli geschlossen hat und um die Zeit noch kein Zug fährt. Dazu war extra dienstag abends die Babysittertochter zu uns gekommen und hat bei uns übernachtet, damit die Kinder nicht alleine sind, sollten sie aufwachen, bevor Herr Rabe zurück käme (ca. 07:30). Erstes Ding, das schief lief: Michel, der sich gewünscht hatte, wir mögen ihn wecken, wenn wir losfahren (er durfte bei uns im Bett schlafen, weil er so aufgeregt war. Avocadobaum „Benjamin“ passte auf ihn auf. Das Kind ist etwas speziell in seiner Phantasie, ja.), weinte bitterlich, als wir ihm Bescheid sagten, weil er Angst hatte, nicht wieder einschlafen zu können, bevor wir fuhren. Nun ja, wenn man doll weinen muss, kann man auch tatsächlich schlecht schlafen, und im Endeffekt zogen wir ihm ein T-Shirt über und nahmen ihn halt mit.

Michel hat alle unsere Pflanzen benannt.

Ich kam pünktlich ins Krankenhaus, bekam ein Bett und eine OP-Kluft, die ich auch direkt anziehen sollte und ziemlich direkt auch einen Zugang gelegt und harrte fortan der Dinge, die da kommen mögen. Nach einiger Zeit kam eine Schwester und sagte, ich stehe als Nummer 3 auf der Liste, es dauere also noch, wie lange, konnte sie aber nicht sagen. Sie versprach mir aber eine Infusion mit Flüssigkeit, ich hatte ja höchstens ein halbes Glas Wasser getrunken seit dem Aufstehen (um 04:45), um meine Tabletten herunterzuspülen. Um viertel nach elf, nüchtern seit 13 Stunden, mit beginnenden Kopfschmerzen vom niedrigen Blutzucker und dem Körpergefühl einer vertrockneten Rosine, fragte ich nach dieser Infusion. Die war vergessen worden und ich bekam sie dann immerhin binnen Minuten. Da war endlich der Zugang zu was gut. Die Kopfschmerzen killte die NaCl-Lösung leider nicht.

Die Wartezeit vertrieb ich mir mit Lesen, Handygedaddel, etwas Dösen und Musik hören. Medizinstudentin T. vertrieb sich meine Wartezeit damit, ein EKG abzunehmen, also erst mal sehr lange sehr, ähm, planlos, mit Kabeln und Aufklebern und der Anleitung herumzufummeln, dann die falschen Kabel an der falschen Stelle anzubringen und wieder zu tauschen, dann ratlos auf den Ausdruck zu schauen und lieber doch einen fertigen Arzt zu fragen. Nicht falsch verstehen, wir hatten beide Spaß dabei und ich glaub, ich kann jetzt auch ein EKG abnehmen, sie muss es ja auch lernen und ich hatte ja Zeit. Besonders lustig war, dass mittendrin Michel anrief und fragte, wie es ginge, und als ich sagte, ich müsse noch warten, sagte er (natürlich auf Norwegisch und natürlich hatte ich den Lautsprecher an) „Papa sagt, du bist damit nicht sehr zufrieden?“. Da T. schon schmunzelte, schob ich es Michel gegenüber darauf, dass ich seit sehr sehr langer Zeit nichts gegessen hatte und sehr hungrig war und „das haben wir dir ja erklärt, manche Leute, so wie du und ich auch, werden dann sehr sauer, dabei ist es eigentlich nur Hunger“.

Irgendwann kam meine Zimmernachbarin (oh ja, Doppelzimmer mit Doppelbelegung, Pandemie, keine Mundschütze, keine Coronatests) aus dem OP. Sie war Nummer 1 gewesen und hatte noch lange im Aufwachraum gelegen, ich schöpfte also etwas Hoffnung, dass Nummer 2 bald durch und ich dran sei.

Um halb zwei (ca., ich nüchtern seit 15 Stunden) kam der Chirurg, der mich operieren sollte. Meine Kopfschmerzen waren inzwischen mörderisch und ich hatte das Gefühl, mein Magen verdaue sich selbst. Leider hatte der Chirurg eine Hiobsbotschaft: es gab einen Notfall, der vorgezogen werden musste, mit dem „mein“ Anästhesieteam beschäftigt war, man könne mich eventuell (!) in der für Notfälle vorgesehenen Zeit um 16 Uhr operieren. Wenn nicht – dann nicht. Der Chirurg wirkte darüber selbst ziemlich frustriert und leitete das Gespräch auch ein mit den Worten „ich könnte ne Stunde diskutieren über Operationsplanung in diesem Krankenhaus, aber es hilft ja nicht“. Immerhin sorgte er, als er hörte, dass ich seit Ewigkeiten nichts gegessen hatte, dafür, dass ich sehr schnell eine Glucoseinfusion (von T.) bekam.

Mit der intus versuchte ich verzweifelt, die Kopfschmerzen wegzudösen. Das funktionierte eher schlecht als recht, und um viertel nach drei weckte mich eine Schwester mit Paracetamol und Dexametason, das ich zur OP-Vorbereitung nehmen sollte. Kein Problem, immerhin hieß das, dass 16 Uhr wahrscheinlich sei. Meine Zimmernachbarin freute sich schon mit mir, ich war aber noch vorsichtig und, tja, um 16:15 kam der Chirurg und sagte „es hat grad so nicht geklappt“. Faen, altså. Er sagte aber, immerhin, dass ich dann jetzt essen dürfe, und, noch viel wichtiger, dass ich über Nacht bleiben könne/solle und wir es am Folgetag (also heute) noch mal auf die gleiche Art probieren würden und wenn es wieder nicht klappe, ich in jedem Fall zeitnah einen neuen Termin bekommen würde (NOCH MAL DIE GANZE ODYSSEE? BITTE NICHT!). Er wirkte ein wenig, als wolle er was anzünden.

Ich schaffte es, nicht zu flennen, bis ich Herrn Rabe anrief. Yeah.

Nun ja, es gab dann Essen (Krankenhausessen, kein besonders schlechtes, aber auch keine herausragende Küche, aber immerhin feste Nahrung – nach 18 Stunden) und tröstende Worte von der Krankenschwester und dann war alles schon etwas besser. Herr Rabe und die Kinder kamen mich besuchen, die Kinder waren mit McD auf dem Weg bestochen worden, und sie brachten mir meine Tabletten, die ich ja nicht mehr zu brauchen geglaubt hatte, sowie eine Migränetablette. Wir saßen in der „Glassgata“, ich mit Milchkaffee und alle mit Eis vom Narvesen, und ich musste beiden Kindern erklären, wie der Zugang funktioniert und wofür ich den haben muss. Weil Michel fragte, erklärte ich ihm außerdem, warum wir nicht in mein Zimmer gehen würden und weil er sich dann Sorgen machte, dass es mir nach meiner Operation auch „nicht so gut“ gehen würde, musste ich leider auch erklären, was Krebs ist und dass und warum man solide Tumore wegoperiert, wenn man kann. Ich muss sagen, ich bin immer noch unsicher, wie viel Information für Michel angemessen ist, ohne ihn zu ängstigen. Er will halt immer alles wissen und hält damit glaube ich seine Ängste in Schach, aber herrje, ich hab doch selbst Angst vor Krebs und weiß noch viel viel mehr darüber, hab sowas ja studiert… Uff uff. Sowas wie „Noiiin, niemand von uns kriegt je Krebs“ geht auch nicht, das durchschaut er sofort, dass das eine unzulässige Aussage ist, aber wir waren uns dann einig, dass wir beide doll hoffen, dass niemand von uns oder die wir gern haben, Krebs bekommt.

Der Rest des Tages ging unspektakulär rum, ich musste noch mal duschen zur Vorbereitung auf die OP, las, daddelte am Handy, und versuchte, recht früh zu schlafen – was mäßig klappte. Vor allem war ich heute morgen um viertel vor fünf knallwach, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als weiter lesen und warten… heute bekam ich aber schon um halb sieben eine NaCl-Infusion, um sieben Paracetamol und um halb acht wurde ich abgeholt.

Trotzdem glaubte ich nicht so richtig daran, dass ich tatsächlich operiert würde, bis ich auf dem OP-Tisch lag und mir der sehr nette (deutsche, wie sich herausstellte) Anästhesist erklärte, was nun alles passiere.

Bei der OP ging wohl alles gut, sie haben alle Nebenschilddrüsen gefunden und erhalten können, ich kann normal reden („Üb‘ das, die Stimmbänder müssen jetzt wieder ein bisschen trainiert werden“, sagte die Chirurgin), hatte „minimale Blutung“, habe also auch keine Drainage, und bisher nur eine leichte Schwellung an der Wunde. Im Aufwachraum gab es noch einen lustigen Schmerzmittelmix wegen doch ziemlichem Aua und dann ein Eis, wegen Aua im Schluckapparat. Ich fand noch eine Elektrode an meiner Stirn, von der Stimmbandstimulation, nehme ich an. Mir ist nicht schlecht (beim letzten Mal, dass ich eine Vollnarkose hatte, musste ich danach brechen), ich durfte, als ich endlich wieder auf dem Zimmer war, auch sofort essen und wenig später in meine normalen Klamotten umziehen, aufs Klo und mein Gesicht waschen (Kleberreste überall!) und war auch schon beim Narvesen, ordentlichen Kaffee und ein weiteres Eis holen. Hurra!

Morgen geht es, aller Voraussicht nach, nach Hause.

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*Fun fact: in Norwegen gibt es das nicht mit den obligatorischen Heparinspritzen, nur wenn man einen bestimmten Risikoscore erfüllt, auf dessen Skala ich aber nur einen Punkt erreiche.

6 Gedanken zu “Tag 2192 – Zerstochen, vermöbelt und zufrieden damit.

  1. virtuellesgluecksbuero schreibt:

    Na, das hört sich ja bei aller Ruckeligkeit so an, als ob es gut gegangen ist. Ich wünsche eine gute Heilung und daß alle Schilddrüsenprobleme mitsamt den dazugehörigen Unannehmlichkeiten vom Winde verwehrt werden. 🍀🍀🍀

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  2. Sunni schreibt:

    Höllentrip. Aber nun ist sie weg, mit Geschwistern. Und hoffentlich wird alles besser. Ganz sicher wird es. Kopf hoch…soweit es geht und ganz langsam voran!!!Sunni

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  3. Christiane H. schreibt:

    es freut mich, dass die Op gut verlaufen ist und dass alle 4 Nebenschilddrüsen erhalten werden konnten. Bei mir waren es nur zwei, die aber funktionieren nach einigen anlaufschwierigkeiten brav. Und Stimmbänder opk, das erleichtert ja auch ungemein, also keine Logopädoebesuche?
    Ich drücke ganz fest die Daumen für das Resultat der Histologie. Gute Besserung und liebe Grüsse aus Luxemburg

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  4. PaulineM schreibt:

    Das klingt ja schon ein bisschen wie Horrortrip. Kann man sich nicht ausdenken. Ich wünsche ganz gute Heilung und zukünftige Symptomfreiheit. Und das Michel sich nicht zu viele Sorgen machen muss, dass es der Mama bald wieder gut geht.

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  5. RollingKiesel schreibt:

    Liebe Frau Rabe, ich wünsche Ihnen alles Gute, eine rasche Genesung und ein großzügiges Verwöhnprogramm von den kleinen und dem großen Raben! Und, immer ausreichend Eis im Kühlschrank!

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