Tag 2857 – Norwegische Sorgen.

Nächste Woche ist der 17. Mai, also der heiligste aller norwegischen Feiertage. Michel, der ja nix an seinem Fuß hat, kann wieder marschieren, was gut ist, weil marschieren für Korpskinder ein ganz wesentliches Element am 17. Mai ist. Genau wie (das ist eine gute Überleitung, und so ungezwungen!) Eis und Würstchen. Laktosefreies Eis (für Laktoseintolerante) und vegane Würstchen (für diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen die normalen Würstchen nicht essen möchten oder können) war schon gekauft und sicher gelagert in der Gefriertruhe in der Schule, in der kleinen Küche, die sich Korps und Schulelternrat teilen. Und am Wochenende wird die Küche, zusammen mit der Turnhalle, manchmal für Kindergeburtstage verliehen. So auch dieses Wochenende und scheinbar hat da jemand die Kühltruhe ausgestöpselt, jedenfalls haben wir jetzt, eine Woche vorm 17. Mai, eine Truhe voll laktosefreier Eissuppe mit einer Einlage aus veganen Würstchen. Ich kann diverse mir bekannter Papas bis hierhin Schnappatmen hören, weil ob wir in so kurzer Zeit genug Ersatz beschaffen können, mal abgesehen davon, dass wir die Truhe leeren und sauber machen müssen, ist fraglich.

Ich halte mich da dieses Jahr sehr raus, ich hab eh schon viel zu viel zu tun. Aus der mittleren Entfernung betrachtet ist die ganze Geschichte auch tatsächlich ein bisschen lustig.

Tag 2856 – Ambitioniert.

Ich hab mir bei der Arbeit zu viel vorgenommen und musste heute zu Kreuze kriechen und fragen, was davon wichtiger ist als das andere, weil mein Arbeitstag ja nun mal nur 7,75 Stunden hat. Ich bin außerdem hundemüde und genervt von der einen Aufgabe, die einfach doof ist und vielleicht auch sinnlos, das wird sich noch zeigen. Morgen muss ich jedenfalls richtig ranklotzen, wenn ich bis Donnerstag die Dinge fertig haben will, die ich fertig haben sollte. Weil sich auf meine Frage, was ich priorisieren soll, auch niemand äußern mochte. Das können wir selbst entscheiden, sagt die Direktion, Priorisierung ist an das niedrigste mögliche Niveau delegiert, was ein schöner Ausdruck ist dafür, dass man für die falsche Entscheidung den Kopf hinhält, ohne dass einem wer sagt, was die richtige Entscheidung gewesen wäre.

Es ist echt ganz super (nicht!) und Hormone tun ihr Übriges dazu, dass mir jetzt schon vor der Arbeit morgen graut.

Tag 2855 – Nix.

Herr Rabe hat einen Großteil des Tages damit verbracht, Michel zu Gesundheitsmenschen zu fahren, damit sein Fuß angeschaut werden konnte. Die Diagnose ist: da ist nichts passiert, umgeknickt eben aber alles noch dran und ganz. Puh.

Ich habe einen Großteil meines Tages damit verbracht, einen Report zu schreiben, den ich eigentlich heute (ganz eigentlich Freitag) fertig haben wollte, aber trotz großzügiger und spätabendlicher „Flexizeitarbeit“ (andere nennen es Überstunden, aber die sind ja nicht mehr erlaubt) ist er immer noch nicht fertig. Ich werde die nächsten zwei Tage extrem effektiv sein müssen, um alles noch vor dem 17. Mai einzutüten. Es wäre echt schön, wenn nicht noch ein Report massiv über die Frist ginge.

Heute Morgen habe ich mich aus Gründen gefragt, was die adäquate Reaktion darauf ist, wenn man nach dem Sport bei der Arbeit unter der Dusche eine Kollegin trifft, die man nicht gut kennt und wegen mangelnder Brille und Bekleidung auch nicht wirklich gut erkennt. Ich glaube weder meine Reaktion (betretenes Inspizieren der eigenen Füße, aus Ermangelung der Möglichkeit, einfach durch den Ausguss zu verschwinden) noch ihre (drauf los erzählen und fachliche Dinge besprechen wollen) waren ganz richtig.

Montags Sport machen ist vielleicht nicht so schlau. Da machen alle(TM) Sport, erst können also alle(TM) meine beeindruckend pinke Glomse bewundern und danach läuft man sich auch noch in der Gemeinschaftsdusche wie Gott, Zeit und Oreokekse eine schufen, über den Weg. Dann kriegen sie auch gleich noch meinen beeindruckend pinken Storchenbiss an der Rückseite zu sehen. Super. Nicht.

Tag 2854 – Wochenendende.

Ein Sonntag Anfang Mai. Herr Rabe hat das Trampolin aufgebaut, Pippi ist achthundert mal ums Haus Fahrrad gefahren, ich war in der Sonne spazieren und habe ein paar neue Sommersprossen bekommen, Michel hat mit dem Korps auf der Konfirmation eines anderen Korpsmitgliedes gespielt und zum Ende des Tages hat sich Michel den Fuß noch blöd umgeknickt und wenn das morgen nicht besser ist, fährt Herr Rabe mit ihm zum Arzt. Er ist ja manchmal eine kleine Dramaqueen, was Aua aller Art angeht, allerdings war der Fuß schon ein bisschen geschwollen. Ich nehme trotzdem an, es ist nur umgeknickt ohne schwerere Folgen.

Zwischendrin haben wir noch die Schwägerin verabschiedet und verspäteten Kuchen gegessen.

An Anfang-Mai-Dingen stehen jetzt noch Weide beschneiden und Sommerreifen aufziehen an. Und diverse Gartenarbeiten, aber die kann man ja bis auf im Winter immer machen, die Weide ist jetzt verblüht und muss dann jetzt geschnitten werden. Die der Nachbarn auch, das wissen die aber bestimmt nicht, die haben das Haus mit Weide gekauft und die Weide war das einzige, was der Vorbesitzer nicht vorm Auszug noch mit RoundUp tot gemacht hat (seltsame Leute gibt es). Die neuen Nachbarn wurden noch nicht im/um den Garten gesichtet. Vielleicht schneide ich deren Weide einfach mit und erkläre den neuen Nachbarn dann, dass man das halt machen muss, wenn man möchte, dass sie blüht.

Tag 2853 – Vierzig.

Herr Rabe hat heute (hatte kalendarisch gestern, aber es ist ja erst ein neuer Tag, wenn man mindestens 4 Stunden geschlafen hat) Geburtstag. Ein runder Geburtstag um den herum sich Männer gerne Motorräder kaufen und Sekretärinnen… ja. Herr Rabe hat keine Sekretärin und ich kann bezeugen, dass er schon länger immer mal wieder darüber nachdenkt, sich wieder ein Motorrad zuzulegen, und das auch schon länger immer wieder verwirft. Auch ansonsten gefällt mir die 40er-Version von Herrn Rabe mindestens genauso gut, wie die Version, die ich vor vielen Jahren kennengelernt habe und die, die ich vor minimal weniger vielen Jahren geheiratet habe. Das ist ja schon viel wert, das so sagen zu können. Wir sind nach wie vor ein gutes Team, auch (oder weil?) wenn wir ziemlich unterschiedlich sind. Zum Beispiel werde ich ja eher gleichmäßig meliert weiß, während Herr Rabe sich eine Mr. Sheffield-Strähne wachsen lässt. Was ich im Übrigen sehr attraktiv finde, mein graue-Haare-Herz schlägt gleich höher.

Wir hatten alle einen recht schönen, wenn auch recht normalen, Tag. Keine große Party, sondern ein Ausflug nach Oslo mit gutem Essen und der eingeflogenen Schwägerin. Kinder, die sich zum Teil eifrig aufs an-der-Laterne-ausgesetzt-werden bewarben, Sonnenschein, Füße in den Fjord halten (die Kinder, zum Teil), ein Besuch in der Deichman-Bibliothek in Bjørvika, was wohl die krasseste öffentliche Bibliothek ist, die ich je gesehen hab. Sechs Etagen, alle offen, ein Spielplatz mitten drin, überall Lese- und Arbeitsecken, gut besucht von Menschen allen Alters und trotzdem unglaublich angenehm ruhig. Die müssen eine meisterhafte Schalldämpfung haben. Das ist wie eine Oase mitten in der Großstadt.

Abends noch lange mit der Schwägerin auf dem Sofa gesessen, auch das sehr schön. Morgen gibt es Geburtstagskuchen – das ist die logische Konsequenz aus zu spät mitgeteilten Kuchenwünschen.

Tag 2849 – Scheißtag.

Aus mehreren Gründen, einige davon intrinsisch, war der Tag heute richtig doof. Ich will das gar nicht ausführen, das macht ja nichts besser, wenn ich mich noch mehr als eh schon über alles aufrege, aber ich illustriere beispielhaft mal kurz wie der Tag anfing:

„MAAAMAAAAA!!!“ – *grhrgswaspassiertbinnochgarnichtwach* „Hmm?“ – „MAAAAAAMAAAAA!!! HILFE!!!“ – *stolpert Treppe runter, wegen Kaltstart wird alles schwarz* – „MAAAAMAAAA!!! KOMM SCHNELL!!!“ – *komme in die Küche* „Wasn los?“ – „DER TOASTER BRENNT!“

Tag 2848 – Gefühle.

Heute war Pippis Vorstellung, das heißt, ich konnte heute auch die ganze Vorstellung mal sehen. Bonus: die richtig guten Gruppen Tanzen auf jeder Vorstellung. Nun ist es ja so, dass ich normalerweise nicht die emotionalste Person der Welt bin, eigentlich kann ich hauptsächlich Wut offen zeigen und bin sonst recht reserviert*. Aber Musik macht schon was mit mir und Tanz macht noch viel mehr mit mir. Und so fand ich mich in einem gnädiger Weise dunklen Saal und die Tränen liefen wegen süßen Kindern (darunter Pippi) und extrem guten Modern-Gruppen, und sogar wegen extrem guten HipHop-Gruppen. Ich meine, HipHop. Aber die waren auch alle so gut und ich war auch mal gut (nicht so!) aber jetzt bin ich 38 und kriege schon Schmerzen überall bei der Vorstellung, mich so schnell zu bewegen oder mich elegant und ausdrucksstark über den Boden zu wälzen. Ich könnte natürlich jetzt Dance Mom werden und Pippi muss dann all meine unerfüllten Träume stellvertretend für mich ausleben, aber dafür bin ich mir 1. viel zu bewusst, wie bescheuert das wäre und 2. ist Pippi dafür das falsche Kind, wenn man auf die Druck ausübt, passiert nämlich meist das Gegenteil von dem, was man möchte.

Drei der Kinder und Jugendlichen sind mir sehr aufgefallen, da war der eine Junge, der unglaublich viel Spaß hatte und mitsang (das macht Pippi auch, und ich mache das auch, aber nicht bei Shows), das große Mädchen das unfassbar gut HipHop tanzt und passabel alles andere, aber wirklich überragend eben HipHop (alle Styles) und das eine blonde Mädchen mit den langen Haaren (ok, das trifft auf ca. 80% der Tänzerinnen hier zu…), das aus der Jane-Fonda-Gedächtnisgruppe (I‘m so exited) herausstach, weil sie nicht nur wie der Rest der Gruppe die komplette 3-Minuten-Killer-Choreografie technisch sauber und voller Energie ausführte, sondern, Achtung, auch noch nen schönen Kopf/Hals dabei hatte. Ich hatte mal eine Ballettlehrerin, die sagte, man spricht beim Tanzen mit dem Brustbein, den Schultern und dem Kopf, und bei diesem Mädchen war das sehr gut zu sehen, auch was das für die Linien ausmacht. Ich hoffe, die werden alle entsprechend gefördert. So. Das war mein Senf als Hilfs-Dance-Mom.

Einziger Minuspunkt: es war zu laut. Und viel zu viele Menschen – die zum Teil auch noch mit mir reden wollten. In Summe waren das dann wohl in den letzten Tagen leider ein bisschen viele Dinge außerhalb meiner halt doch ziemlich begrenzten Komfortzone und als wir wieder zu Hause waren, war mein Akku so leer, dass ich mich erst mal ins Bett legte – besser jedenfalls als direkt wieder loszuheulen, diesmal aus Erschöpfung. Trotz 8 Stunden Schlaf letzte Nacht schlief ich noch mal fast zwei Stunden. Dann ging’s wieder.

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* kalt, sagen einige. Sieht aber nur so aus, ehrlich.

Tag 2847 – Alles gut.

Der Auftritt liegt hinter mir, es lief so ganz gut, denke ich. Der unmittelbare Eindruck war, dass es ganz gut war. Aktive Erinnerungen habe ich fast keine, das ist normal, vor allem, wenn nichts schlimmes passiert ist. Die Choreografie kam zu großen Teilen aus dem Rückenmark, was auch gut ist, dann habe ich nämlich Zeit, Spaß zu haben. Einmal wäre ich fast sehr wenig elfengleich in den Vorhängen (man läuft ja ständig rein und raus…) ausgerutscht, bekam aber grad noch so die Kurve und war nur einen halben Schritt zu spät beim nächsten (nahtlos angeschlossenen) Teil. Aber sowas korrigieren kann ich noch von früher, das hat ziemlich sicher niemand gesehen. Apropos von früher: all unsere schönen Bilder und Reihen und Aufstellungen waren (nicht nur) ein bisschen off, habe ich aus dem Augenwinkel gesehen, die waren aber so durcheinander, dass es auch nichts mehr gerissen hätte, wenn ich irgendwohin korrigiert hätte. So what, wir sind 12 Erwachsene, die das aus Spaß an der Freude machen, keine Formation. Fotografieren war nicht erlaubt, verständlicherweise, da zogen sich ja überall Leute ständig um, aber ein Bild von einem Teil des Straßenschuhhaufens habe ich machen können, ohne dass Menschen drauf sind:

Jetzt ist Tanzpause für mich bis nach dem 17. Mai.

Ansonsten gibt es von heute nicht so viel zu erzählen, eine Anekdote vielleicht, als Pippis Freundin N. völlig aufgelöst weinend bei uns vor der Tür stand, wir fragten, was los sei und sie rief: „GUCK was ich anhab! Eine Hose UND eine Draußenhose! UND einen Pulli UND eine Jacke! PAPA HAT EINFACH GESAGT, MIR SEI KALT!“ Herrn Rabe und mich hat das, nachdem sich Pippis Freundin einigermaßen beruhigt hatte und die beiden draußen mit ihren Rollern herumfuhren, doch sehr amüsiert (genau genommen prusteten wir beide mit dem Türklapp vor Lachen los). Wir dachten wirklich, es sei irgendwas ganz schreckliches passiert, dabei sind andere Eltern nur ebenfalls so rücksichtslose Monster, die ihre Kinder – wenn auch mit zweifelhaften Argumenten – zu wetterangemessener Kleidung zwingen.

Jetzt müde. Der Auftritt war nervlich zwar weniger schlimm als auch schon, aber hat doch einiges an Energie gekostet.