Tag 1946 – Langsam leicht balla balla.

Das Rumgeeier angesichts der explodierenden Pandemie hier in Norwegen lässt mich mehr und mehr Haare raufen. Unser R-Wert ist jetzt bei 1,4 (vor grad mal zwei Wochen war er ja angeblich noch bei 0,99, wir hatten keine zweite Welle und alles war total rosig) und die Prognosen sagen düsteres voraus. Aber die Tanzschule ist ein Fitnesscenter und kein Breitensport, darf bei uns also auf bleiben. Aber nicht in Oslo (oder Bærum oder Asker), da sind Fitnesscenter geschlossen. Es ist alles kompliziert. In Hurdal (oder war’s Nannestad? Ums Eck jedenfalls) muss man in Läden auch Mundschutz tragen, bei uns aber nicht. Als würden sich Leute nie zwischen den Kommunen bewegen. Ha. Ha. Bei uns darf man noch ins Restaurant, in Oslo auch, aber bei uns gibt’s Alkohol immerhin bis 22 Uhr, in Oslo jetzt gar nicht mehr.

Ich komme mit meinem Homeoffice weiter nur so Mittel gut klar. Mein Arbeitgeber hat sich jetzt überlegt, dass wir HMS auch in 330 Homeoffices (und diversen Hütten vermutlich) beachten müssen und ich hab dazu morgen ein Gespräch. Bin gespannt, ob dann aus Klagen über schlechte Bedingungen auch Taten folgen, oder ob nur traurig genickt wird und mit „das ist verständlich, aber so geht es allen und wir können da leider gaaar nichts machen!*“ geantwortet wird.

Die Laune sinkt umgekehrt proportional zur Inzidenz.

*was Geld kostet

Tag 1759 – Coronaferienrant.

Am Morgen. Ich öffne Twitter.

Kinderloser Mensch: „Ich verstehe ja, dass die Belastung der Eltern grad hoch ist. Aber überlegt doch mal, wie das für die Kinder ist, wenn ihr die Zeit mit ihnen so hasst.“

*Synapsen knallen durch*

Ich habe mir zur Zeit selbst einen Maulkorb auf Twitter verpasst, damit ich mich in solche und ähnliche Diskussionen nicht mehr einmischen kann. Weil es zu nichts führt, außer, dass ich hinterher ein Magengeschwür vom ärgern kriege. Aber jetzt möchte ich da doch meinen Senf dazu geben, schon allein weil hier ja auch schon solche Kommentare auf dem Blog kamen. Und weil ich, nachdem hier die Kinderbetreuung und die Schule ja nun seit einiger Zeit wieder geöffnet sind, sogar ein bisschen verstehen kann, woher kinderlose Menschen diese Idee nehmen, das ganze sei eigentlich ganz ähnlich wie Ferien nur halt ein bisschen plötzlich, ja mei.

Ich hasse meine Kinder nicht. Das mag jetzt überraschen. Vor allem, da die Entscheidung für Kinder im Grunde eine Schnapsidee im Hormonrausch war (judge me! Ich möchte aber behaupten, 80% der Eltern „entscheiden“ sich für Kinder eher aus dem Bauch raus). Es war Weihnachten 2011, ich war im Job so lala etabliert aber fühlte mich komfortabel in meiner Position, Herr Rabe und ich hatten es gut auf allen Ebenen, für Kinder ist eh nie der richtige Zeitpunkt haha, lass mal probieren. Im Februar bekam ich den Mutterpass, ziemlich schockiert, wie schnell man so nen kompletten Menschen angesetzt hat, sollte man nicht erst monatelang versuchen und so? Nein, wir nicht. Vorher wochenlang die Bedingungen gleichberechtigter Elternschaft aushandeln und möglichst noch vertraglich festhalten? Again, judge me. Wir hatten Glück, da auf einer Wellenlänge zu liegen (das war mir ja auch vorher schon klar), wir hatten Glück, dass Herr Rabe zu dem Zeitpunkt an der Uni arbeitete, die 7 Monate Elternzeit für ihn nicht ablehnen konnte, und den ganzen Rest des Vereinbarkeitswitzes, den sich deutsche Eltern tagtäglich vor allem in Form von Kommentaren wie „wer seine Kinder in die KiTa gibt, liebt sie nicht“ (s.o. btw) geben müssen, haben wir elegant umschifft, indem wir nach Norwegen gezogen sind.

Insofern rede ich hier aus vielen Gesichtspunkten aus einer Luxusposition. Es ist hier normal, dass Eltern eben mal ausfallen, weil Kinder krank werden. Wir sprechen uns ab, wer grad besser von der Arbeit wegkann, um das kotzende Kind aus seiner Einrichtung abzuholen, sagen unseren Chefs Bescheid, fertig. Es ist gesellschaftlich NORMAL, dass auch Väter das tun. Es ist NORMAL, dass Väter Zeit mit ihren Neugeborenen, Babies und Kindern verbringen wollen und deshalb längere Aus- und Elternzeiten nehmen. Es gibt eine Kondergartenplatzgarantie ab dem August nachdem das Kind 1 Jahr alt geworden ist und es ist NORMAL, dann wieder arbeiten zu gehen, wenn man kann und will, Vollzeit. All das ist in Deutschland schon in weiten Teilen nicht normal und der gesellschaftliche Druck aus allen Richtungen stresst dort Eltern, die von der Idee der Alleinverdienerfamilie abweichen müssen oder wollen, immens.

Halten wir also fest: ich liebe meine Kinder, wir haben hier viel Unterstützung.

Und dann kam Corona.

Von einem Tag auf den nächsten (!) war alle Routine weg. Die Kinder wurden nach Hause geschickt mit den Worten „Nehmt lieber alles mit, WAHRSCHEINLICH ist morgen keine Schule/Kindergarten, für wie lange weiß keiner.“ Die Kinder waren verwirrt und die Erwachsenen besorgt und man hat versucht, das alles irgendwie aufzufangen. Stundenpläne gemacht, Tage durchstrukturiert, wir bewarfen das Problem auch mit Geld und bestellten ein Trampolin für den Garten, guckten mit den Kindern die Pressekonferenz für Kinder (wieder sowas, was ich hier einfach super fand: die Regierung, die gezielt Kinder ansprach und trotz aller Unsicherheit, die auch nicht verschleiert wurde, beruhigende Worte fand und auf Fragen VON KINDERN einging) und besprachen mit unseren Arbeitgebern das weitere Vorgehen.

WIEDER: Wir sind hier total privilegiert. Es gab schon vor der Schließung der Schulen und Kindergärten die Anordnung VON DER REGIERUNG, dass alle, die können, Homeoffice machen sollen. Alle. Insofern waren wir eh zu Hause [ich nicht, aber das ist eine Geschichte, die hier nichts zur Sache tut, im Zweifel lesen Sie einfach den 12. und 13.3. hier im Blog nach] als alles schloss. Mein Arbeitgeber genehmigte schnell allen Eltern mit Kindern unter 12, normale Stunden abzurechnen, auch wenn die nicht 100%ig effektiv und/oder zu seltsamen Tageszeiten abgeleistet wurden. Alle Eltern bekamen 10 extra Kindkranktage für „Corona-geschlossene Einrichtungen“ vom Staat. Alles Luxus! Trotzdem war die erste Woche ein bisschen wie im Delirium und ging hauptsächlich für Organisation und allgemeines Klarkommen drauf. Schulaufgaben gab es auch noch nicht so wirklich viele, Kindergarten eh nicht. Die Kinder verstanden noch nicht, dass das jetzt wirklich lange so bleiben würde, wir auch nicht, doch, war toll.

Aber dann war irgendwann alles organisiert und es galt, zwei (weiterhin) Vollzeitjobs und zwei Kinder unter einen Hut zu kriegen. Zwei Kinder, wohlgemerkt, die gewöhnt sind, täglich andere Kinder und andere Erwachsene um sich zu haben. Die nicht kennen, dass Mama und Papa plötzlich die Ansagen machen, die sonst vom Kindergartenbetreuer oder der Lehrerin kamen. Die kein Problem damit hatten, dass zu Hause und im Kindergarten/der Schule andere Regeln herrschen, aber dass plötzlich die Kindergarten- und Schulregeln auch zu Hause gelten sollten, war schwer zu verstehen. Das knirschte also, erwartungsgemäß, und da kannste die Kinder lieben und dich freuen, Zeit miteinander zu verbringen, so viel du willst, sowas muss sich zurechtruckeln. Und mit zurechtruckeln meine ich: Wutanfälle aushalten. Geschrei aushalten. Viel. Oft. Lange. Wir ruckelten also, wir sorgten uns, UND DANN SOLLTEN WIR AUCH NOCH IRGENDWIE ARBEITEN. Wir teilten uns auf, was aber hieß, dass wir extrem lange Tage hatten. Was saugt. Sehr.

Wir wurden in dieser Zeit weder den Kindern, deren Schulaufgaben, unseren Jobs, dem Haushalt, noch uns selbst (Sport? Selfcare? Hahaha.) wirklich gerecht. Und guess what? Das sorgt für ein scheiß schlechtes Gewissen. Eh schon. Dann noch sagen „du musst aber schon schauen, dass die Kinder sich nicht als Belastung empfinden“ ist, sorry, total daneben und lädt noch ne Schippe schlechtes Gewissen drauf. Schlechtes Gewissen, in der Intensität, in allen Bereichen, lähmt.

Aber dann öffneten die Kindergärten und Schulen wieder und ich kann jetzt verstehen, wie Kinderlose oder auch Menschen mit Kindern aber ohne Erwerbsarbeit auf die Idee kommen können, das seien „Coronaferien“. Ich geh mal davon aus, dass kinderlose Erwerbstätige auch etwa eine Woche brauchten, um den Homeoffice-Schock zu überstehen, aber wenn ich mir mein Homeoffice-Leben jetzt so angucke ist das eigentlich sogar ganz nett. Ich kann viel länger schlafen, ich spare mir das Pendeln, ich kann mir meine Arbeit noch freier einteilen als eh schon, ich kann auch mal zwischendurch den Einkauf erledigen, Arzttermine sind gar kein Problem mehr und ich esse täglich Mittag mit Herrn Rabe. Der macht mir auch oft noch einen Kaffee und stellt ihn mir hin, während ich schon im nächsten Meeting sitze. Die finanziellen Sorgen sind weg und das Infektionsgeschehen sieht auch sehr vielversprechend aus. Es ist echt eigentlich sehr nice.

Genauso sind ja Ferien sehr nice. Keine Arbeit, Ausflüge mit den Kindern an den See oder in den Wald und wenn sie mal nen Film gucken wollen, kann ich in der Zeit trainieren oder meinen Hobbies nachgehen. Keine Schulaufgaben, Ausschlafen, kein Stress.

Nur WAREN DAS WÄHREND DER CORONTÄNE EBEN KEINE FERIEN! Das war das kinderlose Homeoffice, PLUS die arbeitsfreien Ferien, PLUS als Ersatzlehrkraft fungieren, PLUS andere Kinder ersetzen, PLUS Sorgen und Umstellungsschwierigkeiten der Kinder auffangen, PLUS selbst Sorgen haben WEIL ES EINE GLOBALE PANDEMIE IST.

Und jetzt sag mir nochmal, kinderlose Person, dass ich das als „Zeit miteinander verbringen“ hätte schön finden sollen, dass ich niemals hätte meckern dürfen, dass ich den Kindern hätte vorspielen müssen, dass alles tutti ist und wie Ferien und niemand von uns in dieser Zeit irgendwie überfordert, unterfordert oder unausgelastet ist. Dass die Kinder sicher nen Schaden davon tragen, dass ihre Eltern DIE SITUATION als belastend empfanden.

Rant Ende.

Tag 1716 – Corontäne Tag 43 (nachgereicht).

Auch gestern wieder auf dem Sofa eingeschlafen, quasi widerstandslos. Immerhin habe ich noch geschafft, bei der Twitterkneipe aufzulegen.

Gestern war ein recht stressiger Arbeitstag, unter anderem weil unsere Chefin zum Feierabendbier per Teams eingeladen hatte – um vier. Ich musste also alles (drei Fristsachen) bis vier fertig haben. Meine Kolleginnen und Kollegen kennen jetzt den Spruch „kein Bier vor vier“. Aber es war sehr nett. Um halb sechs verschwanden auf einmal alle, und ich hing noch 20 Minuten mit dem einen Kollegen* rum, wir sprachen unter anderem darüber, dass wir beide, obwohl wir nun wahrlich nicht die Allerextrovertiertesten sind und beide unsere Herausforderungen im Bereich „Soziale Interaktion“ haben, die normale Arbeit vermissen, wegen dem Sozialen. (Ein bisschen seltsam ist, dass ich darüber nur mit Leuten reden kann, die auch seltsam sind, ansonsten kann ich da nur drüber schreiben.) Ich vermisse jedenfalls die Arbeit und hab auch direkt davon geträumt, auf diverse Arten. Erst war ich mit besagtem Kollegen auf einem Flugplatz (habe fast das Flugzeug verpasst, also ein altbekannter Stresstraum in neuem Gewand), dann war irgendwas mit einem Brand bei einem Großhändler, wegen dem wir irgendwelche Rechtsfragen klären mussten.

Vielleicht lese ich doch am Wochenende noch den Entwurf zu einer neuen Vorschrift, zwecks Beruhigung der Nerven.

Ab nächster Woche ist wieder Schule, Halleluja. Dann werde ich auch vorerst die Corontäne-Zählung beenden. Die zwei 2. Klassen bei uns wurden in vier aufgeteilt, damit sie die Kohortengröße einhalten können. Eine Lehrkraft wurde fest neu angestellt, eine, die schon öfter ausgeholfen hat, hat ihren Vertretungsvertrag ausgeweitet und verlängert bekommen. Drei mal pro Woche (statt sonst ein mal) soll Draußentag sein. Sport-Hort findet normal statt, Sport aber nur noch Draußen und nur noch Sportarten ohne viel Körperkontakt. Und dann halten wir alle die Daumen, dass es keine furchtbaren Ausbrüche gibt, die sich auf Schulen und Kindergärten zurückführen lassen, damit nicht alles direkt wieder geschlossen wird.

Wir haben weiter Homeoffice und da vermutlich eine (softe) Bedingung für die erlaubte Rückkehr ins Büro sein wird, dass man ohne ÖPNV dort hin kommt, wir aber auch gleichzeitig keine Parkplätze am Werk haben *und* ich mich mit dem Auto pro Weg auf 1 Stunde Fahrt *plus* eine Stunde Stau einstellen müsste, kommt das für mich überhaupt gar nicht in die Tüte, Ende. Mal schauen, ob sie die Kernarbeitszeit aufweichen, das fände ich eine sinnvolle Maßnahme, um zu vermeiden, dass wir uns alle in die Rush-Hour in die T-Bane quetschen. Ich komme gerne, sagen wir, einmal die Woche, von 10-18 Uhr. Dann kann ich auch mit Zügen fahren, die nicht so voll sind, dass man keinen Abstand zu irgendwem halten kann.

Naja, wir werden sehen.

Erste Erfolge sind auch an der Kinderfront zu vermelden: wir haben gestern Abend alle iPads, den Minecraft-Computer und die Switch einkassiert und versteckt. Mit Ankündigung. Die Kinder haben erstens etwas länger geschlafen als letztes Wochenende und zweitens heute früh das Lego entdeckt. Ich denke, das ist, wegen nicht so toll einstellbarer Router-Hard- und -Software, der für uns gangbarste Weg um den ständigen Stress um die Bildschirme zu begrenzen.

So, und jetzt hoffe ich mal ganz stark, dass wir uns heute Abend wieder lesen und nicht erst morgen wieder.

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*ich mag mehrere Leute da echt gern, aber der entwickelt sich langsam zum Lieblingskollegen, trotz oder grade wegen all seiner Seltsamkeiten