Tag 3149 – Michel goes Politik.

Nun. Michel vs. Schule hat ein neues Kapitel erreicht. Heute kam er nach Hause und hierlt mir 45 Minuten lang eine flammende Rede darüber, dass die Schule generell und die Lehrpersonen im Besonderen keine Ahnung davon haben, was sie für Kinder mit ADHS, Autismus, Dyslexie oder anderen extra Baustellen machen können. Und das dass geändert werden muss, das muss „die Schule wo man Lehrer*in sein lernt“ denen beibringen. Nämlich. Und dafür wird er kämpfen, und wenn er irgendwann nicht mehr da ist dann sollen seine Kinder und Enkelkinder dafür weiter kämpfen! (Das hat er so gesagt.) Und weil er befürchtet, dass die Erwachsenen nicht auf ihn hören, weil er 11 Jahre alt ist, will er das der Person sagen, die „das bestimmt was die Lehrer*innen wissen müssen“. Am liebsten persönlich, aber ich bekam ihn auf eine Mail runtergehandelt. Ich dachte, dass wir diese Mail vielleicht zusammen schreiben würden und ich würde die Adresse vom entsprechenden Departement raussuchen, aber als ich das nächste mal guckte, warum es in Michels Zimmer so leise ist, hatte er seine Mail an Post ät Stortinget Punkt no schon abgeschickt. Michel backt also keine kleinen Brötchen.

Der Anlass war übrigens mitnichten, dass er irgendwas haben will, aber nicht bekommt. Nein, das Problem ist, dass er das bekommt, was in Deutschland den blöden Namen Nachteilsausgleich hat. In Norwegen läuft das ganz anders, jedenfalls auf dem Papier, denn jedes Kind hat das Recht auf einen individuell angepassten Lernplan und entsprechende Anpassungen des Schulalltags. Quasi ein Recht auf Nachteilsausgleich für alle. In der Praxis ist es allerdings so, dass man selbst mit ner Diagnose sich Fransen an den Mund labern muss, bis minimale Anpassungen (und bitte keine, die die Schule irgendwas an Anstrengung kosten, wo kommen wir da hin!) passieren. Wir hatten gestern mal wieder so eine Fransensession und heute bekam Michel deshalb von der Lehrerin mitgeteilt, dass er öfter seinen Computer benutzen kann, auch wenn der Rest von Hand schreibt. Weil er, wegen ADHS und Problemen mit der Feinmotorik, unverhältnismäßig viel Energie auf das Schreiben mit der Hand an sich verwendet, und dann der Inhalt leidet oder die Handschrift so schlecht wird, dass ich sie kaum entziffern kann. Das brachte Michel auf die Palme, denn er hat ganz richtig erkannt, dass andere in seiner Klasse auch Probleme mit dem Schreiben mit der Hand haben. Warum darf er, aber andere nicht, die davon auch profitieren würden? Weil die Schule das mit dem „Anpassung ist nicht von Diagnosen abhängig“ zwar sagt, aber nicht lebt. Alle sollen Michels Meinung nach so einen Fragenbogen ausfüllen, wie er es gemacht hat, wo es um genau solche Anpassungen geht. Michel hat Sorge, dass andere vielleicht gar nicht sagen, dass ihnen was schwer fällt. Michel hat auch Sorge, dass andere Kinder undiagnostiziertes ADHS etc. haben und genauso Probleme haben wie er – aber nicht die Anpassungen bekommen. Vielleicht weil deren Eltern nicht so ressourcenstark sind wie wir. Nicht alle können ständig ihre Kinder zu Terminen fahren, 30 Minuten pro Weg. Und in der Schule müssen die das doch eigentlich wissen und können aber tun sie offenbar nicht.

Ergo schrieb Michel an den Stortinget, damit die Lehrpersonen besser ausgebildet werden, damit sie dann besser mit Kindern und all ihren bunten Eigenheiten umgehen können und nicht er allein irgendwelche Dinge darf, nur weil er zufällig ne Buchstaben-Diagnose hat.

Er ist ja schon sehr toll. Ich vergesse das manchmal, weil er auch so ganz anders kann. Aber er hat ein großes Herz, ein sehr feines Gerechtigkeitsempfinden, wenig Respekt vor Hierarchien und einen großen Drive, wenn ihn was bewegt. Da sollte man ihm nicht in die Quere bei kommen, sonst wird man einfach nieder gemäht. Ich finde, das sind im Grunde alles gute Eigenschaften. Er ist 11 und tritt mehr für seine Werte ein, als die meisten Erwachsenen.

Tag 3136 – Wenn alles falsch ist.

Also erstmal ein kleiner Nachtrag zum Tabletten kauen: aufgrund eines technischen Problems konnte Kommentatorin Anja ihren Kommentar nicht veröffentlichen. Ich finde aber dass das ein guter Tipp ist:

„Was tatsächlich zu einer schnelleren Wirkung beiträgt, ist sich auf die rechte Seite zu legen. Dann rutscht die Tablette schneller in den Darm. Ist nur leider nicht immer und überall möglich…“

Klar geht das nicht immer. Aber ich liege sonst automatisch auf der linken Seite, wenn ich mich hinlege, vielleicht sollte ich die rechte mal ausprobieren.

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Bei der Arbeit waren heute die zwischenmenschlichen Dinge eher schwierig. Zu Hause auch. Michel wollte in einem Computerprogramm („Blender“) etwas machen, aber OHNE sich irgendwelche Anleitungen oder Tutorials anzugucken und das funktionierte nicht. Die Frustration führte zur unweigerlichen Explosion und dann ist erst mal alles komplett falsch. Helfen ist falsch, nicht helfen ist falsch, nicht helfen können ist total falsch und nach Lösungen googeln ist ebenfalls total falsch. Egal was man macht, die Explosion geht immer weiter, wie eine unerschöpfliche Feuerwerksbatterie, aber ohne bunt und Glitzer, nur mit Chinaböllern aus Tschechien. Das ist wirklich gar nicht mal so schön. Irgendwann, als der Zorn an einer Box Taschentücher ausgelassen und verraucht und die Tränen getrocknet waren, hat er sich entschuldigt, aber in der Situation kommt er selbst überhaupt nicht da raus, wie eine hängen gebliebene Schallplatte, nur in wütend. Ich hab da keine gute Lösung, er auch nicht. Aushalten I guess it is. Ich habe diese Sorte Ausraster ja auch nur noch sehr selten, also so innerhalb der nächsten 25 Jahre wird er das wohl lernen. Galgenhumor hilft.

(Bevor wieder Kommentare kommen: er tut mir in erster Linie total leid, so große und schwierige Emotionen haben und nicht hantieren können ist ja vor allem für ihn schlimm. Aber ich kann leider auch nicht so viel machen. Das war einfacher, als „auf den Arm“ noch gegen alles half.

Und um anderen Kommentaren vorzugreifen: das Wort weirdo benutze ich nicht als Beleidigung, im Gegenteil. Ich möchte das Reclaimen, als Umschreibung für neurodiverse Menschen. Ich bin meistens sehr zufrieden damit, ein weirdo zu sein. Natürlich ist nicht alles daran rosig, so wie Situationen wie die oben beschriebene. Aber so im Großen und Ganzen ist es halt einfach nur anders.)

Tag 3087 – Ausführlicher.

Ein bisschen ausführlicher, wie es uns über die Feiertage so ergangen ist.

Heiligabend. Wir feierten beim Schwiegervater, mit Tante H. und meiner Mutter, die ich abholte, während Schwiegervater und Schwägerin in der Kirche waren. Wegen Augentralala, das man halt mal so hat, wenn man älter wird, kann meine Mutter zur Zeit nicht gut im Dunkeln Auto fahren. Aber wir sind ja mit dem Auto hier, also alles kein Problem, außer Kackwetter und dass ich mich auf dem Weg echt fast verfahren hätte. Außerdem absurd viele Geschwindigkeitsbegrenzungswechsel und Ampeln, überall Ampeln, alle hundert Meter ne Ampel! Liebes Deutschland, ich hab nen Geheimtipp für euch: Fußgängerunterführungen!!! Und Kreisverkehre. Trotzdem war ich noch vor beendeter Kirche mit meiner Mutter wieder bei meinem Schwiegervater und konnte noch Herrn Rabe beim Kochen etwas zur Hand gehen. Es gab Lachs und dazu Kartoffeln und Brokkoli aus dem Ofen, mit eigentlich Aioli, aber auch Sauce Hollandaise für die eher traditionellen Teile der Familie. Das Gute an Sauce Hollandaise ist, dass wir einen Haufen Eier unbekannten (aber vermutlich eher hohen) Alters aus des Schwiegervaters Kühlschrank wegkochen konnten. Alle noch gut, ich habe sie einzeln ausgiebig beschnuppert. Nach dem Essen und großen Portionen Eis zum Nachtisch gab es Bescherung – aber erst noch ein kleines, sehr niedliches Konzert von Pippi und ein Weihnachtsgedicht von meiner Mutter. Beschenkt wurden die Kinder reichlich und die Erwachsenen nicht ganz so reichlich. Herr Rabe und ich haben uns ja schon vor einem Monat den neuen Fernseher geschenkt. Ansonsten gab es Zirkuskarten für alle. Es war alles sehr gemütlich und beschaulich. Kein Singen, ich weiß nicht, warum.

Am 1. Weihnachtsfeiertag gab es erst Mittagessen beim Schwiegervater, in der gleichen Besetzung wie Heiligabend plus Onkel J. samt Frau. Hirschgulasch vom Caterer, gewürzt für „es muss halt jeden Geschmack treffen“, das war ein bisschen schade. Es hätte durchaus noch was dran gekonnt, sowohl Säure als auch Schärfe. Aber man meckert ja nicht übers Weihnachtsessen, also Schwamm drüber. Vollgefressen ging es mit allen in den Zirkus FlicFlac. Wie auch schon vor zwei Jahren war das sehr gut, hat auch den Kindern sehr gefallen und alle gut unterhalten. Ich fand dieses Mal die Diabolo-Artistengruppe am besten, die hatten, zumindest augenscheinlich, selbst sehr großen Spaß an ihrer Nummer. Beim Rausgehen aus dem Zelt kurzer Eklat, weil ich Pippis Popcorn aufgegessen hatte, weil ich dachte, es sei Michels, der das nicht mehr wollte. Wir setzten die Kinder beim Schwiegervater ab und dann brachten Herr Rabe und ich meine Mutter nach Hause und bekamen noch eine Führung durch das zu 80% fertig renovierte Haus. Das nimmt tatsächlich langsam Form an und meine Mutter freut sich sichtlich (und verständlicher Weise, auf einer Baustelle leben ist einfach kacke) auf die restlichen 20%. Ich habe als Lektion für mich mitgenommen: Handwerker erst nach getaner Arbeit bezahlen, sonst hat man hinterher ne Tür, die aussieht, als hätte man sie selbst lackiert. Mit einer Hand hinter den Rücken gebunden. Und der anderen Hand in Gips. Aber die Tür gehört zu den 20%, die noch mal gemacht werden. Bald irgendwann.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag schliefen wir erstmals länger als bis halb neun, jedenfalls war das der Plan, ich war dann um acht wach. Ja, Fraktion Lerche guckt schockiert, für uns, insbesondere mich im Urlaub, ist das früh. Wir ließen es gemütlich angehen und weihten nachmittags die Kinder in das Konzept „Spaßbad“ ein. Das war sehr schön, vor allem weil die Kinder groß genug sind, um allein 285 mal zu rutschen und sich 163 mal durch den Strömungskanal spülen zu lassen. Vielleicht sind wir auch total gleichgültige Eltern, die meisten Kinder im Alter von unseren waren in ständiger Armreichweite eines Erwachsenen. Ich rede uns damit raus, dass das in Norwegen deutlich normaler ist, die Kinder einfach ölen zu lassen. Schwimmen können sie beide, es ist kein offenes Meer oder ein menschenleerer Tümpel im Wald, und ich muss nicht 285 mal rutschen (und im Treppenhaus anstehen, wo es furchtbar hallt und viele aufgeregte Kinder sich nicht grad in Zimmerlautstärke unterhalten, garniert mit gelegentlichen Quietschern und Jauchzern ohne Vorwarnung aus dem Schalltrichter der Rutsche). Die Kinder hatten (beide) die beste Zeit ever und waren eigentlich nur mit Gewalt nach den 4 Stunden Badezeit aus dem Schwimmbad zu entfernen.

Das waren die letzten drei Tage. Heute waren wir erst mit Pippi auf dem Weihnachtsmarkt (Michel muffelte herum weil er seinen Manga lesen wollte und blieb schlussendlich ganz zu Hause) und aßen lauter leckeren, ungesunden und frittierten Quatsch. Danach fuhren wir alle zu meiner Tante und verbrachten den Rest des Tages da, das war sehr schön, sehr entspannt, und sogar meine „kleine“ Cousine war da. Die war neulich noch so! Jetzt ist sie bald mit der Berufsschule fertig! Verrückt. Herr Rabe nerdete ein bisschen mit meinem Onkel über Bässe ab und spielte ein bisschen mit seinen neuen in-ears herum. Michel bekam irgendwann einen Laberflash, als er sein Buch ausgelesen hatte. Da ist er ja sehr niedlich, aber auch ein bisschen anstrengend in seinem Engagement. Aber es war ein wirklich schöner Nachmittag und Abend. Hachz.

Tag 3077 – Weihnachtlich.

Am ersten Tag mit Tauwetter seit ewig machten Michel und ich uns heute auf den Weg in die Hauptstadt, um das Weihnachtskonzert meines Lieblingskollegens anzugucken. Der spielt in einer Janitsjar, also sowas wie einem Korps, und zwar seit… mehreren Jahrzehnten in der selben Janitsjar. Die sind schon recht gut, aber noch nicht so unerreichbar gut wie die Garde zum Beispiel und außerdem mag ich den Lieblingskollegen. Der macht zwar aus seinem Privatleben immer ein großes Geheimnis, aber ich habe mich mal wieder aufgedrängt und der Lieblingskollege hat sich auch aufrichtig gefreut. Michel habe ich mitgeschleppt, damit der mal aus dem Haus kommt und weil er im Frühjahr auch schon mal mit war und das ganz gut fand. Das Konzert war dann auch wirklich gut, eine schöne Mischung aus traditionellen und moderneren Weihnachtsstücken und als Bonus ein recht abgefahrenes Saxophon-Quartett, das nichts mit Weihnachten zu tun hatte. Michel fand es auch gut und möchte beim nächsten Mal wieder mit kommen (dabei waren wir dieses Mal nicht mal hinterher Sushi essen).

Anekdote: vorher waren wir noch schnell ein Buch zurück geben, das ich versehentlich doppelt gekauft habe, und selbstverständlich ist es an einem Samstag eine Woche vor Weihnachten in Oslo unerträglich voll. Michel hatte zwar sein Auge auf Paradiesäpfel geworfen, die da wohl auf dem Weihnachtsmarkt verkauft wurden, und wir standen auch vor dem Eingang zum Weihnachtsmarkt (der ist da abgegrenzt und umzäunt, wahrscheinlich damit die besoffenen Büroangestellten sich post Weihnachtsfeier nicht zwischen den Buden verlaufen). Da fragte ich Michel aber, ob es total schlimm wäre, wenn wir das mit dem Paradiesapfel sein ließen, und er sagte, nein, gar nicht schlimm und da auch viel zu viele Leute. Es gab dann lieber ein HotDog vom Kiosk an der Bahnhaltestelle. Später beschwerte sich Michel noch darüber, dass alles komisch riecht und alles durcheinander riecht „Essen, Parfüm, Kamin, und die Bahn riecht nach nassem Dreck, das ist zusammen total eklig!“ und ich konnte dem nur beipflichten. Ich möchte noch „nasse Wollkleidung“ und „Füße die den ganzen Tag in dicken Stiefeln stecken“ auf der Gruselgeruchsliste hinzufügen. Im Winter riechen Leute einfach nicht gut.

Abends rätselten Herr Rabe und ich am gemeinsamen Adventskalender weiter, bis es sehr spät war und mein Kopf auch nicht mehr ganz dabei war.

Tag 3069 – Uff.

Es war ein gar nicht mal so schöner Tag, das zu erzählen würde aber ein bisschen viel aus Michels Privatsphäre breittreten, also lasse ich das.

Abends war ich mit Pippi alleine, weil Michel bei seinem Kumpel übernachtet und Herr Rabe bei der Weihnachtsfeier seiner Firma war (den habe ich eben vom Bahnhof abgeholt). Wir machten Mutter-Tochter-Abend mit Sushi essen und danach einen Film gucken. Pippi hatte einen Weihnachtsfilm ausgesucht, eine Komödie auf Netflix, die harmlos unterhaltsam war. Pippi macht trotzdem bei jedem Bussi Kotzgeräusche. Was ich an dem Film irgendwie blöd fand: alle kriegen am Ende doch noch wieder Erwarten ihre individuellen Träume erfüllt, nur der nerdige Sohn, der so gern nach Yale will, nicht. Der kriegt zwar nen „Kuss“ (Bussi auf die Lippen) von dem Mädchen, was er gut findet, aber nach Yale kommt er nicht. Sowas ärgert mich. Was ist falsch an nerdig sein und nach Yale wollen und warum ist ein Bussi wichtiger? Die Botschaft ist irgendwie „er muss erst reifen/leben/Spaß haben“ aber ich kaufe die nicht. Hollywood, ey.

Der Abend war aber sehr schön mit der kleinen Rübennase. Die habe ich dann nur noch ins Bett verfrachtet und es gab nur kurz Protest und dann noch kurz Gehampel im Bett und dann wurde auch schon geschnorchelt.

Tag 3064 – Hausaufgaben.

Ich erinnere mich noch sehr genau an einen Muttertag, als ich so etwa 9 oder vielleicht grad 10 war. Wir hatten in der Schule Gutscheinhefte gebastelt und einer davon war, am Muttertag selbst morgens Milchbrötchen zu backen. From scratch. Und ich war halt 9 oder vielleicht grad so 10. Komischer Weise freute sich meine Mutter gar nicht, sondern war ziemlich unverhohlen angepisst von diesem Pseudogeschenk, das im Grunde bedeutete, dass sie Brötchen backte (und meine Mutter backt generell nicht freiwillig), am Muttertag, und das toll finden sollte. Ich erinnere mich so genau daran, weil ich das Geschenk ja gar nicht so gemeint hatte, das sollte lieb sein, in der Schule hatten sie gesagt, die Mutti freut sich sicher ganz doll! Generelle Enttäuschung darüber, dass sich Menschen nicht nach Vorschrift verhalten, gemischt mit dem Gefühl, Geschenkemäßig voll ins Klo gegriffen zu haben. Überhaupt verfolgen mich die Geschenke, die ich über die Jahre und besonders als Kind und Jugendliche an Menschen gemacht habe, die ich eigentlich wirklich sehr mag, vermutlich bis ins Grab, aber das ist eine andere Geschichte. Ich erzähle das auch nur, weil wir hier heute eine ähnliche Situation hatten, minus Muttertag, plus Hausaufgabe. Unser liebreizendes Erstgeborenes sollte als Hausaufgabe (gegeben über 2 Wochen, weil wir mit „nicht alle Kinder können sich das sinnvoll einteilen und manche Kinder können das auch nicht so schnell lernen wie andere, es gibt Werkzeuge für sowas, warum werden die nicht mit vermittelt???“ leider auf taube Ohren stoßen) nämlich ein zwei-Gänge-Menü für die Familie kochen, die Rezepte aufschreiben und den Kochprozess dokumentieren.

Also sollten wir Eltern als Hausaufgabe dies im Essensplan berücksichtigen, dafür einkaufen, Vorschläge machen, was man kochen könnte, das Kind dazu anhalten, dann auch langsam mal in die Gänge zu kommen, dem Kind die deutschen Rezepte übersetzen und den ganzen Prozess, von Übersetzen und Korrigieren von absurd vielen Rechtschreibfehlern bis zum Servieren geduldig begleiten. Zwischendurch immer mal wieder an die Fotos erinnern.

Nun ja. Ich habe das gemacht, vielleicht geduldig. Michel hat seine Hausaufgabe abgeschickt und auch recht routiniert gekocht, wesentlich routinierter als geschrieben jedenfalls. Wie beim Lieblingskollegen kann man den Stresslevel hören, wenn er tippt. Es ergaben sich interessante Gespräche, wie wie Herr Rabe und ich denn solche Hausaufgaben gemacht hätten, woraufhin er total geschockt war, dass wir in seinem Alter keine Laptops, nicht mal e-mail-Adressen hatten. Und dass die Computermonitore riesig waren, nicht in der Bildschirmdiagonale, sondern in der Tiefe. Das war in seiner Vorstellung kurz nach der Steinzeit, glaube ich. Vielleicht sitzen wir in seiner Vorstellung jetzt mit Lendenschurz am Lagerfeuer, jeder mit einem monströsen Röhrenmonitor auf dem Schoß.

Ich weiß jetzt über Michel, dass er rohen Lachs nur mit Handschuhen anfasst, weil er damit ein sensorisches Problem hat. Und dass die Schule nur stumpfe Messer und Pfannen, in denen alles anbrennt, hat. Nichts davon wundert mich. Auch nicht, dass er die Nudeln mit Lachssauce zwar (wesentlich mit-)gekocht hat, aber nicht gegessen. Immerhin den Nachtisch – eine Miniportion Kaiserschmarren ohne Rosinen – fand er lecker. Eier trennen war aber auch nicht so seins, wegen Glibber. Ist ok, ich hab damit kein Problem, ich kann alles anfassen, solange ich weiß, ich kann mir hinterher die Hände waschen, dann bin ich halt die, die das ins Eiweiß geplumpste Eigelb da wieder raus fischt.

Mein Fazit: ein ironisches Danke an die Schule, die dann jetzt, wenn sie will, auch bewerten kann, welche Eltern billig kaufen und welche bio, wer ne gut ausgestattete Küche hat und wer das Eiweiß per Hand schlagen muss. So inklusiv, much wow. Und so schön, dass die Kinder für uns kochen und wir „nichts“ machen müssen.

Ich hoffe, Michel hat sich wenigstens meine Power-Point-Tricks gemerkt. Und die einfache Regel dass fast alle zusammengesetzten Wörter, im Norwegischen genauso wie im Deutschen, zusammengeschrieben werden. Und! „Für rohen Fisch nehmen wir die Plastikbrettchen, weil die in die Spülmaschine können. Das Messer wird sofort gespült.“ Dann habe ich heute viel erreicht. Wenn auch unfreiwillig.

Tag 3062 – Ein bisschen was von allem.

– Es stimmt gar nicht, dass gestern nichts passiert ist. Mir ist eine Dose Tomatenmark beim Öffnen quasi explodiert und es war überall Tomatenmark, auch auf mir, in meinen Haaren, im Gesicht und auf meinen Klamotten. Die habe ich deshalb sofort gewaschen, also wirklich SOFORT und eigentlich hab ich auch fast sofort danach das Case meiner AirPods vermisst. Es ist mir sogar sofort eingefallen, dass es eventuell in der Hosentasche war. Unsere Waschmaschine lässt sich auch am Anfang des Waschprogrammes ohne große Verzögerung anhalten und öffnen, um noch eine Socke hinterherzuwerfen oder ein Airpodcase aus einer Hosentasche zu fummeln. Nass war es aber trotzdem bereits. Aber! Eine Nacht in Reis hat das gerichtet. Alles geht noch. Uff.

– die Kinder hatten heute Weihnachtskonzert mit dem Korps. Das war auch schon mal wesentlich schlimmer, aber es gab wieder die obligatorische Ohrenfressende Version von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, mit verwirrtem Trommler (nicht Pippi) und unfreiwilligen Polyrhythmen und random Tröts in Pausen hinein generell. Wir haben alle brav gesungen und die Kinder haben bestimmt gut gespielt. Gehört hat man nur Pippi, die hat nämlich Glockenspiel gespielt und das übertönt ein komplettes Korps. Hat sie aber gut gemacht. Weitere Beobachtung: Ich glaube, Tuba wirklich sauber zu spielen, ist schwierig. Aber ich höre auch besser als viele, mich kann man nicht als Maßstab nehmen. Tuuut.

– wir hatten ein weiteres Gespräch mit der Lehrerin von Michel. Das war ok. Ich habe allerdings das dumpfe Gefühl, dass es nur ok war, weil sich Michel diese Woche viel Mühe gegeben hat, die Klappe zu halten, und er letzte Woche ja die ganze Woche krank war (er hatte noch einige Tage lang ein warmes eines Ohr, das wahrscheinlich aber nur ein leicht entzündetes Ohr war, das keine Beschwerden machte. Da ist ein Fieberthermometer mit dem man im Ohr misst, natürlich irgendwie ungünstig). Wir werden sehen, wie sich das mit Michel und der Lehrerin weiter entwickelt. Aus Gründen will ich ihn weder aus der Klasse noch von der Schule nehmen, solange es noch halbwegs ok läuft. (Die einzige Alternative Schule wäre auch eine Waldorfschule und HELL NO, nur über meine Leiche.) Und vielleicht finden sie ja einen vernünftigen Ton miteinander.

– es ist arschkalt hier. Ich möchte das nicht, das ist zu kalt, wenn man kaum noch vor die Tür gehen kann, weil einem dann der Schnodder in der Nase gefriert. Was es aber gibt, wenn es sehr kalt ist und die Sonne stürmt, sind Polarlichter. Sogar bei uns hier im Süden gab es welche. Angeblich, ich hab keine gesehen, obwohl ich mir tapfer bei sternenklarem Himmel den Hintern abgefroren habe. meh.

Tag 3060 und 3061 – Winter im Homeoffice.

Hier passiert literally gar nichts. Ich pröddele im Homeoffice vor mich hin, Herr Rabe war jetzt nach langer Zeit mal wieder im Büro (er war erst krank und dann noch länger wegen dichter Nebenhöhlen nicht fit und es geht ja, wenn’s sein muss monatelang, haben wir ja alle gelernt. Man muss gar nicht alle im Büro anhusten). Das spannendste was heute passiert ist, war, dass ich mit Michel beim Kieferorthopäden war, der die Zahnspange noch mal drei Stufen weiter gedreht hat, aber damit ist dann jetzt auch gut, kein Weiterdrehen mehr. Soweit ich weiß, werden als nächstes die Klötze, die den Unterkiefer nach vorne ziehen, nach und nach runter geschliffen. Wann das ist, müssen wir gucken, schätze ich. Der enorme Überbiss ist aber schon fast halbiert allein durch den geweiteten Oberkiefer. Nächster Termin in sechs Wochen.

Tag 3044 – Sticheln.

Michel ärgert seine Lehrerin weiterhin. Die geht damit nicht sooo toll um und reagiert nicht soooo super erwachsen, und dann eskaliert es halt wieder. Michel erzählt mir das wenigstens relativ entspannt, was ich schamlos als Beleg unserer herausragenden Elternfähigkeiten deute. Ich sage ihm dann schon auch, dass ich nicht gut finde, dass er die Lehrerin bewusst auf die Palme bringt, und dass das dann eben bei ihr Reaktionen hervorruft, die er ja so langsam auch abschätzen können müsste, die Muster sind ja immer gleich. Zur Sicherheit gehe ich die vorhersehbaren möglichen Reaktionen dann noch mal für ihn durch. Aber wir bestrafen ihn da nicht, das finden ich und Herr Rabe nicht zielführend. Konsequenzen sind noch mal was anderes, aber wir können ja keine logischen Konsequenzen für Dinge, die in der Schule passieren, durchsetzen. Aber Mittwoch in das Elterngespräch mit der Lehrerin möchte ich schon gerne einen Boxsack oder so mitnehmen, für alle Beteiligten. Ich glaube nämlich auch, dass die Lehrerin das mit Konsequenzen und Strafen komplett anders sieht.

Tag 3040 – Sorgen, große und kleine.

Oder bei Großen und Kleinen. Michel rasselt immer wieder mit seiner neuen Lehrerin aneinander. Ich bin heute mit einer Ärztin aneinander gerasselt. Es führt bei uns beiden zu ähnlichen Reaktionen: erst Wut, dann Tränen und zum Schluss einem Hyperfokus darauf, der Gegenseite zu beweisen, dass man Recht hat.

Michel macht das schon echt gut und kann, wenn Wut und Tränen einigermaßen unter Kontrolle gebracht sind, sehr gut ausdrücken, was ihn stört und warum. Und was er mir heute erzählt hat – ja gut. Das würde mich auch sehr irritieren. Das habe ich in der Deutlichkeit nicht zu Michel gesagt, sondern erst mal nur seine Wahrnehmung und seine Gefühle validiert und ihm erklärt, dass auch Erwachsene, selbst wenn sie „auf eine Schule gegangen sind, wo man lernt, Lehrer zu sein“, wie er es ausdrückte, manche Dinge noch lernen müssen und man ihr die Chance schon auch geben muss. Das beinhaltet natürlich aber auch, dass man auf einer sachlichen Ebene kommuniziert, was zu Konflikten geführt hat. Ich hoffe, Michel kriegt das auch hin (und zündet nicht einfach alles an). Und dann hoffe ich noch mehr, dass die Lehrerin vernünftig und wie eine erwachsene Person reagiert.

Von der Ärztin erwarte ich beim nächsten mal einfach Quellenkritik, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch mal zu der hingehe, ist aus meiner Sicht grad eher gering. Es ist sehr schön, erwachsen zu sein. Da kann man sich zumindest bei bestimmten Personen aussuchen, ob man mit ihnen Kontakt haben will oder nicht. Recht habe ich trotzdem, im Gegensatz zu ihr verlasse ich mich nämlich nicht auf bunte Broschüren sondern lese Beipackzettel SPCs (die ausführliche Version des Beipackzettels für Gesundheitspersonal und speziell Interessierte).

Als Erwachsene kann man sich außerdem nach dem Tanzen selbst und ohne fragen müssen ein Eis kaufen, dem Geigenlehrer sagen, dass man Bach grad sehr scheiße findet und der Ballettlehrerin, dass Kostüme, die den Po nur unzureichend bedecken, nicht in die Tüte kommen. Es ist ja wirklich auch nicht alles schlecht.