Aus verschiedenen Richtungen über das Impfen nachgedacht. Nicht generell, sondern das gegen Corona. In Drammen war es eine kurze Zeit möglich, die verschickten Log-In-Codes zur Anmeldung zum Impfen mehrmals zu nutzen, also zum Beispiel an jemanden weiterzuleiten, die*er eigentlich noch lange nicht an der Reihe ist. Ist es verwerflich, so eine technische Lücke auszunutzen? Ja. Würde ich es machen? Nein, aber nur aus der Panik raus, erwischt zu werden. Und schlecht fühlen würde ich mich auch, denn die Leute, die jetzt dran sind, sind das aus gutem Grund und ich bin aus genauso gutem Grund noch nicht dran.
Wenn ich jetzt ne Chance hätte, sagen wir mal über meinen Arbeitgeber (habe ich nicht, nur dass das klar ist, an Berufsgruppen sind hier nur Mitarbeitende im Gesundheitssystem priorisiert), doch schon jetzt oder wenigstens bald eine Impfung zu bekommen, wäre das verwerflich? Njaeee. Hmm. Käme drauf an? Eine Person, die Patientenkontakt hat, klar, die sollte geimpft werden. Andererseits – bei den Zahlen wie sie in Oslo sind, sind doch alle Menschen, die beruflich viel Kontakt zu anderen Menschen haben, ob nun die Verkäuferin im Supermarkt oder die Krankenschwester in, sagen wir mal, der orthopädischen Chirurgie (um was zu nennen, das kein erhöhtes Covid-19-Risiko mit sich bringt) etwa dem gleichen Risiko ausgesetzt. Von Lehrpersonen in vollen Klassen (hier: ohne Masken und ohne Tests) mal ganz zu schweigen. Würde ich also als Krankenschwester in der orthopädischen Chirurgie versuchen, eine Impfung zu ergattern, oder würde ich aus Solidarität mit meinen Verkäuferinnensistas und Lehrerbros drauf verzichten, bis ich altersmäßig dran bin? Weiß ich ehrlich gesagt nicht.
Und wie sieht es mit der Krankenhausverwaltung im Homeoffice aus? Den Mitarbeitenden in Forschungslaboren? Würde ich, wäre ich noch Doktorandin, mich so schnell wie möglich impfen lassen, bloß weil ich formell gesehen im Krankenhaus arbeitete (zur Erinnerung: ich habe nie eine*n Patient*In auch nur von Weitem gesehen, selbst die RNA aus Mäuseorganen kam schon fertig extrahiert)? Ich weiß auch das nicht.
Ich allein mache doch keinen Unterschied, würde ich vermutlich denken. Auch 10 Leute in Drammen mit weitergeschickten Codes machen keinen wesentlichen Unterschied, für die Menschen aus der Gruppe, die zur Zeit dran ist, bedeutet das allerhöchstens einen Tag später geimpft zu werden. Für mich wären es drei Monate. Drei Monate sind viel wert, nach 13 Monaten Zwangshomealles.
Vielleicht wäre ich zu feige, wenn es um echtes Vordrängeln ginge. Aber wenn mein Arbeitgeber nun käme und sagte: wir haben einen Weg gefunden, euch alle als Mitarbeitende im Gesundheitssystem zu definieren, nächste Woche gibt’s Impfung für alle, Alter egal… würde ich dann aufstehen und sagen, Leute, ich bin 36 und gesund und dingens und ich bleibe liebend gerne noch drei Monate zu Hause, während meine Kinder täglich das Haus verlassen (müssen) und Urlaub in Deutschland machen wir dann eben 2022 wieder, gebt meine Impfung lieber jemandem, dem es aller Wahrscheinlichkeit mit Covid19 schlimmer erginge als mir…? Ich bin nicht sicher. Vermutlich nicht. Was sind 330 Menschen schon gegen 3,8 Millionen zu Impfende.
Nun wird das aber ja wahrscheinlich nicht passieren, dass mein Arbeitgeber mit sowas kommt (im Gegensatz zu den Spuckschützen im Büro wären Impfungen ja immerhin tatsächlich zum Infektionsschutz geeignet). Dafür sieht es so aus, als sei meine ganz persönliche Chance, die wirklich letze geimpfte Person in Norwegen zu werden (abgesehen von Menschen, die aus irgendwelchen Gründen zur Zeit nicht, aber irgendwann später, geimpft werden können) gar nicht mal so klein. Denn nun denkt man offen darüber nach, was ich schon länger vermute: wenn alle über 45 geimpft sind, mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiterzumachen, statt weiter wie bisher sich altersmäßig von oben nach unten durchzuackern. Mein Tipp ist, dass sie an beiden Enden gleichzeitig anfangen, mit Übergewicht bei den jüngeren. Denn da findet viel Ansteckung statt. Was ja richtig ist. Bei uns homeofficenden, Teil-homeschoolenden, quarantänebingospielenden Mittdreißiger-Eltern findet nicht so viel Ansteckung statt, wie denn auch, dafür müssten wir ja in signifikantem Maß andere Menschen treffen. Manche von uns werden über die Kinder angesteckt, Tjanun, aber da stoppt es dann ja, weil wir ja brav seit einem Jahr unser komplettes Leben auf Pause gestellt haben. Bis auf den Teil mit den Kindern, da herrscht Bandsalat. Aus epidemiologischer Sicht ist es deshalb ganz logisch, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor uns zu impfen.
Aber herrje, wie scheiße ich das ganz persönlich finde. Wir irrational lang mir die vier Wochen, die das laut aktuellem Plan ausmachen könnte, grade vorkommen. Wie unfair ich es finde, dass höchstwahrscheinlich Menschen, die diesen ganzen Beinausriss, der es ist, mit kleinen Kindern im Boot durch die Pandemie zu schippern, gar nicht nachvollziehen können, wieder in Cafés sitzen, während es für uns wochen-, vielleicht monatelang weiter nur To-go gibt, dass Jugendliche Partys feiern dürfen, dass wirklich jede*r wieder ins Ausland reisen darf AUSSER UNS, das kann ich gar nicht richtig ausdrücken. Sehr unfair. (Man könnte jetzt sagen, ach, dann muss die Oma und der Opa halt in den Sommerferien hier her kommen, aber das wird wohl aus Gründen nicht passieren, und zum Beispiel Freunde in Deutschland besuchen wird ja auch nix, die sind ja, wie wir, jung und gesund und bis dahin ungeimpft.)
Geduld ist nicht meine starke Seite und bis Mitte Juli geduldig bleiben ohne jemandem aus Impfneid im Restaurant das Gesicht in den Pastateller zu drücken oder die erstbeste Gelegenheit zum Vordrängeln in der Impfreihenfolge schamlos auszunutzen, wird hart. Richtig knüppelhart.
Die nächste Pandemie bitte erst, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Danke.