Tag 31

Es heißt ja, man wächst mit seinen Aufgaben.

Früher konnte ich zum Beispiel kein Blut sehen. Ich ekelte mich extrem vor Erbrochenem und hatte panische Angst vor Spinnen aller Art.

Heute klebe ich geduldig Pflaster auf Kinne und Wangen (nachdem ich den Schnodder entfernt habe natürlich) und sehe nach ob all das Blut im Mund nicht doch von einem ausgeschlagenen Zahn herrührt. Ich beziehe vollgekotzte Betten, Kinder und mich neu und tröste zeitgleich das schockierte Kind. Und wenn das Kind angerannt kommt und freudestrahlend ruft „Mama, komm, Spinne!“ schaffe ich es immerhin ein Glas über die halbtote Hausspinne zu stülpen, damit „der Papa die gleich rausbringen kann“.

Tag 21 – Muttisport

Ich habe mich zu einer Probewoche im Frauen-Fitnessstudio angemeldet. Die hat heute begonnen. Das Fitnessstudio wirbt mit so Sätzen wie „Wickeln, Füttern und Beschmusen der Kinder ist bei uns nicht nur möglich sondern ganz normal!“, das Logo ist pink und der Laden heißt „Femme“. In mir übergibt sich alles aber hier gibt es keine Rückbildungsgymnastik, was will Frau also machen.

Genauso wie zuckersüße Werbeaussagen von pinken Frauenfitness-Anbietern hasse ich übrigens das Wort „After-Baby-Body“. Also bevor jetzt irgendwer meint, mir ginge es nur darum, wieder irgendwie auszusehen, nein, so ist es ganz sicher nicht. Ich seh ganz ok aus, finde ich, klar bin Ich nicht 20 und überall wahlweise straff oder prall, aber mein Körper hat zwei Kinder gemacht, zwischendurch noch eine klitzekleine Hyperthyreose überstanden und so wie er jetzt ist gefällt er mir besser als zuvor. Doch halt! Das ist nur die halbe Wahrheit. Denn so ein After-Baby-Body hat einfach mal ganz schön was mitgemacht. Der Beckenboden ist labberig, die Haltung dadurch scheiße. Die Bauchmuskeln können sich über ein sie trennendes Tal Begrüßungen zujodeln, statt sich wie sonst die Hand zu reichen. Macht die Haltung nicht besser. Die Brüste sind, ähhhh, gigantisch. Man schleppt dauernd ein Baby herum. Schläft ohne sich zu bewegen, um ja nicht das Baby zu zermatschen. Und an richtigen Sport (was auch immer das für die Einzelne sein mag) ist schon Wochen vor der Geburt nicht zu denken gewesen. Ergebnis von all dem bei mir sind Rückenschmerzen from hell. Dadurch dann auch wieder Kopfschmerzen. Und den Menschen in meiner Umgebung immer weniger zumutbare Laune. Deshalb der Muttisportkurs. Ich könnte auch zu Hause alleine und so aber dafür bin ich zu faul. Ein Ansporn wie „das hat tausend Millionen Euro gekostet, jetzt muss ich da auch hin!“ hilft da enorm.

Jedenfalls versuchte ich heute meinen Zynismus zu Hause zu lassen und ging zu einer Stunde „Mutter und Mini: Kraft“. In dem Raum fand noch die vorhergehende Stunde statt. Mütter robbten im Army-Style über den Boden, neben ihnen ihre Kinder auf Fitnessmatten. Es beruhigte mich etwas, dass man offensichtlich keine Sportschuhe brauchte, weil ich sowas seit der Schule nicht mehr besitze. (Ich könnt meine Spitzenschuhe dafür anziehen. Sind ja auch Sportschuhe…) Es lief gehirnfressende Fitnessmusik. Dem Baby fiel prompt ein, dass es am Verhungern war. Und mich empfing eine ca. 24-Jährige mit den Worten „Hallo, ich bin Pippi, hat schon jemand deine Bauchmuskeln untersucht?“ Ich sach mal so: es hätte geiler sein können. Dann kam noch eine Arbeitskollegin von mir herein, von der ich weiß, dass sie, wenn sie nicht grad ein Kind geboren hat, Marathon läuft. Alle hatten Funktionskleidung in verschiedenen Pinktönen an. (Das ist so ein Norweger-Ding. Die haben immer Funktionskleidung an. Manche gehen damit arbeiten. Auf mich wirkt das immer als würden sie sagen wollen „Sonst mach ich ja richtigen Sport.“.) Ich persönlich finde Mikrofaser auf der Haut eklig und es riecht auch meiner Meinung nach schlimm, wenn man drin schwitzt. Aber mit meinem hellblauen Baumwollshirt fiel ich schon etwas aus dem Rahmen, optisch gesehen.

Nun ja, der Kurs war ganz ok, bis zu dem Punkt wo wir uns im Kreis aufstellen mussten und zu der Melodie von „Blue“ jeder den Namen seines Kindes singen sollte und dazu eine Bewegung machen die dann alle nachmachen sollten. Also so: „Æ e Pippi“ *macht Kniebeugen* und dann alle: „Dabedidabedei, dabediiidabeidei, dabediiidabeidei“ *machen Kniebeugen*. In solchen Momenten suche ich immer die versteckte Kamera, weil das völlig absurd ist, dass ich in einem Kreis mit zwanzig pinken Damen stehe, mein Baby wie eine Hantel herumwuppe und ein Lied singe, dass ich vor 16 Jahren mal echt gut fand.

Danach waren aber wenigstens die Rückenschmerzen für drei Minuten weg.

Ich glaub, nächste Woche geh ich wieder hin.

Tag 14 – Das schlechte Gewissen

Ich liege im Bett, neben mir das friedlich schlafende Baby. Es ist gleich halb elf, morgens, ich sehe einem faulen Tag entgegen. Gegen drei werde ich das Kind vom Kindergarten abholen. Bis dahin habe ich nur das Baby und es ist großartig.
Überhaupt ist dieses kleine, grade mal einen Monat alte Wesen so unfassbar toll. Alles am Baby ist toll oder allermindestens tolerierbar. Dabei ist das Baby viel anstrengender als das Kind in dem Alter war. Das Baby schreit viel mehr, viel lauter, viel unvermittelter und viel untröstlicher. Es will total unregelmäßig stillen, mal alle anderthalb Stunden, mal schläft es nachts vier Stunden am Stück und ich liege mit schmerzenden Brüsten wach. Die Haare gehen ihm aus, die Klamotten werden zu klein, die Speckringe viele und meine Rückenmuskulatur hält mit seiner Gewichtsentwicklung nicht Schritt. Und alles was ich denke ist „Aaaaawwww!“ und „So what?“.

Und da ist es, das schlechte Gewissen. Weil das beim Kind nämlich nicht so war.

Man muss dazu sagen, wir hatten einen ungünstigen Start. Das Kind wollte sich am Ende der Schwangerschaft partout nicht ins Becken senken, alle Befunde meiner körperlichen Verfassung beim Frauenarzt lauteten auf „nicht geburtsbereit“. Der errechnete Geburtstermin verstrich, ich fühlte mich riesig und war genervt und der Frauenarzt „drohte“ mit Einleitung und ich hatte Angst. Vor allem. Vor der Geburt, davor dass die Geburt nicht von selber in Gang kommen würde. Vorm Muttersein. Dann platze die Fruchtblase im Bett, das Fruchtwasser war grün und eklig und viel und saute alles ein. Das Kind hatte ins Fruchtwasser gekackt. Ich musste den Krankenwagen rufen, um liegend ins Krankenhaus transportiert zu werden. Als ich echte Wehen bekam, überrollte mich der Schmerz so dermaßen, dass ich nicht mehr aufrecht stehen konnte und nur noch weinte. Ich hatte das Gefühl, dieses Kind arbeite irgendwie gegen mich, erst wollte es einfach nicht raus und dann doch so schnell und so plötzlich. Einige wenige aber interventionsreiche Stunden später wurde das Kind dann mit der Saugglocke aus meinem Körper gezogen, da ich keine Ahnung hatte was ich machen sollte, irgendwie machte ich alles falsch und spüren konnte ich auch nichts mehr. Dann war es endlich da, unser Baby, und ich wartete auf das extreme Glücksgefühl, das da angeblich kommen sollte. Ich starrte das kleine Baby, was da aus meinem Körper gekommen war, ungläubig an, und alles was ich dachte war „Krass!“ und „Ach du Scheiße.“

Die ersten Wochen waren hormonrauschbedingt noch ganz ok, aber dann wurde mir extrem langweilig. Das Kind fanden alle süß, ich fand das auch, aber es war als wäre ich bei mir selbst zu Besuch und würde ein fremdes Kind angucken. Ich ging zu Stilltreffs und zum Babyschwimmen und zur Babymassage, in der Hoffnung andere Mütter zu treffen, denen es vielleicht genauso ging, die musste es doch geben. So unnormal konnte das doch nicht sein, nicht totaaaaaal glücklich herumzuschweben. Leider waren, genau wie auch schon im Geburtsvorbereitungskurs und in der Rückbildungsgymnastik, 90 % der anderen Mütter doof, oder hatten komplett andere Lebensentwürfe, oder gaben mir noch mehr das Gefühl als Mutter spektakulär zu versagen, weil ich so viel negatives an dem Leben mit Kind sah. Ich meine, hey, das Kind hatte mein Leben komplett umgekrempelt. Aber ich weigerte mich standhaft, „so eine Mutter“ zu werden.

Heute denke ich, das war das Hauptproblem. Ich konnte und wollte mich nicht auf das Kind einlassen, weil das geheißen hätte, eine „Mutter“ zu sein. Und das wollte ich nicht. Auf gar keinen Fall. Ich kann und konnte nicht mal benennen, was denn so schrecklich daran wäre, „so eine Mutter“ zu sein. Ich wollte es jedenfalls nicht. Ich wollte so bleiben wie ich war und dass das zum Scheitern verurteilt war habe ich schlicht ignoriert. Nein, Babys kann man nicht zum Feiern mitnehmen. Auch nicht auf private Feiern. Nicht, wenn die Freunde keine Kinder haben. Nein, das Kind kann nicht in dem einen Raum in dem nur die Jacken von allen liegen schlafen, während im Raum nebenan eine gemietete Anlage volle Möhre dröhnt. Es. Geht. Nicht. Ich weiß das, denn ich habe es versucht. Danach klopfte ich mir selber auf die Schulter, was ich für eine coole Mutti bin. Und fand mich insgeheim echt scheiße. Dieses Zerrissensein zwischen meinen eigenen Erwartungen an mich als Mutter und an mich als Frau/Mensch/Freundin prägten die erste Zeit mit dem Kind für mich.

Im Endeffekt brauchte es mehr als ein Jahr Muttersein und einen Umzug 1600 km weg von meinem alten Leben, das ich so ungern loslassen wollte, um als Mutter anzukommen. Und weitere eineinhalb Jahre, um darüber nachzudenken, warum ich mich so dagegen gesträubt habe, wo es doch so toll ist, eine Mama zu sein. Das Leben ist ja nicht vorbei, das weiß ich jetzt, es ist nur anders. Nämlich unendlich bereichert durch diesen kleinen Zwerg, der einem wirres Zeug aus dem Kindergarten erzählt, der „Pitsch-Patsch-Pinguin“ zum Einschlafen hören will, der wild herumtobt, sich dann einen mikroskopisch kleinen Kratzer holt und unter theatralischem Geheul ein Pflaster einfordert. Der nachts zu uns ins Bett getappst kommt und schon wieder schläft, bevor er überhaupt richtig liegt. Der wenn er krank ist immer noch auf mir drauf schlafen will, obendrauf auf dem riesigen 10. Monats-Bauch. Der keine Küsse will. Der stark genug ist zu sagen, dass er keine Küsse will, auch nicht von Mama.

Im Nachhinein tut es mir sehr leid dass ich mich anfangs nicht auf das Kind einlassen konnte. Dass das Baby jetzt die Früchte erntet, die das Kind erst sähen musste. Dass das Baby von Anfang an eine Vollblutmama hat.

Aber ändern kann man das ja jetzt auch nicht mehr. Jetzt kann ich nur noch so oft wie möglich sagen: Ich hab dich lieb. Du bist mein großer Schatz.

Tag 3 – Eine Entschuldigung

Wenn man ein kleines Baby hat, wird man ja irgendwie scheiße. Also wir jedenfalls. Das war schon bei dem Kind so, und jetzt beim Baby ist es nicht anders. Einige Beispiele:

  • Wir haben ganz tolle Sachen zur Geburt geschenkt bekommen. Und uns nicht bedankt. Also jedenfalls nicht in der Form, die die Sachen verdient hätten.
  • Wir haben keine einzige „Herzlichen Glückwunsch“-Nachricht beantwortet.
  • Die Urgroßeltern haben schon vor einer Woche neue Fotos angefragt. Ja, äh, wir arbeiten dran…

Aber den Knüller haben wir uns jetzt geleistet. Hier zur Veranschaulichung ein kleiner Whatsapp-Austausch zwischen Herrn Rabe und mir von heute:

10:33 Ich: Hat I. nicht heute Geburtstag???
10:33 Ich: Oder war das schon?
10:38 Herr Rabe: Fuck
10:38 Herr Rabe: Ja war schon
10:39 Herr Rabe: „[…]freuen wir uns riesig, seit 17:14 am 11.08.2014 […]“
10:48 Ich: Fuck.
10:48 Ich: Ich besorg dann mal ein Geschenk.

Grandios. Wir haben den 1. Geburtstag der Tochter unserer besten Freunde vergessen. Den ERSTEN! Geburtstag.

Eigentlich sind rational betrachtet ja alle Geburtstage einmalig, aber es gibt ja so Geburtstage, die sind einmaliger. Dass ich von meiner eigenen Mutter dieses Jahr nichts zu meinem 30. Geburtstag bekommen habe, finde ich immer noch mindestens traurig (angeblich hat sie meinen Amazon-Wunschzettel nicht gefunden). Und der wichtigste Geburtstag von allen ist wohl der erste. Nicht für die Kinder, die spielen in dem Alter eh noch mehr mit dem Papier als mit den Geschenken, die darin eingepackt sind, aber für die Eltern.

Der erste Geburtstag des ersten Kindes. Ein unfassbarer Tag. Vor einem Jahr wurde das eigene Leben so komplett umgekrempelt, wie man es sich trotz aller Bemühungen nicht hatte vorstellen können. In diesem einen Jahr vollzieht sich eine verrückte Metamorphose von „Hilfe, das Baby kackt grün!“ zu „Was’n das hier fürn Ausschlag? Ach, solangs kein Fieber hat…“. Man wächst zusammen mit dem Baby hinein in diese sogenannte Elternrolle, man wird eine Familie mit ihm, ein Rüdelchen. Das Baby lernt und lernt und lernt und mit ihm die Eltern. Man lernt sich selbst neu kennen, den Partner, die Welt. Ein Baby bringt das beste und das schlimmste an einem hervor, und damit muss man erstmal umgehen können. Aber nach diesem einen, ersten Jahr ist diese Verwandlung in der Regel abgeschlossen. Und da steht man dann, als neuer Mensch. Als Eltern-Mensch.

Und deshalb ist es so schlimm, dass wir ausgerechnet diesen Tag vergessen haben. Weil wir wissen, wie das ist, wenn das Baby plötzlich kein Baby mehr ist, und man selber ist auch irgendwie anders, stolz, klar, und erwachsen, vielleicht, gerührt, nachdenklich, aber doch noch so wie vorher, doch, schon.

Also, liebster M. und liebste A.: Wir wünschen euch alles alles gute zum 1. Geburtstag eurer wunderbaren Tochter. Nachträglich. Und es tut uns sehr doll leid, dass es nachträglich ist.

Liebe I.: Hier ist ein Bild von einer Kerze. Geschenkpapier ist unterwegs ;)

2015-08-13 20.58.19

Und wir stoßen auf Dich an, mit Stilltee und Single Malt, und ein Fuß der kleinen Geburtstags-saboteuse hat sich auch noch mit aufs Bild gemogelt:

2015-08-13 21.46.20

Als Abschluss noch ein Link zum besten Geburtstagslied der Welt.

Randale – Geburtstagslied

Wir haben Dich lieb!

Die Raben