Bloggen am Gate. Wie son Profi.
Erstmal danke ich Ihnen allen für die vielen gedrückten Daumen! Es hat zumindest dabei geholfen, sich nicht so allein und klein zu fühlen. Und vielleicht hat es ja auch bei den Gesprächen an sich geholfen, denn es lief (das kann ich ja mal so ganz unbescheiden sagen) richtig gut.
Ich war ja um neun mit dem Menschen verabredet, der den Auftrag hat, für die Firma eine Wissenschaftlerin zu suchen. Genau genommen sucht er momentan zwei Wissenschaftlerinnen und eine TA, aber das ist ja grad egal. Ich war jedenfalls um fünf vor neun da. Mit zwei Schichten sehr sorgsam eingearbeitetem und am Schluss sogar gebaketem (also sozusagen mit Puder abgesättigtem) Concealer drauf, weil ich nach den schlaflosen Nächten der letzten Tage echt schlimm müde aussehe. Und in der guten Version von aufgeregt, also nicht stotternd-knallrot-schweißausbrüchig, sondern gespannt und konzentriert. Jedenfalls wurde ich von der Rezeptionistin in das Büro des Agenturmenschen gebracht, mit dem ich ja bisher nur telefoniert hatte und war angenehm überrascht, einen schon älteren und gemütlich aussehenden Herrn zu treffen. Und gemütlich trifft es wohl auch vom Wesen her. Eindeutig ein Profi, denn er nahm mir schon in den ersten fünf Minuten die Nervosität, indem er ganz ruhig und sachlich erstmal erklärte, was wir heute machen würden, was wie lange dauern würde, dass ich entweder im Auto essen könnte oder, wenn wir es schaffen würden, bevor er mich zu der Firma bringen würde, sowas. Ich bekam Kaffee angeboten und nahm nur Wasser (der einzige Tipp, den ich aus einem Bewerbungstraining von vor 8 oder 9 Jahren mal behalten hab: immer stilles Wasser, von Blubberblasen muss man rülpsen und wenn man sich Kaffee überschüttet, ist das echt blöd). Und dann ging es los: erstmal erzählte der Agenturmann von sich. Seit 30 Jahren macht er HR für Pharma, seit 18 mit eigener Agentur. Die Firma, um die es geht, hat er seit 8 Jahren als Kunde und alle Seiten sind sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit. Dann ging es um die Firma, wie sie gegründet wurde, wie sie jetzt ist, wie die Hierarchien und das Management so ist, wie das Arbeitsklima ist, wie sie finanziell dasteht und so weiter und so fort. Dann die Position: Wissenschaftlerin, Proteinanalyse, Massenspektrometrie und Stabilitätstralala, aber auch Tech Transfer an Auftragslabore und wiederum deren SOPs und Validierungsgedöns prüfen und gegebenenfalls korrigieren bzw. Korrekturen anfordern. Und da wir dann ja schon mal dabei waren, glichen wir nochmal meine Erfahrungen und Kompetenzen mit dem Anforderungsprofil der Firma ab, also erstmal nur den technischen Part. Da bin ich ja einigermaßen confident, Erfahrung hab ich ja und, ganz ehrlich, den Rest kann ich lernen, ist ja kein Hexenwerk, nur die Geräte sind halt gerne mal ein bisschen teurer als ein Kochtopf. Das lief also schon mal ganz ok.
Dann sollte ich ein bisschen über mich und meinen Werdegang erzählen. Da hoffe ich jetzt einfach mal, dass ich nicht so viel unnützes Zeug erzählt hab. Irgendwann wurde ich jedenfalls vom Agenturmenschen darauf hingewiesen, dass wir ja noch die Tests besprechen müssten und er wüsste jetzt noch gerne, was meine eine, herausragende Stärke sei. Hui, kalt erwischt, darin bin ich ja so spontan nicht wirklich gut. Was ich jedenfalls sagte, war, dass ich es als eine große Stärke ansehe, dass ich Sachen fertig mache. Pünktlich und so gut ich kann. (Koste es was es wolle und ich bin da auch einigermaßen zwanghaft und kann ÜBERHAUPT NICHT Sachen einfach lassen aber das hab ich einfach mal ausgespart.) Nun ja, also „I get shit done“ (in schön) ist also meine Stärke, und was wäre was, in dem ich mich gerne verbessern möchte? (Erstmal: eben Profi. Kein negatives Wort, keine Abschätzigkeit, hach…) An mir selbst rum meckern kann ich viel besser als mich loben und das würde ich gern öfter mal lassen und deshalb sagte ich auch, dass ich dazu tendiere, meine Erfolge und Qualitäten kleinzureden und zu unterschätzen.
(Danach hätte ich gerne auf dem Flur einmal tief durchgeatmet, aber…)
Es ging direkt weiter mit der Auswertung des Assessments. Da warteten einige Erkenntnisse auf mich. Überraschend kam für mich zum Beispiel, dass das Programm auch nur eine Auswertung an den Recruiter weitergibt, aber die Antworten selbst nicht speichert. Ich kann jetzt verraten: Das Assessment der Personalität und der work related behavior klopft 18 Bereiche ab und da landet man dann anhand seiner Antworten auf einer Skala von 1-9. Die Firma wird vorher zu den 18 Bereichen gefragt, welche sie am wichtigsten, mittel wichtig und unwichtig finden. Die Auswertung für den Test wird entsprechend gewichtet, auch der Recruiter kriegt für die wichtigsten 6 die „komplette“ Auswertung, für die mittleren die kurze Zusammenfassung und für die unwichtigen nur die Punkte ohne Blabla.
Und ich sage das jetzt mal so ganz unbescheiden, sind ja Fakten: von den 6 wichtigsten Bereichen hatte ich zwei mal „matches profile“ und vier mal „exceeds profile“. Die Firma wünscht sich jemanden, der shit done kriegt, einen analytischen Zahlenmenschen, jemanden, der organisiert und vorausschauend plant und Regeln befolgen kann ohne das selbst Denken einzustellen. Wohooo! Das bin ich. Ohne Witz: ich war überrascht, wie gut ich den Resultaten des Persönlichkeitsassessments zustimmen konnte. Wirklich sehr überrascht. Selbst bei den Dingen, bei denen ich „unterdurchschnittlich“ abschneide, so wie zum Beispiel „Social Behaviour“, gehe ich mit der Einschätzung des Programms voll mit: Ich bin normal sociable, wenn ich die Leute kenne. Bis dahin halte ich mich lieber im Hintergrund. Und ich bin auch nicht besonders überzeugend im emotionalen Sinn, sondern knalle den Leuten halt die Fakten um die Ohren, entscheiden müssen sie dann schon selbst (das wird von dem Programm übrigens als „vermeidet manchmal, die Verantwortung allein zu tragen“ ausgelegt und das finde ich zwar irgendwie hart formuliert, aber im Grunde stimmt’s ja). Mir ist auch manchmal egal, was für Motive Leute für ihr Handeln haben und auch, wie sie auf irgendeine Handlung von mir eventuell vielleicht reagieren könnten und auch hier gilt: facts rule, ich könnte auch nette Leute rausschmeißen, oder hinnehmen, dass mein Lieblingsprojekt eingestellt wird, wenn mir ausreichend gute Gründe dafür präsentiert werden.
Soviel also zu meiner Persönlichkeit. Vielleicht liegt es an dem Agenturmenschen und seiner Art, absolut jeden Outcome dieses Tests irgendwie positiv zu beschreiben, aber ich hatte danach (und habe noch) das Gefühl, so wie ich bin doch sehr ok zu sein. Und wie gesagt: Ich passe halt astrein auf das gewünschte Profil der Firma, fachlich und auch persönlich.
Aber bevor wir fertig waren, mussten wir ja noch den Logik-Test und den E-mail-Test besprechen. Erkenntnis 1: der Logik-Test ist adaptiv, je mehr richtige Antworten man hat, desto schwerer werden die nächsten Fragen. Dadurch, dass ich die Aufgaben, die ich nicht lösen konnte, lieber übersprungen habe, statt falsch zu antworten, setzte sich das Niveau nicht wieder runter, sondern blieb auf „unlösbar“. Ich muss fast drüber lachen. Also die neun Aufgaben, die ich lösen konnte, waren immerhin auch alle korrekt (lorioteskes „Ach!“), die drei ungelösten haben mir aber ein bisschen die Geschwindigkeit versaut und so bin ich laut Test „nur“ leicht überdurchschnittlich logisch denkend (ha, erwischt, kleingeredet…). Nachdem ich dem Agenturmenschen meine Herangehensweise bei dem Test erklärt hatte, musste er aber auch lachen und meinte dann (ganz richtig), dass ich ja sogar noch zwei der „unlösbar“ Fragen gelöst hätte, das wäre gar nicht so oft. Er selbst lande übrigens im unteren Fünftel.
Und dann kam für mich die größte Überraschung: Ich war unheimlich gut in dem e-mail-Test. Unter den besten 5% von allen (Schweden) die den gemacht haben. Der Agenturmenschen meinte, das Resultat sei Altersabhängig, je jünger die Getesteten, desto besser das Ergebnis, Leute meines Alters landeten eher bei 60-70%, Leute seines Alters eher so bei 30%. Der Test läuft wohl darauf hinaus, dass überprüft wird, wie schnell man sich in einen Flow arbeiten kann und wie fokussiert man dabei bleiben kann, wenn dauernd Ablenkungen (und Regeländerungen! Voll fies!) dazu kommen. Also auch wieder: get shit done und Regeln befolgen, das kann ich ja super, wissen wir ja jetzt.
Danach waren wir aber wirklich fertig, bis auf…
Die Frage, wann ich anfangen könnte, und was ich denn jetzt so verdiene. Ich interpretiere das als gutes Zeichen.
[Pause. Salat aus der Kantine, gegessen im Büro des Agenturmenschen, dazu lockere Unterhaltungen über das Wetter und so. „Ich lebe noch!“-Tweet vom Klo.]
Ich gestehe ja, ich habe eine blühende Phantasie, und außerdem sehr viele skandinavische Krimis gelesen, deshalb zogen allerlei „zerhackt im Wald“-Szenarien an meinem inneren Auge vorbei, als der Agenturmensch und ich zu seinem Auto gingen. Wir kamen aber trotzdem beide lebend in Solna bei der Firma an. Die macht von Außen echt nichts her. Sorry, Firma, aber das Gebäude ist hässlich wie die Nacht. Der Agenturmensch stellte mich noch meinen beiden Gesprächspartnern vor – der Gründerin und Vice-CEO und dem Chef der Proteinanalytik, dann verabschiedeten wir uns und er fuhr nach Hause nach Skåne.
Dieser zweite Teil des Vorstellungstrallalas war dann noch mal auf eine ganz andere Art spannend, ich habe glaube ich recht deutlich gemacht, dass ich echt viel kann und Erfahrung habe, jedenfalls blickte ich ab und an immer mal wieder in zwei ratlose Gesichter und musste nochmal zwei Schritte zurückgehen und erklären, was ich genau tue, wie das ist mit der Interaktion von dem bitch-Protein mit DNA und warum macht es das und was ist SILAC und was ist eigentlich EPO und häh, synthetischer Antikörper?!? Und das ganze – badabämm, badabumm – während die zwei Schwedisch und ich Norwegisch sprach. Am Ende fing ich schon fast an, schwedisch zu sprechen, aber nur fast. Ich erklärte Techniken, listete auf, was ich alles schon gemacht hab (und das ist ja doch ne Menge und ähähähä, genau das, was die suchen) und beschrieb ein bisschen, wie ich so ticke (GETTING SHIT DONE). Sie beschrieben ihre Produkte, in welchen Entwicklungsstadien die so sind, wie sie neue entwickeln und vor allem, was sie an Analytik machen und weshalb sie jemanden neues brauchen (mehr Arbeit durch spätere klinische Studien, mehr Arbeit durch mehr Produktentwicklung, neue, unbekannte Arbeit durch Zusammenarbeit mit externen Laboren und CROs und CMOs, neue, unbekannte Arbeit durch mehr Qualitätsrelevanz). Ich ritt ein bisschen auf meiner Erfahrung in Zusammenarbeit mit Firmen verschiedener Größen herum und dann war es Zeit für die Laborführung…
Nach der Frage, wann ich anfangen könnte. Und dann noch mal der genaueren Nachfrage. Und was denn mein Mann so macht. Und ein bisschen Werbung für die Firma und Stockholm an sich. Ich werte auch das als gutes Zeichen.
Und dann Laborführung. Sie haben ÄKTA Explorer 100 und das sagt Ihnen jetzt vermutlich nichts, aber, hachz, ja, also, das Ding könnte ich vermutlich im Schlaf und nach 4-7 Bier noch bedienen, da fällt mir ein, dass ich mal die Reinigung und Einlagerung in Etappen während der Weihnachtsfeier gemacht hab, also das mit den Bier ist sogar belegt. Alles andere – ja, Labore halt. Geräte halt. Organisiert und ordentlich und etwas beengt, größtenteils Equipment, das ich kenne, überaus putzige Massenspektrometer (unsere sind eeeeeetwas größer) und – igitt! – Bakterienfermenter. Aber damit müsste ich ja auch nicht arbeiten.
Tja, und dann war auch das vorbei, wir verabschiedeten uns, ich meine, vielleicht sowas wie einen unterdrückten Impuls, mich zu umarmen bei der Vice-CEO beobachtet zu haben, vielleicht hat sie aber auch nur mit den Schultern gezuckt, jedenfalls stand ich danach wieder auf der Straße vor dem hässlichen Gebäude.
Und dann dachte ich bei einem Kaffee und einem Stück Kladdkaka mit grädde in Gamla Stan darüber nach, ob ich das wirklich möchte. Hands-on Forschung. Sehr speziell, nix mit „breitem portfolio“, in einer Firma, aus der ich vermutlich eher nicht herausgeheadhuntet werde (außer vielleicht von dem Agenturmenschen), die vermutlich nichtmal mit üppigen relocation-budgets aufwarten würde. Die aber unheimlich sympathisch ist. Und in der schönsten Stadt der Welt.
Ich glaube, schon.